In einer direkten Konfrontation mit seinen übrigen fünf Spielfilmen kann David Fincher mit „Zodiac“ nur gewinnen. Der über Gebühr verehrte „Sieben“ und der selbstgefällige „Fight Club“ erscheinen retrospektiv nur mehr wie Fingerübungen für diesen Film der bislang nicht nur das reifste sondern- trotz eines augenscheinlich mörderischen Budgets- auch unkommerziellste und am distanziertesten aufgenommene Werk des Regisseurs darstellt. Der verzeihliche Fehler, sich der eigenen Erwartungshaltung zu beugen dürfte all jenen Zuschauern unterlaufen sein, die mit „Zodiac“ nicht glücklich geworden sind. Dabei kommt gerade hier erstmals in hoher Konzentration ein besonderes Talent Finchers zum Vorschein, das in seinen bisherigen Filmen nur gelegentlich aufblitzte. Wir erinnern uns: Welche Sequenzen haben sich in unser Gedächtnis eingebrannt? Die Tatort-Besichtigungen und der ewige Regen in „Sieben“? Das flammende Gesicht an einem Hochhaus in „Fight Club“? Und natürlich die „überragenden“ Schlusspointen sowie die grünstichige Ästhetik die der oft unerfahrene Mainstream-Pulk mit Finchers Filmen als einzigartig assoziiert?
Kein Wort über andere, große Momente wie das gemeinsame Essen in betreten schweigender Runde und Gwyneth Paltrows Café-Dialog mit Morgan Freeman in „Sieben“. Oder Edward Nortons Besuche in der Selbsthilfegruppe und das Vorsprechen bei seinem Chef in „Fight Club“ (über „Panic Room“ verliere ich hier bewusst kein Wort). Momente wie diese gehörten für mich von Anfang an zum denkwürdigsten was mir diese sonst eher selbstverliebten und effekthascherischen Werke anboten. Und nun hat Fincher tatsächlich einen Film geschaffen, der diese Kraft in seinen Focus rückt und alle selbstzweckhaften (und ausgetretenen) Formspielereien, plakativen Schocks und narrativen Blendeffekte ausschließt und sein Gewicht gänzlich auf ein Motiv legt das im seichten Gebrauchskino Hollywoods Seltenheitswert besitzt: Die Aktivierung des Zuschauers. Genauer: Die Aufforderung, die Charaktere eines Films selbst zu ergründen und dabei von der Regie bewusst nur minimale Stützen zugespielt zu bekommen. Das ein solch reizvolles Vorhaben durch die Engstirnigkeit des heutigen, passiven Kinopublikums nur scheitern kann- ebenso wie im übrigen auch die Protagonisten die Leinwand „verlassen“- ist eine betrübliche Selbstverständlichkeit und der Hauptgrund warum „Zodiac“ wohl nie auch nur im Ansatz so euphorisch angebetet werden wird wie der überschätzte „Sieben“. Und das obwohl der Film für das Mainstream- und nicht für das Arthouse-Publikum gemacht ist und sich offenkundig die Aufmerksamkeit desselbigen wünscht.
Ein (Serienkiller-) Thriller ist „Zodiac“ ebenso wenig wie ein Drama. Denn das paradoxerweise von vielen bemängelte Fehlen von Spannung- eine spannendere Major-Produktion ist mir schon lange nicht mehr untergekommen- wird auch nicht durch eine intensive emotionale Erfahrung relativiert. „Zodiac“ fesselt den Zuschauer weder durch konventionellen Thrill noch die große Tragik seiner Geschichte sondern zwängt ihn in die gleiche Situation wie auch seine Protagonisten: Während Robert Graysmith, Paul Avery und David Toschi (Jake Gyllenhaal, Robert Downey jr. und Mark Ruffalo übertreffen sich mit ungeahnten Höchstleistungen gegenseitig) auf der Leinwand Indizien und Anhaltspunkten hinterher jagen bemüht sich der Zuschauer seinerseits mit großem Eifer um die erforderliche Erschließung ihrer Charaktere. Denn tief wirken die Figuren im erstem Moment nicht, eher wie glatte, irisierende Plastiken. Und Fincher fordert vom Zuschauer selbst die Perfektion, die Modellierung der Fein- und Eigenheiten. Mehr nicht. Das allerdings scheint schon ausreichend um manch einen zu unbedachten Kommentaren hinzureißen. Man sollte nicht unterschlagen das der Regisseur dem Publikum diesen Zugang erschwert und mit „Indizien“ geizt. Nebenbei findet nämlich auch eine Umkehrung der, wenn man denn so will, Sympathien statt. Früh ist man sich über Toschi - im Grunde (lange) nur Protagonist dritten Grades, im klaren - doch Graysmith bleibt einem bis zuletzt ein Rätsel, nicht zuletzt da Fincher die meisten zwischenmenschlichen Momente, etwa mit seiner Frau Melanie (Chloë Sevigny) und seinen Kindern, beinahe konsequent ausblendet und seine Obsession für den Fall des „Zodiac-Killers“ zum alles verzehrenden Strohfeuer macht - das jedoch auch über ein Jahrzehnt hinweg immer wieder geschürt wird. Das perfide an Finchers Vorgehensweise ist die ungleichmäßige Verteilung der „Indizien“ im Verlauf der Handlung. Die erste Stunde mutet noch konventionell an und konzentriert sich ganz auf eine routiniert und leidlich spannend inszenierte Mörderjagd- und hier stößt der Regisseur zugleich sein Publikum auch mehrmals mit der Nase auf feine, unmerklich zum Ausdruck gebrachte Eigenheiten im Zusammenspiel der Protagonisten. Doch der Zuschauer ist gebannt und verliert gegenüber der Entwicklung der Figuren schnell die Konzentration, die er noch voll und ganz der eigentlichen Handlung entgegenbringt. Wenn später eben diese Handlung um den Zodiac-Killer rapide an Bedeutung verliert und schließlich beinahe irrelevant scheint diagnostiziert man trügerischen Leerlauf. Gerade jetzt gewinnt aber paradoxerweise der beinahe vergessene erste Part wieder an Bedeutung um dem weiteren Verlauf des Filmes der sich nun beinahe gänzlich von dem Zodiac-Killer abgewandt hat, zu folgen. Die Handlung von „Zodiac“ beeindruckt auf einer ganz anderen Ebene als in Finchers voran gegangenen Werken mit einer ungeheuren Komplexität. Und das fordert vom Publikum ein Höchstmaß an Aufmerksamkeit und Einfühlungsvermögen.
Realismus ist dabei zwar scheinbar ein Schlüsselwort doch im Grunde ist auch „Zodiac“ hemmungslos stilisiert. Nur- dem Himmel sei dank- auf dramaturgischer und nicht formaler Ebene. Ähnlich wie bei Fassbinder (was an dieser Stelle nicht als Vergleich zu verstehen ist) wird der stilisierte Realismus vom Publikum mit erstaunlichem Ergebnis als Naturalismus aufgefasst. Angesichts der sorgfältigen Ausstattung und Beleuchtung sowie den vergleichsweise diskreten farblichen Verfremdungen überrascht dies aber kaum. Tatsächlich kauft man dem Film optisch wie auch akustisch durch zahlreiche zeitgenössische Songs (wohlweislich hat Fincher trotz nahe liegendem Bezug zu den Schauplätzen dankenswerterweise auf „California Dreamin’“ und andere tot gespielte Songs verzichtet) die späten Sechziger und frühen Siebziger ab. Zwar erstreckt sich die Handlung bis 1991, ihr Kern bleibt aber die Zeitspanne zwischen 1969 und 1974 und dieser wird glaubhaft vermittelt, auch ohne große Materialschlacht. Sieht man von den erwähnten Songs ab, herrscht bei „Zodiac“ lange wohltuendes Stillschweigen. Kein nervenzerrendes Rumoren in den Sequenzen, in denen der Killer sich an seine Opfer heranpirscht und kein phrasiert weinendes Piano in den stillen Momenten. Wenn Fincher einige wenige Szenen dann doch mit einem Soundtrack konturiert so staunt man angenehm überrascht über die minimalistischen, melodischen Stücke aus der Feder des alteingesessenen David Shire („2010“) dem Fincher nach längerer Schaffenspause eine Reunion ermöglicht hat.
„Warum tust du das?“ fragt Melanie Robert nach seiner Motivation, dem Zodiac-Killer trotz der nach Jahren aussichtslosen Situation und Kapitulation der Polizeit weiter zu folgen.
„Weil es niemand anders tut.“
„Das ist mir zuwenig“, lautet ihre tonlose Antwort.
Der Zwist des Zuschauers wird hier punktgenau ausformuliert. Nur dass er- im günstigsten Falle- den Film deutlich zufriedener verlässt als es Robert mutmaßlich tut. Das Fincher darauf verzichtet den Fall aufzulösen- der reale, als Inspiration dienende Kriminalfall wurde ebenfalls nie aufgeklärt- erscheint nur konsequent, auch wenn dies bei zahlreichen Rezipienten auf Unmut stoßen dürfte. Denn der Zodiac-Killer ist Fincher nur der funktionale Stein des Anstoßes der nach abgeleisteter Pflicht seine Schuldigkeit getan hat und immer weiter an den Rand gedrängt wird. Und damit hat er in einer Zeit, in der das amerikanische Mainstream-Kino sich im Todeskampf der Konventionalität windet, großes geleistet.