Review

„Verliebt zu sein ist Wahnsinn!“

Aus dem Jahre 1977 stammt „Malizia“- und „Der Filou“-Regisseur Salvatore Samperis Verfilmung eines Romans Cesare Lanzas, für die er zusammen mit Alessandro Parenzo auch das Drehbuch verfasste: Die im Nachkriegsitalien des Jahres 1948 angesiedelte Dramödie „Nenè - Die Frühreife“.

Nach Ende des Zweiten Weltkriegs stehen die ersten freien Wahlen im postfaschistischen Italien an. Während die katholische Kirche ihren Einfluss nutzt, um sich für die Christdemokraten starkzumachen, appelliert die Kommunistische Partei an die Solidarität der Bevölkerung und ihren Menschenverstand. Ein Kriegsheimkehrer und Familienvater zweier Kinder (Tini Schirinzi, „Drei Brüder“), der Tochter Pa (Vittoria Valsecchi) und des Sohns Ju (Sven Valsecchi, „Silbersattel“), versucht, seine Familie trotz Geldmangels über die Runden zu kriegen, wird jedoch von seiner Frau aus gutem Hause (Paola Senatore, „Black Emanuelle - Stunden wilder Lust“) immer wieder harsch kritisiert. Regelmäßig platzt ihm dann der Kragen und er züchtigt Frau und Tochter mit Gerte und Stock. Sein intelligenter neunjähriger Sohn bleibt davon verschont. Mit ihm spielt er Schach, wobei er regelmäßig verliert, und lässt ihm verhältnismäßig viele Freiheiten. Unterrichten lässt er ihn von einer Privatlehrerin (Rita Savagnone, „Liebe auf sizilianisch“). Als sein Bruder, dessen Frau abgehauen ist und der aufgrund starker gesundheitlicher Probleme seine Rolle als Vater nicht mehr ausfüllen kann, ihn darum bittet, seine 14-jährige Tochter Nenè (Leonora Fani, „Giallo a Venezia“) bei sich aufzunehmen, kommt er der Bitte nach. Schnell freundet sich Ju mit seiner attraktiven Cousine an, die sehr freizügig mit ihm über Sex redet und sich in den jugendlichen Mulatten Rodi (Alberto Cancemi) verliebt, den Ju kurz zuvor kennengelernt hatte.

Nach’m Kriech, wir hatten ja nüscht… Nicht mal Namen (wie die hier namenlosen Eltern) oder zweite Silben für die Namen der Kinder. Die zweite Silbe hält erst mit Nenès Ankunft Einzug, der Film ist jedoch aus der neugierigen und zugleich unverdorben kindlich-naiven Sicht Jus erzählt. Dass sein Vater im Krieg gewesen sei und dem Tod ins Auge geblickt habe, wird zum geflügelten Wort und muss immer wieder für Unzulänglichkeiten des Vaters als Entschuldigung herhalten, derer zunächst gar nicht so viele offensichtlich sind. Klar hat man es nicht leicht, aber das gegenseitige Gekabbel hat einen ironischen Unterton und erinnert bisweilen an Screwball-Komödien. Umso überraschender erscheint es, als er tatsächlich zur Gerte greift. Gegenüber seiner Frau könnte dies jedoch auch sado-masochistisch motiviert sein, wie von Ju beobachtete Bettszenen evtl. suggerieren möchten.

Nicht heimlich beobachten muss Ju seine Cousine, mit der er in einem Zimmer schläft und die ihm gegenüber keinerlei Schamgefühl zeigt. Sie zeigt sich ihm nackt, masturbiert neben ihm im Bett liegend und lutscht auf seinen Wunsch hin später sogar an seinem Penis, wie er es zuvor bei seinen Eltern beobachtet hatte – natürlich ohne ein vergleichbares Ergebnis zu erzielen. Solche Szenen allerdings zeigt Samperi nicht in expliziten Bildern, sondern lässt sie unter der Bettdecke stattfinden – kinder-/jugendpornographische Tendenzen weist der Film in keiner Weise auf. Es fällt jedoch auf, wie sich das Motiv von Jungen, die mit älteren Mädchen/Frauen erste sexuelle Erfahrungen sammeln, durch Samperis Filmographie zieht. Nenès Interesse gilt zudem Rodi, dem gegenüber sie sich wesentlich zurückhaltender verhält.

Und der Tonfall wird mit der Zeit immer ernster. War des Vaters Friseur (Ugo Tognazzi, „Das große Fressen“) zunächst noch voller Euphorie und fest davon erzeugt, dass seine Kommunisten den Wahlsieg davontragen würden, steht er am Ende ernüchtert auf seiner eigens anberaumten, ins Wasser gefallenen Wahlparty – die verdammten Christdemokraten stellten die stärkste politische Kraft. Als sich Nenè und Rodi näherkommen, mündet zartes Liebesspiel in einem wütend rasenden Aggressionsausbruch Jus Vaters, der mit den vorausgegangenen mehr oder weniger kontrollierten Züchtigungen durch „Hinternversohlen“ nicht mehr zu vergleichen ist. Und Ju, der alles mitansehen muss, dürfte spätestens jetzt bewusst werden, in welch verrohter Welt er auch nach Kriegsende zu leben verdammt ist. Insofern vermute ich, dass Samperi und Lanza eine Allegorie auf noch lange nachwirkende Kriegswehen und zerplatzte Hoffnungen nach den ersten Wahlen erschaffen wollten, dass darin die Aussage des Films liegt. Ohne zumindest marginale Hintergrundkenntnisse ist diese sicherlich nicht ohne Weiteres herauszulesen. Und auch ich bin nicht in der Lage, das exemplarisch gezeigte Gesellschafts- und Sittenbild auf Realismus, Anachronismen u.ä. hin abzuklopfen. Zweifelsohne aber ist „Nenè - Die Frühreife“ gut geschauspielert – auch von den Kindern –, bringt dank der damals eigentlich bereits keine Teenagerin mehr gewesenen Leonora Fani einen nicht ungefähren Sex-Appeal mit, provoziert die eine oder andere extreme Reaktion und illustriert Italien an einem geschichtsträchtigen Scheidepunkt, der Strukturen gebar, auf denen das Land noch heute mehr schlecht als recht fußt. Irritierend ist die changierend artikulierte Handlung dennoch.

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