Review

Viel wurde versprochen und doch waren meine Befürchtungen groß das sich Paul Verhoeven schließlich unter gewissen Umständen doch noch hatte verbiegen lassen - trotz der von vielen ersehnten Rückkehr in seine niederländische Heimat waren die Vorzeichen seines lang erwarteten neuen Films „Zwartboek“ aufgrund der Beteiligung diverser europäischer Förderfonds - die im Allgemeinen zuletzt für ihre Liberalität und Aufgeschlossenheit gegenüber subversiven Ideen bekannt sind - eher bedenklich. Doch es kann entwarnt werden - Dem Verhoeven-Kenner und –Fan wird hier das Herz aufgehen: Verhoeven, jenem eigenwilligen Beinahe-Auteur, der in der Vergangenheit so oft die schwierige Gratwanderung zwischen Exploitation und populärer, oft auch satirisch-zynisch formulierter Gesellschaftskritik meisterte, ist mit „Zwartboek“ ein entwaffnendes Comeback gelungen das all seine größten und schönsten Tugenden vereint und den bodenlosen „Hollow Man“ vergessen lässt.

Es ist bezeichnend für Verhoeven das er eine Geschichte, die zahlreiche Kollegen zu einer weiteren, biederen Betroffenheits-Tragödie über den 2. Weltkrieg verarbeitet hätten, mit größter Sympathie für den klassischen, stringenten Unterhaltungsfilm und exploitativen Anklängen erzählt. Der historische Hintergrund ist ihm dabei keinesfalls gleichgültig, hat sich aber der Narration des dramatischen Thrillers, der „Zwartboek“ eindeutig ist, unterzuordnen. Die süffisanten kritischen bis makabren Spitzen ragen aber weiterhin gen Kritikerlager und beweisen wieder einmal mehr wie eng die Bindung zwischen Arthouse- und Schundkino tatsächlich ist und wie man beide faszinierend miteinander vermählen kann. „Zwartboek“ ist alles: Die Emanzipationsgeschichte einer starken Frau, skeptische und ambivalente Auseinandersetzung mit der deutschen Besetzung der Niederlande im zweiten Weltkrieg und den Reaktionen des Volkes, Familiendrama, Actionthriller und schmieriger Erotikreigen. Insbesondere in anbetracht der letzten beiden Komponenten, die bei Verhoeven stets schwer wogen ist man beinahe versucht „Zwartboek“ als anspruchsvolles Exploitationkino im Hochglanz-Gewand zu applaudieren. Dafür nimmt sich der für seine oft fragwürdigen aber gleichzeitig vollkommen zu recht vergötterten subversiven Leinwand-Exzesse wie „Robocop“, „Basic Instinct“ und „Starship Troopers“ berühmt-berüchtige Niederländer aber zu weit zurück. In seinem 15. Spielfilm geht er trotz haushoher Differenzen zwischen beiden Filmen wieder ähnlich vor wie in seinem bravourösen Durchbruch „Türkische Früchte“ - der seinerzeit (1973) unter dem Deckmantel eines einfachen Melodrams bissig die letzten spießigen Bollwerke der niederländischen Gesellschaft angriff und die angeblich so nachhaltigen Erfolge der 68ziger misstrauisch in Frage stellte. In ebenso ungehemmt melodramatischer Manier arbeitet er hier ein weiteres Kapitel europäischer Befindlichkeit (wohlbemerkt im Zusammenhang mit aber nicht unter der versklavenden Bürde des historischen Kontextes) auf - in einer unverkrampften Art und Weise die Roman Polanski mit seinem blassen „Der Pianist“ und Margarete von Trotta mit ihrem banalen „Rosenstraße“ vor Neid erblassen lassen sollte.

Dabei reizt neben den Sympathien, die hier keiner der beiden Parteien - den nationalsozialistischen Besatzern und den niederländischen Untergrundkämpfern und der Bevölkerung - in überwiegendem Maße zukommen vor allem die Entwicklung der Protagonistin Rachel (charmant verkörpert von Carice van Houten) die sich nach der Vernichtung ihrer Ersatz-Existenz in einem provinziellen Versteck und der kurz darauf hilflos mit angesehenen Ermordung ihrer Familie bald zur blonden, unverdächtigen Schönheit Ellis de Vries wandelt - resigniert aber freilich erfüllt von stärkenden Rachegelüsten. Durch ihre „neu“ gewonnene Sinnlichkeit und deren manipulative Vorzüge erhält Verhoeven erneut Gelegenheit, ein wenig geschmackssicheres Exempel weiblicher Emanzipation durch Sexualität zu statuieren. Ähnlich wie die Tänzerinnen in „Showgirls“ besitzt Ellis (im Verlauf des Films gerät Rachel und damit auch ihre zu Beginn eingeführte Persönlichkeit immer weiter in Vergessenheit) alleine durch ihren Sexappeal - den Verhoeven großzügig und sichtlich hingerissen in Szene setzt - eine anfänglich ungeheure Macht und demonstriert beim Sex mit dem deutschen SA-Hauptmann Müntze (markant: Sebastian Koch) selbst im Angesicht der Lebensgefahr - denn der schöpft trotz sorgfältiger Retuschierung selbst im Schambereich früh Verdacht - immer noch ihre absolute weibliche Überlegenheit die ihr erst später - ähnlich wie der naiven aber doch treibenden Protagonistin Olga in „Türkische Früchte“ erst spät, dann aber umso fataler abhanden kommt. Und doch siegt Ellis schlussendlich ohne weitere Hilfe weil ihre männlichen Mitstreiter und vor allem Gegner über ihrer sinnlichen Aura ihre Cleverness entscheidend unterschätzt haben. Schon früh verdeutlicht Verhoeven, das seine souveräne (Anti-) Heldin gut für eine Überraschung ist: Als sich bei einer Zugfahrt mit Hans (Thom Hoffmann) - einem Frontmann der Untergrundbewegung- die Lage zuspitzt da einige deutsche Soldaten Gepäckkontrollen durchführen schlägt Hans einen utopischen und riskanten Fluchtversuch vor - Ellis ergreift jedoch listig die Initiative indem sie sich gegen einen (noch) gespielten Kuss mit Hans wehrt und sich und die Koffer mit brisanter Fracht geschickt ins Trockene bringt.

Daneben stehen freilich Szenen wie sie der Verhoeven-Fan kennt und liebt: Die erotischen Momente werden genüsslich offenherzig schmierig und plakativ zelebriert, ohne Reue und mit wohltuender Ehrlichkeit, die diversen Schusswechsel zwischen den Widerstands-Kämpfern und den Nazis werden über Gebühr zur hochkonzentrierten, graphisch zeigefreudigen Action stilisiert. Überhaupt ist „Zwartboek“ trotz der tragischen Schwere des humanen Dramas von befreiender Leichtigkeit und auch immer um beste Unterhaltung bemüht. Komplexe zwischenmenschliche Momente (u. a. Ellis’ deutscher Liedvortrag auf einer Gala der Nazis, im Quartier der Untergrundorganisation, zwischen Ellis und Müntze) wechseln sich mühelos mit teilweise schon fast bizarren Szenarien ab, etwa der Besuch des splitternackten (!) Unteroffiziers Franken (brillant als verabscheuungswürdiger Feistling: Waldemar Kobus) in der Damentoilette wo er einen Small-Talk zwischen Ellis und Ronnie (Halina Reijn) - einer leichtlebigen Niederländerin die sich als Sekretärin günstig mit Franken arrangiert hat - unterbricht und nach begeisterter Begutachtung von Ellis’ wohlgeformten Brüsten dieser eine Anstellung als zweite Sekretärin anbietet.Auch die Sequenz in der sich Ronnie zur Ablenkung eines Helfers einigen Offizieren auf einem Tisch hingibt ist schlicht haarsträubend - und in einem Film dieser Größenordnung mehr als erfreulich anzusehen. Wie in seinen übrigen (früheren) Filmen rutscht Verhoeven aber nie ins Lächerliche oder gar Trashige ab sondern hält über die gesamten, trotz der epischen Erzählweise kurzweiligen 150 Minuten, ein konstant hohes narratives und beinahe seriöses Niveau das auf weitere europäische Produktionen des Ausnahmekünstlers hoffen lässt - einen populären Autorenfilmer für die Massen wie ihn hat Europa, das von der filmischen Sackgasse in der Hollywood sich schon seit Jahren abmüht nicht mehr weit entfernt ist, bitter nötig. Die Rückkehr Verhoevens nach Europa erscheint beinahe als ironisches Omen: Nachdem Hollywood die europäische Filmindustrie vernichtet hat und gerade Anstalten macht, sich selbst ebenfalls zugrunde zu richten, nimmt eine seiner schillerndesten Persönlichkeiten Abschied um einen Gegenentwurf von anspruchsvollem, europäischen Mainstream-Kino abzuliefern.

Auch in Hinsicht auf seine handwerkliche Qualität ist „Zwartboek“ überragend - mit einem Budget von „nur“ 16 Millionen Euro (für europäische Verhältnisse freilich ein Vermögen) hat man ein makelloses Produktionsdesign zustande bekommen, in das man in Übersee sicherlich die dreifache Summe investiert hätte - ohne dabei auch nur annähernd ein so denkwürdiges Resultat zu erzielen. Die Besetzung - abgesehen von deutschen Stars wie Sebastian Koch und Christian Berkel - hierzulande beinahe gänzlich unbekannt - ist charismatisch, die Kameraarbeit über weite Strecken von bestechender Präzision. Nur der orchestral-schwülstige Soundtrack vergeigt im wortwörtlichsten Sinne einiges und unterscheidet sich kaum von der öden Gebrauchsmusik des heutigen Hollywood-Kinos. Doch ohne großes Orchester und banale Harmonien kommt heute - den Amerikanern sei dank - wohl keine Big Budget-Produktion mehr aus, ob nun aus Asien oder Europa. Auch die bescheidene deutsche Synchronfassung beschädigt den Film als Gesamtwerk und fällt insbesondere in den Dialogen zwischen Sebastian Koch (dessen originaler Text offenbar übernommen wurde) und der synchronisierten Carice van Houten unangenehm auf, wirkt aber auch sonst äußert affektiert und steif. Doch auch wenn in den Szenen im SS-Stützpunkt in der Originalfassung stets deutsch gesprochen wird scheint es nach wie vor ein Ding der Unmöglichkeit zu sein, einen Film nur untertitelt in die deutschen Multiplexe zu bringen - auch Mel Gibsons Filme „The Passion of Christ“ und „Apocalypto“ hatten mit dieser absurden Phobie deutscher Zuschauer zu kämpfen. Gerade in einem Fall wie „Zwartboek“ sollte der Reiz und die im Zusammenhang mit der Genreverliebtheit besonders delikate Authentizität eines dreisprachigen Films - gegen Ende wird auch englisch gesprochen - absolute Priorität besitzen.

Nach dem runden Vorfilm serviert Verhoeven im Finale noch beinahe überraschend eine liebreizend ätzende Auflösung die mit Nachdruck demonstriert dass seine Landsleute hier ebenso radikal demaskiert werden wie die deutschen Besatzer an deren schmutzigen „ökonomischen“ Machenschaften zahlreiche Niederländer unbedarft teilnehmen. Auch der Pulk, der die Befreiung und das Ende des Krieges am Ende bejubelt wirkt sicherlich nicht ohne Grund derart ordinär und im negativen Sinn proletarisch. Verrat und Misstrauen sind in „Zwartboek“ allgegenwärtig und auch ein Faktor der die selbstbewusste Ellis - die übrigens wohl erste Filmheldin, der Schokolade das Leben rettet! - aus ihren persönlichen Angeln hebt. Hier liegt auch das einzige wirklich beeinträchtigende Defizit des Films: Sowohl die Exposition als auch das Finale wirken holprig und konstruiert, angesichts des flüssigen Herzstücks ärgerlich - doch auch nicht allzu störend denn die mitreißende Wirkung die Verhoeven einmal mehr spielend erzeugt, hält bis in die letzten Minuten an und lässt milde über die kantigen Passagen hinwegsehen.

In seinem erfolgreichen Bestreben, einen seriösen, historisch geprägten Stoff zum auf gänzlich sympathische Art plakativen und dennoch tiefgründigen Unterhaltungsfilm umzuformen der auch vor herzhaftem Schmuddel und ehrlicher, brutaler Action keine Scheu hat bewährt sich Paul Verhoeven in heimatlichen Gefilden endlich wieder als einer der exzeptionellsten und populärsten Autorenfilmer Europas und führt Arthouse und Exploitation in einem doppelbödigen Suspense-Drama mit leisen, bissig-kritischen Ausläufern zusammen das im besten Sinne an die Ungezwungenheit seiner frühen Werke wie „Türkische Früchte“ erinnert und seine unverkennbare, eigenwillige Handschrift trägt. Trotz visueller Opulenz und Lust am Effekt ragt die Grenzenlosigkeit des Verhoevenschen Kinos, die gerade bei dieser Erzählung ausgezeichnet zur Geltung kommt, der Einfältigkeit des amerikanischen Mainstreams gegenüber eindrucksvoll in den Kinohimmel dieser Tage und lässt hoffen das zukünftig weitere, vergleichbar konzipierte und insbesondere ambitionierte Projekte eine charakteristisch europäische und interessante Mainstream-Alternative zu Hollywood schaffen - auch Guillermo del Toros meisterlicher „El Laberinto del Fauno“ bestärkte jüngst diese Hoffnung. Paul Verhoeven ist zurück und hat uns mit „Zwartboek“ eine der herausragendsten europäischen Großproduktionen der letzten Jahre beschert - ich plädiere für eine Zugabe. Tom Tykwer und Bernd Eichinger dürfen sich mit ihrer sündhaft teuren, ungemein peinlichen „Parfum“-Adaption schamrot aus dem Scheinwerferlicht schleichen und staunen was ihr Kollege Verhoeven mit bedeutend beschränkteren finanziellen Mitteln hier aus dem brachliegenden Boden der niederländischen Filmlandschaft gestampft hat!

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