Ja, die Neunziger waren für die Gebrüder Scott kein Zuckerschlecken. Bruder Ridley verkalkulierte sich mit „1492: Conquest of Paradise“, „White Squall“ und „G.I. Jane“ gleich dreimal hintereinander, währendes Tony es nach seinem famosen U-Boot-Thriller „Crimson Tide“ auch zu nicht mehr als optisch auffallender Massenware brachte. „The Fan“ und „Spy Game“ blieben weit hinter ihren Erwartungen zurück und auch „Enemy of the State“ war nur ein passabler Kassenmagnet – gleichzeitig das Ende der Zusammenarbeit Tony Scott/Jerry Bruckheimer (zusammen nicht nur für „Crimson Tide“, sondern damals auch im Verbund mit Don Simpson für die Cruise-Knaller „Top Gun“ und „Days of Thunder“ verantwortlich).
Immerhin war man so geschickt Will Smith („I, Robot“, „Hitch“) für die Hauptrolle zu casten, denn der war nach „Bad Boys“, „Independence Day“ und „Men in Black“ ein Kassenmagnet, der das Publikum schon von ganz allein anzog.
Eigentlich erfüllt „Enemy of the State“ dann auch alle an meine an ihn gerichteten Erwartungen, nur waren die auch von vorn herein nicht sonderlich hoch. Scott serviert hier gut 120 Minuten hochprozentiges Adrenalinkino, das geleckt und geschniegelt bis in den letzten Pixel nach ordentlich was aussieht. Die Scott-typischen Kameraspielereien, die Reißschwenks, die irrsinnigen Kamerafahrten, das Maximum an Stilmitteln, all das findet man hier vor. Zwar noch nicht ganz so überladen wie jüngst in „Man on Fire“, aber sein markanter Stil der möglichst totalen Ästhetik ist hier nahezu omnipräsent.
Will Smith hetzt er dabei durch die Chose, als gäbe es einen Marathon zu gewinnen, denn Zeit zum Pausieren hat der Arme hier kaum. Ihm wurde von einem ehemaligen Studienkollegen, der versehentlich die Ermordung des Kongressabgeordneten Phillip Hammersley (Jason Robards in seiner vorletzten Rolle) durch die Schergen des skrupellosen NSA-Agenten Thomas Brian Reynolds (Jon Voight, „Deliverance“, „The Odessa File“)
filmte, zufällig und hastig inmitten der belebten Großstadt das belastende Videomaterial zugesteckt. Wenig später ist sein Kumpel tot und erst mal unwissend, eigentlich ein ganz einfacher Anwalt, das Hauptziel einer NSA-Operation. Die fahren nicht nur alle Antennen ihrer Überwachungshightechanlagen in seine Richtung aus, sondern engagieren auch schon mal die passenden Killer, um ihn und alle Mitwisser unschädlich zu machen. Was also tun, wenn einem langsam aber sich der Existenzteppich (Kreditkarte gesperrt, etc.) unter den Füßen weggezogen wird, die eigene Familie gegen einen ausgespielt wird und man niemandem mehr vertrauen kann? Flüchten und sich etwas einfallen lassen.
Darum geht es eigentlich bei „Enemy of the State“ alone and only. Dean flüchtet und Tony Scott zeigt das ganze mögliche Arsenal, um ihm zu Leibe zurücken, zu bedrohen und natürlich zu überwachen. Das ist angesichts der hier gezeigten Möglichkeiten eine atemberaubende Angelegenheit, denn da der Film auch in technischer Hinsicht nicht weit von der Realität entfernt sein dürfte, bleibt da dem Zuschauer schon mal ein Kloß im Halse stecken. Die hackenden Cracks der NSA friemeln sich nämlich von Parkplatzüberwachungen und Einkaufspassagen über Ampelkameras in so ziemlich jedes System, das Aufnahmen liefern könnte.
Das Tempo ist gewaltig und Scott geht nie vom Gas, lässt seinen unfreiwilligen Helfer in die Arme der falschen Helfer laufen und zaubert Gene Hackman („French Connection“, „Runaway Jury“) als Retter in der Not aus dem Nichts. Der mit allen Wassern gewaschene Ex-Agent nimmt sich des armen Anwalts, der gar nicht weiß in was er hier eigentlich geraten ist an und holt zum Gegenschlag aus. Fight back with their own weapons lautet der Slogan.
Eine wirklich ernsthafte Auseinandersetzung mit der Bedrohung des allmächtigen Polizeistaats, der nach Gutdünken seine Bevölkerung wie es ihm passt überwachen und dabei tief in seine Privatsphäre eindringen kann, fällt wie erwartet flach. Die Alibi-Plattitüden zum Schluss hätte sich Tony Scott genauso gut sparen können. Nun ist das hier aber immer noch eine Bruckheimer-Produktion und die fallen bekanntlich selten aufgrund ihrer zeitgemäßen, kritischen Standpunkte oder politischen Aussagen auf, weshalb man nicht so hart mit ihm ins Gericht gehen sollte. Wer mehr erwartet hat, ist selbst schuld.
Um dieses offensichtliche Manko zu kaschieren, schraubt Scott dann immer weiter am Tempomaten. Das Szenario bleibt oberflächlich und mit Sicherheit auch unglaubwürdig, aber es ist von bestechender Rasanz eines Vorzeigepopcornfilms. Der Unterhaltungswert ist dementsprechend hoch.
Die Story gönnt sich zwischendurch den einen oder anderen Subplot, die, zum Beispiel im Fall von Ex-Liebe Heather Lelache (Lisa Bonet, früher Denise in der „The Cosby Show“) dann nicht ganz soviel Ausführlichkeit erfahren hätten müssen, insgesamt lässt Scott aber keine Flaute zu. Dafür steht Dean einfach zu sehr im Fokus. Die Angst um seine Existenz, seinen Ruf, seine Familie und am meisten um sein Leben hält in ständig auf Trab.
Das Umdrehen des Spießes zum Schluss ist ein gewitzter Storykniff, der Tom Sizemore, der damals frisch von seiner Drogensucht befreit war und noch etwas abgewrackt aussieht, wieder ins Spiel bringt. Der löst dann seine Aufgabe auch einmal mehr auf seine ganz eigene, unnachahmliche Art und Weise. Ich liebe den Kerl.
Will Smith gibt den Gehetzten ohne schauspielerisch groß gefordert zu werden. Die paar geklopften Oneliner mit panischen, unglaubwürdigen Gesichtsausdrücken, hätten aber wohl auch andere hinbekommen. Als Sympath vom Dienst, als einfacher, von einer unsichtbaren Macht gehetzter Publikumsdarling machte er seine Sache aber ordentlich – Identifikation damit möglich.
Rauben tut ihm jede Szene jedoch Gene Hackman. Der ist als mit allen Wassern gewaschener Haudegen nicht nur reichlich kompromisslos und direkt, sondern auch schauspielerisch ein weiteres Mal eine Bank, da er das Charisma mitbringt, dass sonst alle anderen hier zu fehlen scheint. Jon Voight steckt in seiner klischeehaften Schurkenrolle fest und die junge Riege (u.a. Barry Pepper, Jake Busey, Jamie Kennedy, Jack Black) hat hier leider auch nicht mehr zu tun, als reichlich blass ein Handlangerdasein (vom PC-Spezi bis zum Killer) zu fristen. Fraglich ob die vielen Rollen angesichts ihrer Unwichtigkeit wirklich so prominent hätten besetzt werden müssen.
Der lockere Witz geht „Enemy of the State“ nie ab, weswegen das Szenario zwischendurch auch die dringend benötigte Auflockerung erfährt. Zum großen Wurf reicht es schlussendlich dann jedoch nicht. Dafür ist die Angelegenheit etwas zu ausgewalzt und zu wenig komplex. Dass man sich hier nie wirklich ernsthaft mit dem Thema auseinandersetzen wollte, sollte klar sein, doch von einer Bruckheimer-Produktion hat man auch schon weniger vorhersehbare Stoffe gesehen. Mal abgesehen vom geschickt die Parteien an einen Tisch bringenden Ende, ist „Enemy of the State“ eine Treibjagd mit den üblichen Elementen. Von der bloßen Bedrohung der Person, der Entfernung seiner minimalsten Existenzbedürfnisse, bis hin zum Retter und der sich anschließenden Revenge-Aktion findet sich hier wirklich alles wieder, was in so einem Actionthriller, der gegen eine einzelne Person gleich das Arsenal einer ganzen Behörde aufhetzt, erwartet.
Fazit:
Tony Scott tritt einmal wieder ordentlich auf das Gaspedal und erweist sich als kompetenter Genreregisseur mit unverwechselbarem Stil. „Enemy of the State“ behandelt sein Thema erwartend oberflächlich, hält aber einmal losgelassen bis zum Ende nicht mehr still. Das ist eigentlich schade, weil ich gegen ein paar kurze Atempausen zum resümieren nichts gehabt hätte. Angesichts der vorhandenen Substanz vielleicht etwas zu lang, dafür jedoch hochtechnisiert, aufgestylt und bis zur letzten Sekunde ein optischer Overkill. Um ihn schlussendlich rein subjektiv zu betrachten: Mir fehlt hier einfach das oft zitierte und manchmal nicht einwandfrei definierbare Etwas. Tony Scott macht eigentlich soweit alles richtig, nur ein großer Film wir eben nicht draus. Für die ist dann aber auch meist Bruder Ridley zuständig. Bleibt immer noch Fast-Food-Kino, das während seiner Laufzeit kompakt unterhält, dann allerdings keinen bleibenden Eindruck hinterlässt – zumindest bei mir.