„Grauzonen"
„Ich schlafe mit meiner Frau, aber ich lebe mit meinen Partnern. Niemals würde ich sie verraten."
Als Danny Ciello den Ermittlungsbeamten der Staatsanwaltschaft diese Worte entgegen schleudert, entlädt sich nicht nur der ganze Frust des New Yorker Drogenfahnders über das eigene moralische Dilemma. Gleichzeitig offenbart er hier auch Kodex und Selbstverständnis einer Polizeieinheit, bei der die Grenzen zwischen Gut und Böse, zwischen Recht und Unrecht längst verwischt sind und einem alles überdeckenden Grau Platz gemacht haben. Ein Grau, unter dem man sich auf beiden Seiten des Gesetzes gemütlich eingerichtet hat und das sämtliche moralischen wie idealistische Vorsätze der Gesetzeshüter in einen profitabeln Pragmatismus verwandelt hat.
Detective Ciello (Treat Williams) ist der Star seiner Abteilung. Jung, dynamisch und erfolgreich hat er es binnen kürzester Zeit zum leitenden Beamten einer Spezialeinheit des New Yorker Rauschgiftdezernats gebracht. Er ist der „Prince of the City". Mit seinen Partnern pflegt er eine ebenso innige wie komplizenhafte Beziehung. Sonn- und Feiertags trifft man sich zum familiären Barbecue, im Dienst teilt man redlich die regelmäßig bei diversen Razzien anfallende Beute und feiert die errungenen „Erfolge" bei gemeinsamer Maniküre, Drogenkonsum sowie Bordellbesuchen. Zur lokalen Unterwelt pflegt man ein auf gegenseitige Gefälligkeiten gestütztes, teilweise freundschaftliches Verhältnis. Doch den einst idealistischen Cop plagen Gewissensbisse, genährt durch die Vorwürfe seines drogensüchtigen Bruders und seines integren Vaters. Danny bietet sich schließlich internen Ermittlern gegen Polizeikorruption als Spitzel an. Einzige Bedingung: er wird keinesfalls gegen einen seiner Partner aussagen.
Der US-amerikanische Regisseur Sidney Lumet gilt als Experte für gesellschaftskritische Stoffe und deren moralische wie psychologische Begleiterscheinungen. Immer wieder kehrt er dabei in seinen Filmen in den Gerichtssaal und zu Polizeikreisen zurück. Das ist nur konsequent. Lassen doch die Schwurgerichte als Spezifikum des amerikanischen Rechtssystems den Courtroom zum gesellschaftlichen Brennpunkt zwischen Bürger, Rechtsprechung und Kriminalität werden. Der Cop wiederum steht an der Schnittstelle von Recht und Unrecht und ist damit nicht nur permanenter Gefahr, sondern auch mannigfaltigen Versuchungen ausgesetzt. Lumet hat diese Zusammenhänge bereits mehrfach filmisch aufgearbeitet, ob in seinem Erstlingswerk Die zwölf Geschworenen (1957), dem Polizeidrama Serpico (1973) oder jüngst in dem Mafia-Prozessdrama Find me guilty (2006).
Seine Filme zeichnet dabei stets ein Reportagehaft-präziser Stil aus. Zwar legt der Regisseur den Finger durchaus in gesellschaftliche Wunden, ohne allerdings ins Moralisieren zu verfallen. Dieser nüchterne und sachliche gesellschaftskritische Ansatz kennzeichnet auch Prince of the City. Danny Ciello wird weder zum Märtyrer stilisiert, noch als völlig korrupter Gesetzeshüter durch den Schmutz gezogen. Er erscheint vielmehr als ein zwischen Zweifeln, Ehrgefühl und Opportunismus hin- und her gerissener Getriebener, der sich von seinen inneren Dämonen befreien will und damit Freund wie Feind in den Abgrund stürzt.
Auch als Zuschauer schwankt man zwischen Sympathie, Mitgefühl, Abscheu und Entsetzen über diesen ambivalenten aber gleichwohl realistisch und lebensnah gezeichneten Charakter. Ein großes Verdienst kommt dabei Hauptdarsteller Treat Williams zu, der die von Al Pacino abgelehnte Rolle (er wollte keinen zweiten Serpico drehen) mit seinem facettenreichen Spiel eindrucksvoll ausfüllt.
Man muss sich auf diesen Film einlassen, der in 160 Minuten zwar unaufgeregt, aber durchaus intensiv das teilweise undurchdringliche Gestrüpp zwischen Polizeikorruption, Ehrenkodex, Verbrechertum und moralischer Integrität kommentiert. Die Grenzen verschwimmen mit zunehmender Dauer des Films zusehends und offenbaren sowohl einige Schatten auf Seiten der Staatsanwaltschaft und deren Methoden wie auch Licht auf Seiten der „Bösen" und Korrupten.
Mit Prince of the city verfilmte Lumet die authentische Geschichte eines New Yorker Drogenfahnders nach dem Tatsachenroman Robert Daleys. Neben der "wahren Geschichte" trägt vor allem Lumets Gespür für Locations wesentlich zum realistischen Ton des Films bei. Aufgewachsen in einem Armenviertel der Weltmetropole, kennt Lumet auch das „andere New York", jenseits von Fifth Avenue, Central Park Und Times Square. Er wiederlegt hier klar das häufig genante Vorurteil , er könne nur in begrenzten Räumen (Die zwölf Geschworenen, Mord im Orientexpress) Spannung und Atmosphäre erzeugen.
Prince of the city bezieht einen Großteil seiner Spannung weniger aus der äußeren Handlung, als vielmehr durch Dialoge und Mimik. Über 100 Sprechrollen erfordern zwar ein hohes Maß an Aufmerksamkeit und Konzentration. Bringt man allerdings beides auf, kann man sich der Sogwirkung des Films nicht mehr entziehen und wird mit einer faszinierenden Mischung aus Charakterstudie, Thriller und gesellschaftspolitischem Drama entlohnt.
(8,5/10 Punkten)