„Er hasst die Menschen, weil er nicht anders kann.“
„Ist das Leben nicht schön?“, jene vom italienischstämmigen US-Regisseur Frank Capra („Hier ist John Doe“) inszenierte, auf der Kurzgeschichte „The Greatest Gift“ Philip Van Doren Sterns basierende Fantasy-Tragikomödie aus dem Jahre 1946, gilt jenseits des Atlantiks als einer der beliebtesten Weihnachtsfilme und genießt auch hierzulande viel Renommee. Dem in Schwarzweiß gedrehten Original wurden drei verschiedene nachkolorierte Varianten zur Seite gestellt, von denen die dritte aus dem Jahre 2007 den Segen der Capra-Nachlassverwaltung erhielt.
„Die Jugend von heute ist doch zu dämlich!“
Nachwuchsengel Clarence (Henry Travers, „Drachensaat“) bekommt an Weihnachten die Möglichkeit, sich seine Flügel zu verdienen, indem er auf Erden, genauer: in der Kleinstadt Bedford Falls, George Bailey (James Stewart, „Tanz auf dem Eis“) vom Selbstmord abhält. Dieser ist ob seiner finanziellen Nöte vollkommen verzweifelt und wäre am liebsten gar nicht erst geboren worden. Clarence nimmt sich seiner an und zeigt ihm, was aus seinem Heimatort und dessen Bewohnerinnen und Bewohnern geworden wäre, hätte es ihn tatsächlich nie gegeben…
„Sentimentales Gefasel!“
Zunächst erklingen Stimmen aus dem Off, es wird zu Gott für Mr. Bailey gebetet. Im Weltall unterhalten sich zwei Galaxien über ihn, schließlich wird Engel Clarence entsandt. Diesem gewährt Gott Einblicke in George Baileys Leben, beginnend mit dessen Kindheit. Capra visualisiert diese in ausgedehnten Rückblenden à la „Citizen Kane“ und Konsorten, die einen Großteil des Films ausmachen. So sehr der Prolog auch im von christlicher Mythologie geprägter Fantasy angesiedelt ist, so sehr ist Georges persönlicher Werdegang in der Realität und somit der jüngeren Geschichte der USA verwurzelt. Die Rückblenden setzen im Jahre 1919 ein, als der zwölfjährige George seinem Bruder Harry das Leben rettet, dadurch aber auf einem Ohr das Gehör verliert. Nach der Schule arbeitet er in einem Drogeriegeschäft, dessen Chef Mr. Gower (H. B. Warner, „Blutrache“) ihn ohrfeigt. Dank seiner Achtsamkeit rettet George dort einem weiteren Jungen das Leben und bewahrt Gower vor schwerwiegenden Problemen.
„Willkommen zu Hause, Mr. Bailey.“
Im jungen Erwachsenenalter fängt George in der Bausparkasse „Building and Loan“ seines Vaters (Samuel S. Hinds, „Lebenskünstler“) an und übernimmt das Geschäft nach dem überraschenden Tod seines Vaters. Miethai Henry F. Potter (Lionel Barrymore, „Dr. Kildare“) beginnt, in der Bausparkasse eine unliebsame Konkurrenz zu sehen, und hat es auf sie abgesehen. George verteidigt das Unternehmen erfolgreich, muss jedoch dessen Leitung übernehmen, um den Fortbestand zu sichern. Dafür stellt er seine eigenen Pläne, Bedford Falls zu verlassen, zu studieren und die Welt zu sehen, hintenan. Sein Bruder Harry (Todd Karns, „The Courtship of Andy Hardy“) besucht indes das College, heiratet in eine reiche Familie ein und lässt George mit „Building and Loan“ und all seinen unerfüllten Träumen allein.
„Sie sind ja tot mehr wert als lebendig!“
George heiratet seine Jugendfreundin Mary (Donna Reed, „Schnellboote vor Bataan“), doch die geplante Hochzeitsweltreise platzt, als die USA in der Depression versinken. „Building and Loan“ steht dadurch vor dem Kollaps und kann nur gerettet werden, weil George und Mary ihr für die Weltreise gedachtes Privatvermögen ins Unternehmen stecken. Sie beziehen ein bescheidenes Heim und bekommen vier Kinder. Für Mr. Potter ist George weiterhin ein Dorn im Auge, insbesondere, weil dieser durch sozialen Wohnungsbau seine Macht gefährdet. Potter versucht, George zu kaufen, doch dieser bleibt standhaft. Den Zweiten Weltkrieg verbringt George an der Heimatfront, während sein Bruder als Kriegsheld zurückkehrt. Ausgerechnet an Heiligabend des Jahres 1945 geschieht das Unglück: George verliert versehentlich 8.000 Dollar an Mr. Potter, der die Summe unterschlägt und hofft, dass die am selben Tag stattfindende Buchprüfung „Building and Loan“ und George aufgrund des fehlenden Betrags wegen vermeintlicher Bilanzfälschung den Garaus macht. Potter zeigt George gar polizeilich an und entspinnt eine schmierige Rufmordkampagne gegen ihn. Als der tieftraurige George dann auch noch verprügelt wird und einen Autounfall baut, ist er des Lebens überdrüssig.
So werden also die wichtigsten Stationen im Leben eines Mannes abgeklappert, der nie egoistisch handelte und immer wieder zurücksteckte, um Verantwortung für die Gemeinschaft zu übernehmen und zu helfen. Sein Antipode ist der raffgierige alte Kapitalist Potter, der auch nicht vor unlauteren Methoden zurückschreckt, um sich seinen eigenen Vorteil zu sichern, aus dem heraus er seine Mitmenschen ausbeutet. Georges Geschäftsmodell hingegen ist auf Gemeinnützigkeit ausgerichtet, er bereichert sich nicht an hohen Zinsen oder Säumniszuschlägen bei verzögerten Ratenrückzahlungen. Entsprechend niedrig ist sein Gewinn, dafür kann er aber seinen Kundinnen und Kunden unter die Arme greifen, unbürokratisch Notlagen durchzustehen helfen und dazu beitragen, dass Bedford Falls für möglichst viele Menschen ein Ort bleibt, in dem es sich zu leben lohnt. Einen entsprechend guten Leumund genießt er in der Kleinstadt. Und doch erscheint ihm am Ende alles so schrecklich sinnlos.
Dass dem nicht so ist, tritt Engel Clarence ihm zu zeigen an. In der Vision eines Bedford Falls, das einen George Bailey nie gekannt hat, ist aus der beschaulichen Kleinstadt ein Sündenpfuhl geworden, der ganz auf Profitmaximierung ausgerichtet ist und kaum noch glücklich Menschen kennt. „Ist das Leben nicht schön?“ ist nicht nur die persönliche Geschichte George Baileys, die suggeriert, man habe mehr Einfluss, als man oft zu glauben geneigt ist, sondern auch eine sehr direkte Parabel auf gesellschaftliche und politische Entwicklungen. Ein Thema wie das Recht auf eine Wohnung wird lediglich gestreift, in den unterschiedlichen Geschäftsmodellen Baileys und Potters lässt sich jedoch auch mit wenig Fantasie eine Gegenüberstellung von sozialistischer und kapitalistischer Wirtschaft herauslesen. Das sah auch das FBI zu Zeiten der Kommunismusparanoia so, das dem Film seine Kapitalismuskritik vorwarf. Nicht übel für einen „Wohlfühlfilm“.
Kapitalist Potter trägt Züge Mr. Scrooges aus Charles Dickens’ Weihnachtsgeschichte, wird jedoch nicht geläutert. Auch dass ein Fantasiewesen dem Protagonisten Einblicke gewährt, die ihm sonst verborgen blieben, erinnert an Dickens. Capra schuf aus der (mir unbekannten) Vorlage Van Doren Sterns dennoch etwas sehr Eigenes, dessen Ende (das zur bis heute andauernden Popularität der Weihnachtslieder „Hark! The Herald Angels Sing“ und „Auld Lang Syne“ beigetragen haben dürfte) vielleicht etwas sehr dick aufgetragen ist – aber wenn nicht an Weihnachten, wann dann?
Unabhängig davon, als wie dominant man die politische Ebene des Films empfindet oder werten möchte, ist „Ist das Leben nicht schön?“ ein zu Herzen gehender Appell an ein solidarisches Miteinander. Die Rezeptionsgeschichte des Films klingt dabei fast selbst wie eine Episode aus Baileys Leben: Der sorgfältig inszenierte und hochkarätig besetzte Film floppte zunächst an den Kinokassen, avancierte insbesondere durch seine regelmäßigen Fernsehausstrahlungen jedoch zu einem angesehenen Klassiker, der aus dem Geschichte des Weihnachtsfilms nicht mehr wegzudenken ist.