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Die Magie des Geruchs, der Düfte, des Parfums…

Wie verfilmt man ein Buch, in dem kaum ein Dialog stattfindet, in dem so viele Gerüche be- und umschrieben werden und in dem das Ende in einer großen Orgie mündet? Stanley Kubrick war sich sicher: gar nicht. Aber nun nahmen sich Tom Tykwer („Lola rennt“; „Heaven“) und Bernd Eichinger (Produzent „Der Untergang“) des Bestsellers „Das Parfum“ von Patrick Süskind an, verfilmten ein 320 Seiten Buch in knapp 135 Minuten und die anfängliche Skepsis weicht schnell Begeisterung, denn auch wenn es nach dem Genuss des Buchs schwer fällt zu glauben, dass man diese Worte in Filmform bringen kann, so ist die Erkenntnis doch bald eindeutig: Tykwer schaffte es bestmöglich…

Jean-Baptiste Grenouille (Ben Whishaw) lebt im 18. Jahrhundert in Paris und hat eine ganz besondere Fähigkeit: er riecht alles und jeden, in finsterster Nacht, Kilometer weit entfernt. Mit seiner besonderen Nase findet er nach schwerer Kindheit eine Stelle beim Parfümeur Baldini (Dustin Hoffman; „The Graduate“), dessen Geschäfte nicht schlechter laufen könnten und er so Grenouille anstellt, da dieser die besten Parfums „einfach so frei Nase“ herstellen kann. Bei ihm lernt der Wunderjunge, Duftstoffe aus unterschiedlichen Pflanzen und Blumen zu konservieren. Das ist ihm auch für sein Vorhaben von Nöten: als er den Duft eines jungen Mädchens in den Menschenmengen von Paris riecht und sie deshalb in einer Gasse umbringt, der Duft kurze Zeit später aber verflogen ist, nimmt er sich vor, die schönsten Düfte zu einem einzigen Parfum zu vermischen und so zu erhalten. Auch wenn er dafür über Leichen gehen muss…

Zum näher rückenden Filmstart nahm ich mir auch mal wieder ein Buch vor und las es, bevor ich den Film sah. Man soll ja nicht Bücher und deren Verfilmungen vergleichen, aber es bietet sich immer wieder an.
Natürlich musste für das Drehbuch hier und da etwas gekürzt werden, wurde zeitlich etwas anders wiedergegeben und mussten die Dialoge fast komplett neu, besser gesagt überhaupt, geschrieben werden, da ja schon wie oben erwähnt kaum ein Wortwechsel im Buch vorhanden ist. Das geht so weit, dass der einzige Dialog sich aus dem Ganzen abhebt, indem er wie für ein Theaterstück auf Papier gebracht wurde.
Und ein weiterer Punkt fiel nach Beendigung des Buches auf: der Trailer suggerierte wieder etwas vollkommen Falsches, tarnte ihn für Nicht-Buchkenner als Thriller, was natürlich verlockender klingt als die Charakterstudie, die es im Kerne ist. Aber im Grunde ist es nach wie vor „Das Parfum – Die Gesichte eines Mörders“ und nicht „Das Parfum – Die Geschichte seiner Morde“, halten die Morde sich glücklicherweise dezent zurück, auch wenn sie länger als im Buch breitgetreten werden.
Aber auch gerade hier drin zeigt sich die Klasse des Drehbuchs. Die Enfleurage-Methode, die Grenouille in Grasse lernt, um Gerüche der unterschiedlichsten Dinge zu konservieren, wird nicht wie im Buch anfangs lang und breit erklärt, sondern wird im Kontext der Morde eingebettet, so dass man während dieser die Vorgehensweise dabei zu sehen bekommt. Wenn man sie kennt, werden alle anderen Morde, buchähnlich, schnell abgehakt, nicht aus Sicht Grenouilles, sondern aus der der Stadtbewohner. Aber anfangs machen die längeren Mordszenen durchaus Sinn.
Sonst wurde sich relativ eng ans Buch gehalten, Laufzeit bedingt bleibt gerade die Kindheit Grenouilles etwas unbeleuchtet, dürfte Zuschauer, die das Buch nicht kennen etwas schnell abgehandelt werden, dennoch werden immer so viele Informationen gegeben, dass man einen Einblick in das Leben dieser Mischung aus Genie und Wahnsinnigem bekommt.
Gerade aber seine Gefühls- und Gedankenwelt wird wenig(er) beleuchtet, was soweit geht, dass der erste Mord fast schon aus einem Versehen heraus geschieht, der Duft des Mädchens daraufhin verfliegt und er so den Entschluss fast, das perfekte Parfum zu schaffen. Im Buch allerdings können die Gedanken und Gefühle, von denen er nie wirklich eines besitzt oder fühlt, anders dargestellt werden, so dass gerade diese Szene anders wirkte.
Trotzdem fand sich das perfekte Mittelmaß, so dass weder Buchkenner noch dessen Nichtkenner vor den Kopf gestoßen werden dürften.

Zum Gelingen des Films trägt natürlich maßgeblich der, bis dato eher unbekannte, Hauptdarsteller Ben Whishaw bei. Er vereint Schüchternheit, Unschuld, Zielstrebigkeit, Wahnsinn und in gewisser Weise auch Begeisterung, vielleicht Liebe, so perfekt in einem Auftritt, dass man sich nie sicher sein kann, was er gerade plant, keiner ihn verdächtig, er nicht mal jemandem auffällt. Wie nur er weiß, ist es aber nicht sein Äußeres, es ist sein Geruch – oder viel mehr sein nicht vorhandener Geruch, der ihn praktisch unsichtbar werden lässt. So verschwindet er buchstäblich immer wieder in den Schatten der Grasser Gassen, bleibt unbemerkt und erst mit der Verwirklichung seines Traums, des einen Parfums, wird ihm so etwas wie Bewunderung zuteil, ganz am Schluss, doch das wird ihn kurze Zeit später innerlich zerbrechen...
Auch das schien das Buch anfänglich unverfilmbar zu machen.
Alles dreht sich um Gerüche, Duftstoffe, die im Buch mit etlichen Vergleichen beschrieben werden konnten. Aber so etwas geht im Film nicht. Tykwer schnitt deshalb in rasanter Folge markante Düfte, für die es keinen Geruchsfilm geben muss (beispielhaft dafür die erste dieser Szenen, in der die Gerüche auf dem Pariser Fischmarkt, ausgenommene Fische, Blut, Gedärme, kotzende Menschen, Dreck…, als erste der „Düfte“ in Jean-Baptistes Leben auf ihn einwirken), hintereinander, strömen sie so auf des Zuschauers Augen ein wie auf Grenouilles Nase. So bekommt man eine ungefähre Vorstellung davon, was Grenouille riecht.

Anders kommt es dann als er den Duft seines Lebens bemerkt - den von Laure Richis (Rachel Hurd-Wood; „Peter Pan“). Ich kann immer noch nicht beschreiben, was sie so bezaubernd macht, doch im ersten Augenblick gleich, strahlt sie was Magisches aus, so dass man schnell die Bewunderung des Mannes mit der feinen Nase teilt.
Dabei muss Hurd-Wood nicht mal großartig viel machen, ihr bloßes Erscheinen reicht aus, um zu zeigen, dass sie das Augenmerk des Films, der Geschichte, des Lebens von Jean-Baptiste ist. Sie besitzt etwas Naives, Fragiles, das es gilt, auf Ewig zu bewahren.

Des Weiteren trifft Grenouille auf verschiedene Menschen, auf die er angewiesen ist, da sie ihm sein Ziel näher bringen und denen immer etwas passiert, wenn sich ihre Wege trennen.
Dustin Hoffman spielt den desillusionierten Parfümeur Baldini, der ihn anstellt, als er die Gabe bemerkt. Aber hier wurde zu viel aus dem Buch gekürzt, scheint es verwunderlich, was ihn wirklich dazu treibt, dass er den anfangs Unbekannten in seiner Werkstatt hantieren lässt.
So sollte man aufmerksam dabei bleiben, um die Motive einiger Charaktere zu verstehen.
Alan Rickman („Harry Potter 1-4“) als besorgter Vater Laures fällt da in die gleiche Kategorie. Seine Flucht scheint etwas überhastet, was das Schauspiel Rickmans aber nicht mindert. Eigentlich kalt hinter seinem hohen Rang versteckend, wird er bei seiner Tochter immer wieder weich, tut alles für sie.

So hangelt sich der Film einmal komplett durch das Leben von Jean-Baptiste, oftmals getragen von einem Off-Erzähler, der angesichts der vielen Fakten und Vorkommnisse auch nötig ist, da es einfach nicht in Dialoge gepasst hätte, zeigt seine Fähigkeit, seine Zähigkeit, seinen Überlebenswillen des Duftes wegen und lässt es dann in einer Szene enden, die man wahrscheinlich so schnell nicht vergessen wird: eine riesige Orgie auf dem Grasser Marktplatz, bei der alle Hemmungen fallen gelassen werden - unter allen Teilnehmern. Niemand weiß, was mit ihm los ist, doch alle verfallen dem kleinen, unschuldigen Grenouille - besser gesagt unbewusst seinem einzigartigen Parfum. In Zeitlupe räkeln sich hier die Menschen, die Kamera schwebt über sie langsam hinweg, ruhige Töne kommen aus den Lautsprechern und man spürt, riecht förmlich, wie „das perfekte Parfum“ über sie hinwegströmt und die Leute verzaubert.

Kubrick hatte Unrecht: man kann das Buch verfilmen, Tykwer tat es. Auch wenn er einige Kompromisse eingehen musste, manche Motive der Charaktere im Halbdunkeln bleiben und die Gedankenwelt Grenouilles etwas vernachlässigt wurde, so ist das Ergebnis spannend, fesselnd, erschütternd und fast schon magisch, obwohl die Darstellung der Gerüche auf Zelluloid noch schwerer war, als sie mit Wörtern greifbar zu machen. Doch auch das gelang.
Ben Whishaw spielt hier wahrscheinlich schon die Rolle seines noch jungen Lebens und begeistert als genialer Massenmörder genauso wie Rachel Hurd-Wood.
Und auch wenn die, die das Buch nicht kennen, ab und zu ein paar Verständnisschwierigkeiten haben könnten, so ist auch ihnen der Film, der auch abseits des Vergleichs mit dem Buch zu gefallen weiß, als einer der großen Filme dieses Jahres sehr zu empfehlen.

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