Review

Grundsätzlich stellt sich doch die Frage, warum immer dann der Begriff "Literaturverfilmung" über Allem schwebt, sobald es sich bei der Vorlage um einen sogenannten "Bestseller" handelt.

Bei der genauen Ergründung von Drehbuchvorlagen würde der Filmfan überrascht sein, wie oft der Story schon vorhandene Literatur zu Grunde liegt. Nicht ohne Grund vergibt Hollywood zwei verschiedene Oskars für Drehbücher, je nachdem ob sie original oder adaptiert sind . Nur wenn kaum Einer die Grundlage zur Story kennt, schert sich auch niemand um die Qualität der Umsetzung.

Und ist es überhaupt gerechtfertigt einen Film danach zu beurteilen ? - Ist ein Film schon deshalb sehr gut, weil er die Romanvorlage kongenial umsetzt, obwohl diese vielleicht nur von mittelmäßiger Qualität ist ? - Vielleicht ist es sogar ungerecht gegenüber einem Film, denn ein Autor hatte zum Zeitpunkt der Entstehung seines Romans sicherlich keine Filmumsetzung im Kopf.

Ich habe "Das Parfüm" von Süsskind nicht gelesen und empfinde das in diesem Fall als Privileg - ich hatte keine Bilder im Kopf, beteilige mich nicht an der Diskussion über die Optik des Hauptdarstellers, sondern ließ mich überraschen und gehe in meiner Beurteilung des Films von den selben Maßstäben aus, die ich auch bei anderen Filmen anlege.

Zuerst möchte ich Bernd Eichinger für die Wahl des Regisseurs Tom Tykwer gratulieren, denn die Figur des Jean-Bapiste Grenouille paßt als gesellschaftlicher Außenseiter in dessen Gesamtwerk . Schon im "Winterschläfer" mit dem Fotografen ohne Kurzzeitgedächtnis und noch stärker in "Der Krieger und die Kaiserin" beschäftigt sich Tykwer mit Menschen, die von ihrer Umgebung nicht ihren Fähigkeiten entsprechend eingeschätzt werden, weil sie als seltsam oder fremdartig angesehen werden.

Und so ist die Bildsprache des "Parfüm" ganz entsprechend Tykwers Stil, der lange ruhige Einblendungen bevorzugt und immer wieder sehr nahe an Gesichter herangeht und diese dann in helles Licht taucht ,um damit eine Unendlichkeit oder Intensität zu dokumentieren, die der normalen Umgebung völlig abgeht.

So ist die Realität Mitte des 18.Jahrhunderts, die uns erst nach Paris ,später nach Grasse führt ,voll von Dreck, Eigennutz, Hochmut, Rücksichtslosigkeit und vor allem Dummheit geprägt. Jean-Baptiste überlebt in dieser feindlichen Umwelt, die ihn als Sklaven behandelt und ausnutzt, nur dank eines eisernen Willens und stoischer Unterordnung. Die einzige Sache, die ihn wirklich interessiert, ist die Welt der Gerüche, die er bis ins winzigste Detail intensiv empfinden kann. Nur der Wunsch, einmal alles auskosten zu können, was ihm diese Vielfalt bieten kann, läßt ihn die Erniedrigungen ohne Aufzubegehren überstehen.

Auch hier erkennt man wieder Tykwers Stil, der uns in einer Mischung aus extremen Details, optischen Überblendungen und bildlicher Darstellung von Assoziationen, das Geruchsempfinden bildlich nahe bringt. Gerade die ersten Szenen auf dem Fischmarkt gelingen so intensiv, daß man froh ist, das nicht riechen zu müssen, selbst mit normalem Geruchssinn. Natürlich bleibt er dabei konventionell - Häßlichkeit wird mit schlechtem Geruch, Schönheit mit herrlichem Geruch gleichgestellt - obwohl Grenouille die Gerüche selber gar nicht beurteilt.

Das ändert sich, als ihm bei seinem ersten alleinigen Spaziergang durch das nächtliche Paris das Mirabellen-Mädchen begegnet, deren jungfräulicher und wunderschöner Geruch für immer in seinem Gedächtnis bleibt und sein weiteres Handeln von nun an entscheidend prägt...

Der Film erzählt diese Geschichte sehr linear und ohne Nebengeschichten, er bleibt immer nahe an Grenouilles Leben. Dabei ist er insgesamt sehr ernst, immer in opulenten Bildern schwelgend, die den Zuseher sehr überzeugend in die Zeit vor 250 Jahren zurückführt. Sehr viel Zeit nimmt er sich dafür, deutlich zu machen, welche Beweggründe Grenouille zu dem treiben, was ihn später zu seinen zahlreichen Morden führt. Das Tempo in der ersten Hälfte des Filmes ist deshalb auch deutlich ruhiger als die zweite Hälfte, die auch spannende Thriller-Elemente enthält und sich mit der Aufdeckung des Kriminalfalles beschäftigt.

Es gibt aber auch komische und sarkastische Momente, besonders in der Figur des Parfümers Guiseppe Baldini ,von Dustin Hoffmann symphatisch schrullig gespielt, und in den kleinen Hinweisen auf das weitere Leben von früheren Wegbegleitern Grenouilles, die immer in kleinen Szenen dargestellt sind - hier leistet der Film sich eine Prise schwarzen Humors.

Auch Grenouilles extreme Fähigkeit des Riechempfindens wird teilweise mit sehr plastischen Bildern beschrieben, die ihn sofort als nächstes Mitglied bei den "X-Men" befähigen würden. Passend dazu auch seine traumwandlerische Fähigkeit Parfüms zu mischen, die er beim ersten Mal in einer Art Wettkampf demonstriert - das Ganze ist nicht ohne Showeffekt.
So leistet der Film ein insgesamt stimmiges Bild des Werdegangs des Jean-Baptiste Grenouille - seine Beweggründe werden deutlich gemacht, seine Fähigkeiten für uns bildlich nachvollziehbar dargestellt und seine sonstige Umgebung im Gegensatz dazu als tumbe, in ihren Empfindungen und Wünschen niedrig gestellte Masse beschrieben, die gar nicht in der Lage ist, ein solches Genie in ihrer Mitte zu erkennen oder gar anzuerkennen.

Der Film vermeidet es völlig, daraus irgendeinen gesellschaftskritischen Ansatz mit erhobenem Zeigefinger zu machen. Er schildert diese Verhältnisse lakonisch ohne irgendwelche Anflüge von übertriebenen Emotionen - die Menschen scheinen fast zwingend so zu handeln, sie können nicht anders. Gerade dadurch bleibt für den Betrachter das Gefühl zurück , daß der Tod der Mädchen durch Grenouilles Hand ,welcher nie brutal dargestellt wird, sinnvoller ist als ihr von der Gesellschaft geplantes Weiterleben.

Fazit : Von seiner Story her ungewöhnlicher Film, der die Lebensgeschichte eines besonders begabten Außenseiters erzählt und den Betrachter durch die Schilderung seiner Beweggründe und die sezierende Darstellung der herrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse moralisch auf seine Seite zieht. Die Bildsprache und Ausstattung ist konventionell, gar konservativ, aber hoch qualitativ und der Intention angemessen.
Das Tempo ist ruhig, aber verliert nie an Fahrt - sehr unterhaltend, nicht zu lang, aber der Betrachter wird gefordert, sich auf die Bilder einzulassen - denn sie sind die eigentliche Story.

Einziger Kritikpunkt ist für mich, daß der Film keine emotionale Bindung herstellt. Der Betrachter bleibt immer außen vor, die Hauptfigur des Jean-Baptiste Grenouille, von Ben Wishaw bewußt unauffällig gespielt, taugt nicht zur Identifikation, weitere Personen werden im Film nicht differenziert genug dargestellt.

Das ist von den Machern beabsichtigt, die den Film als Einheit zeigen wollen, als optisches Parfüm, das einerseits diffus, nicht greifbar ist, anderseits beim Betrachter hängen bleibt - das ist gelungen (9/10).

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