Review

Ich kannte die Romanvorlage nicht und ging folglich unbelastet an Tom Tykwers zweieinhalbstündige Verfilmung des Bestsellers "Das Parfüm". Insgesamt meine ich hier einen hochwertigen Film gesehen zu haben, der sich jedoch wahrscheinlich nur buchkundigen Naturen wirklich in seiner vollen Breite erschliesst. Dass die Kenntnis der Vorlage wohl anzuraten ist ist, merkte ich besonders im Schlussdrittel des Filmes, welches mit (zugegebenermaßen harmloser) Massenorgie und alles wie jeden einnehmenden Meisterparfüm wohl schlicht nicht in voller Intensität auf die Leinwand zu bringen ist. So wirken diese besagten Filmszenen auf einen unbelesenen Zuschauer wie mich leider doch eher etwas lächerlich und nicht mit dem Rest des Filmes vollständig kompatibel. Wahrscheinlich werde ich mir den Roman doch einmal zu gemüte führen, um mir eine objektivere Meinung über das jüngst gesehene bilden zu können...

Wie dem auch sei. Als Film richtet sich "Das Parfüm" in jedem Falle an ein anspruchsvolleres Publikum. Nicht aufgrund etwa einer ultrakomplexen Geschichte, vielmehr begründet durch eine sehr ruhige, bisweilen auch mal langatmige Erzählweise und eine sehr atmosphärische Inszenierungsweise. Regisseur Tom Tykwer präsentiert wie schon in "Heaven" wunderschöne Landschaftsaufnahmen, kombiniert diese mit liebevoll ausgestaltete Kulissen und der Thematik entsprechend unzähligen bildgewordenen Gerüchen. Diese fantastische Detailflut findet im düsteren Paris des 18. Jahrhunderts ihren Höhepunkt. Der Gestank des Fischmarktes, die schummrige Pafümerie Baldini, es ist schon beeindruckend und es gelingt Tykwer tatsächlich, die den Film prägenden Gerüche beinahe leibhaftig erfahrbar zu machen. Atmebraubende Landschaftsaufnahmen prägen dann den zweiten, leider auch aus meiner Sicht schwächeren Teil des Filmes, in welchem Ausnahmenase Jean-Baptiste Grenouille (Ben Whishaw) sein grausiges Handwerk in die Tat umzusetzen beginnt. Meiner Meinung nach ist dieser zweite wesentliche Handlungsteil vor allem zu konventionell in seiner Inszenierung geraten - wobei ich noch einmal betone, dass mir das Buch nicht bekannt ist. Das gilt selbst für vordergründige Aspekte wie die gezeigte Gewalt. Von irgendeiner Genialität ist da nicht viel zu sehen, zu altbacken ist das Mörderspiel geraten - und gemessen an den gebotenen Inhalten wohl auch eindeutig zu lang.

Diese Überlänge wäre im ersten Part der Geschichte besser aufgehoben gewesen. Inbesondere die distanzierte Erzählweise dieser Hälfte gefiel mir da im Gegensatz zum späteren Geschehen viel besser. Über den Charakter Jean-Baptiste und seine außergewöhnliche Passion erfährt man zwar nicht all zuviel, das von einem allwissenden Erzähler nachgelieferte Hintergrundwissen jedoch überzeugt im Rahmen der wunderbaren Optik als Ersatz absolut. Selten war ein Erzähler so unentbehrlich wie hier! Dieser liefert jene Informationen, die der introvertierte, ganz in der Welt der Dürfte lebende Charakter des Jean-Baptiste stets verschweigt. Und es funktioniert!
Diese ganz spezielle, aus optischen Details und ungewöhnlich zurückhaltender Erzählweise geschaffene Stimmung läd förmlich zum Versinken ein und lässt diesen ersten Hauptakt des Filmes fast wie im Fluge verstreichen. Ich glaube gar, dass gerade die bewusst(?) distanzierte, undurchsichtig-geheimnisvolle Position Jean-Baptistes zum Zuschauer genau jene Magie ausmacht, die maßgeblich für das Gelingen der Geschichte ist.

Das dumm-durchschnittliche Asipublikum der wochenendlichen Spätvorstellungen würde zwar beim "Parfüm" wohl schon nach 10 Minuten durch Abstinenz quasi jeglicher Action die Augen genervt verdrehen und vemehrt das Handy zücken, für Cineasten jedoch hat Tom Tykwer mit "Das Parfüm" ein kleines El Dorado geschaffen. Vielleicht hätte ja ein charismatischerer Hauptdarsteller als Ben Whishaw insbesondere dem etwas langatmigen zweiten Teil noch etwas auf die Sprünge geholfen? Das mag durchaus sein, andererseits liefert aber gerade Whishaws so zurückhaltende, fremdkörperähnliche Art auch das gewisse Etwas, welches "Das Parfüm" eben doch ein Stück weit, ganz nach Tykwer-Art, über so manch anderen Film hinausragen lässt; und das trotz nicht unerheblicher Schwächen hinsichtlich des Erzählrhythmusses und der leider unvermeidbaren Zugeständnisse gegenüber einer jeden literarischen Vorlage.

Fazit: Auch ohne Kenntnis derselben ziehe ich meinen Hut vor Tom Tykwer, der den äußerst schwer verfilmbaren Stoff - das darf man wohl auch als unbelesene Seele konstatieren - wirklich hervorragend auf die Leinwand gebracht hat. Allein die phänomenalen Bilderwelten sind hier das Eintrittsgeld wert!
Meine Hoffnungen ruhen nun auf eine mögliche Extended(Shortened)-Fassung, die durch mehr Charakterzeichnung im ersten Filmteil und ausgefeilterer, womöglich knapperer Komposition im Schlussakt (besonders die Einbindung der Orgienszene) die wenigen imaginären Dellen auszudrücken vermag. Vielleicht liesse sich ja auch an der Prägnanz des insgesamt etwas zurückhaltenden Soundtracks noch etwas machen...

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