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Schon die ersten Bilder, die zwischen den klavierspielenden Händen der jungen Melanie und dem Fleischermesser ihres Vaters hin und her blenden, zeigen uns die Saat, aus der die Rache erwächst. Melanie spielt nicht aus Liebe zur Musik, sondern erarbeitet sich perfektionistisch ein Ziel. Als ihr freundlicher Vater kurz vor der Aufnahmeprüfung auf das Konservatorium zu ihr sagt, falls sie durchfalle, werde er ihr einfach weiter die Privatstunden bezahlen, antwortet sie nur mit einem kurzen "Nein !".

Regisseur Denis Dercourt verfällt keineswegs der naheliegenden Versuchung, aus dem Anachronismus zwischen Metzgerfamilie und Künstlerwunsch eine Begründung für Melanies späteren Rachefeldzug herzuleiten. Im Gegenteil unterstützen die Eltern ihre Tochter in allen Belangen und drücken deutlich mehr die Freude an deren Spiel aus, als sie selbst.

Ähnlich ist auch die Szene geschildert, die zu Melanies Scheitern beim Vorspielen führt. Die in der Jury sitzende Pianistin Ariane Fouchécourt (Catherine Frot) wird während Melanies Spiel kurz durch einen Autogrammwunsch abgelenkt. Natürlich steckt auch etwas Eitelkeit dahinter, aber die "Autogrammjägerin" hatte sich als sehr hartnäckig herausgestellt und man könnte Arianes Verhalten auch so deuten, daß sie diese endlich loswerden wollte. Wirklich störend war diese Aktion zudem auch nicht, so daß die Jury nicht versteht, warum in diesem Moment die bis dahin perfekt spielende Melanie einfach abbricht und damit ihr Aufnahmebegehren zum Scheitern bringt.

Ganz deutlich wird aus diesen Szenen mit der 10jährigen Melanie, daß sie sehr eigene Vorstellungen hat, deren Nichterfüllung für sie eine persönliche Katastrophe zu sein scheinen. Dabei legt sie eine Konsequenz an den Tag, die fast unmenschlich wirkt und bei der Freude, Verspieltheit und Improvisation keine Rolle spielen. So begründet es sich auch, daß sie ab diesem Tag mit dem Klavierspielen aufhört - Jemand, der Musik liebt oder aus Freude spielt, wäre dazu nicht in der Lage. Gerade dadurch, daß die hier geschilderten Ereignisse für den Betrachter keineswegs katastrophal wirken (sie hätte die Aufnahmeprüfung problemlos wiederholen können) und auch das Verhalten der Pianistin eher fahrlässig schien, macht Melanie für uns so unberechenbar und gibt dem Film eine Spannung, die dieser trotz seiner ruhigen Inszenierung bis zum Schluß aufrecht erhält.

Nachdem Melanie sorgfältig und bestimmt ihre Musikutensilien weggepackt hat und das Klavier für immer schloss, gibt es einen Zeitsprung zu der etwa 18jährigen, die ihr Praktikum in einem sehr angesehenen Anwaltsbüro beginnt. Schnell wird deutlich, daß Melanie ihre Perfektion auf ein anderes Gebiet verlagert hat, denn der Zugang zu einem solchen Büro ist äußerst schwierig und nur mit hervorragenden Noten und einem disziplinierten Lebenswandel erreichbar. Sie gewinnt schnell das Vertrauen von Kollegen und Vorgesetzten und bewirbt sich erfolgreich als Kindermädchen auf dem Landgut ihres Chefs. Dieser ist verheiratet mit der Pianistin Ariane, mit der er den gemeinsamen Sohn Tristan hat. Und so sehen wir Melanie gemäßigten Schrittes auf die Frau zugehen, die sie für ihr Scheitern verantwortlich macht...

Déborah François spielt die Melanie in einer Art und Weise, daß der Zuseher immer im Zweifel bleibt, ob sie ihren Racheplänen weiter nachgeht oder vielleicht doch aufgibt. Denn sie ist nicht nur sehr freundlich und höflich, sondern zudem noch von großer, allerdings kühler Schönheit. Es hat immer schon Beispiele im Film dafür gegeben, daß sich gerade junge Frauen schnell Vertrauen verschafften, um dann brutal zuzuschlagen, aber sie alle hatten nicht Melanies Perfektion.

Während in der Regel schon frühzeitig Brüche gezeigt werden, um die wahre Gesinnung hinter der Fassade anzudeuten, beläßt es Regisseur Denis Dercourt bei minimalen Zeichen. Ein kleines fast unmerkliches Grinsen überfliegt ihr Gesicht, als ihr Chef sie zu seinem Haus abholt, einen kurzen Moment taucht sie Tristan im Schwimmbecken unter und einen winzigen Augenblick erwischt die Kamera eine nackte Brust der sonst immer äußerst züchtig angezogenen Melanie. In diesen kurzen Sequenzen erahnen wir eine verborgene Seite und spüren so etwas wie Emotionen.

Ihr gegenüber steht Ariane, die Pianistin. Im Gegensatz zu Melanie hat sie sich überhaupt nicht im Griff. Scheinbar durch ihre gesellschaftliche Stellung und durch ihr künstlerisches Talent in eine überlegene Position gebracht, bleibt sie trotzdem immer nervös und verunsichert. Schon ab dem Beginn ihrer Begegnung wirkt Melanie ihr überlegen und wird schnell unverzichtbar für Ariane als Notenumblätterin und besonders als psychische Stütze. Catherine Frot spielt die Ariane hervorragend in ihrem ständigen Bestreben die Fassade wahren zu müssen, Stärke und Konsequenz ausstrahlen zu wollen, aber gleichzeitig ihre zitternden Finger nicht unter Kontrolle halten zu können. Diese Ambivalenz wirkt befremdend, da sie, die sehr emotional und künstlerisch veranlagt ist, oft sehr steif und fast unfreundlich wirkt - selbst ihr Sohn beklagt sich einmal, daß sie nie mit ihm spielen würde.

Einen solchen Fehler würde Melanie nie begehen und damit spielt Regisseur Denis Dercourt weiter geschickt auf der Klaviatur unserer Erwartungshaltung und Menschenkenntnis. Denn so wie Melanie sich ihr Vertrauen bei den anderen Personen erwirbt, gewinnt sie es auch bei uns. Obwohl wir das Fortschreiten ihres Planes erkennen und auch die Perfidität dahinter, kommen wir gegen diese Perfektion aus Schönheit, Freundlichkeit und selbstbewußter Konsequenz nur schwer an, gerade im Vergleich zu der emotional viel nachvollziehbareren Ariane, die aber in ihrer Zwiespältigkeit unsympathischer wirkt. Deshalb - und da liegt die andauernde Spannung im Film - hoffen wir bis zuletzt, daß Melanie von ihrem Plan absieht...

Fazit : Ruhig erzählter, aber immer unterhaltender Film, dessen Inszenierung in seinem kühlen, konsequenten Fortschreiten adäquat zu den Racheplänen der Ariane gestaltet ist.

Wer hier einen typischen Thriller erwartet, wird enttäuscht, denn Regisseur Denis Dercourt verzichtet fast gänzlich auf Knalleffekte. Die Spannung bezieht der Film aus dem Kontrast zwischen den beiden Protagonistinnen, der kombiniert mit unserer eigenen Erwartungshaltung, ein ständiges Gefühl der Unberechenbarkeit aufrecht erhält.

Ein intelligenter, sehr gut gemachter Film, dessen Kälte sich auf den Betrachter überträgt(8,5/10).

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