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Deutschland ist streng.

Zumindest wenn man sich in den oberen Etagen der Macht befindet, sei es als Chef eines großen Ingenieurbüros, einer Anwaltskanzlei oder als Familienoberhaupt einer Winzerfamilie. Wenn die Kamera Bilder aus den Räumlichkeiten der Wohnungen oder Büros zeigt, dann sieht man diesen die Disziplin an, der sich die dort arbeitenden und lebenden Menschen unterordnen. Trotz einer gewissen Üppigkeit und auch Schönheit im Detail wirken sie dunkel und vor allem lieblos, Gefühle oder gar unlogische Emotionen sind hier nicht gefragt.

Deutschland ist streng.

Zumindest wenn man in der Position ist, einen Film zu beurteilen, der Gefühle zeigt, die auf den Betrachter krank und unlogisch wirken. Ja, auch die ,die sonst etwas leichtfüßiger durchs Leben gehen und sich nicht einer übertriebenen Disziplin unterordnen, haben ihre Probleme mit Dialogen, die nichts lösen oder zumindest treffend analysieren, oder mit Verhaltensweisen, denen jegliche Stringenz fehlt. In solch einem Fall wird ein Film gerne in die Nähe von Lächerlichkeit gerückt ,dabei zeigt gerade diese Reaktion, warum sich Margarethe von Trotta diesem Thema widmet.

"In Deutschland gibt es keine Gefühle mehr" läßt sie den Chef der Anwaltskanzlei sagen und das ist natürlich falsch. Es gibt sie noch, nur passen sie nicht mehr in die heutige Zeit der Coolness und äußeren Selbstdarstellung. Gefühle müssen möglichst in den gewählten Rahmen passen und dürfen auf keinen Fall negative Rückschlüsse auf die Kompetenz einer Person zulassen.

Doch genau das passiert dem Ingenieur Robert Fabry (August Diehl) als er der etwas älteren Carlotta in einem Hotel begegnet. Diese hatte sich nuttig angezogen und benimmt sich in dem Hotel, in das er gerade eincheckte , typgerecht daneben. Katja Riemann ist in dieser Figur kaum wieder erkennbar mit auffälliger blonder Perücke und niveaulosem rotem Fummel. Sie wirkt darin heruntergekommen und trotz tadelloser Figur schon gealtert - keineswegs ein Typ, auf den Männer fliegen, sondern eher wie Eine, den diese mal ausnutzen.

Fabry nimmt Partei für sie ein und rettet sie vor dem Rausschmiß. Sie folgt ihm auf das Zimmer und es kommt zum scheinbar üblichen Prostituierten-Sex ohne Küssen und vollständigem Ausziehen. Als Fabry morgens erwacht ist sie weg ,aber das Geld noch da. Als er kurz danach wie geplant in sein Anwaltsbüro geht, begegnet er ihr wieder. Sie ist die Anwältin , die seinen Vertrag bearbeitet und als neue Teilhaberin dort mit aufgenommen wurde. Man muß Fabrys Menschenkenntnis bewundern, daß er sie sofort erkennt, denn Dr.Carolin Winter hat nur geringe Ähnlichkeiten mit der Carlotta von letzter Nacht. Und diese kann sich auch gar nicht erinnern, ihm schon einmal begegnet zu sein, nimmt aber seine Einladung zum Abendessen an...

Wer diese Konstellation für konstruiert hält, hat recht und natürlich ist es auch nicht neu, wenn eine Person dem Doppelleben einer anderen auf die Spur kommt. Nur geht es Von Trotta darum gar nicht, ihr ist die Obsession wichtig, die sich daraus für Fabry entwickelt und die ihn immer mehr zerstören wird.

Dabei ist diese für den Betrachter kaum nachvollziehbar, denn trotz Katja Riemanns Attraktivität bleibt es Fabrys Geheimnis, warum er sein äußerlich schönes Leben zu dem auch die ihn liebende Britta gehört, von einem Moment zum anderen aufgeben will. Ein Schlüssel für dieses Verhalten könnte in der Figur der Britta liegen, einer gut aussehenden jungen Frau von fast übernatürlicher Beherrschung. Fabry erzählt ihr von seiner Begegnung mit Carlotta/ Carolin und sie reagiert dermaßen besonnen ohne emotionale Aufwallung, daß man seine Sehnsucht nach Ungewißheit und verrückter Liebe, die er in dem zerrissenen Charakter der Carolin zu finden hofft, verstehen kann. Trotzdem und da liegt eine Stärke in Von Trottas Film wirkt Britta absolut symphatisch und für den Betrachter in ihrer Logik geradezu beruhigend.

Genauso wie die Figur von Karl Winter, Carolins Vater, von Armin Müller-Stahl mit äußerster Präsenz und Präzision gespielt, die sich immer stärker als eigentlicher Mittelpunkt des Films herausstellt. Für Fabry stellt sich schnell heraus, daß Carolins Vater der Auslöser ihrer Schizophrenie ist und der Film entwickelt sich immer mehr zum Kampf der Beiden um Carolins Liebe, ein Kampf dessen Ausgang nur scheinbar ungewiß ist...

Trotz des Panoptikums, daß Karl Winter um sich versammelt hat und das für den Betrachter erhebliche Schauwerte bietet, versteckt dieser sich keineswegs hinter seiner großbürgerlichen Fassade. Im Gegenteil, Karl Winter ist von frappierender seziererischer Offenheit und damit dem schwärmerischen, emotional verwirrten Fabry deutlich überlegen.

So gelingt Margarethe von Trotta in diesem Film eine ungewöhnliche Konstellation : zum Einen schildert sie die Entwicklung einer verrückten, im Grunde hoffnungslosen Liebe, einer sogenannten "Amour Fou" , zum Anderen vermeidet sie als Gegenpol eine unverständige typische Anti-Haltung der Umgebung, ein beliebtes Stilmittel des Genres, um die Liebenden als Außenseiter und damit Hoffnungsträger hoch zu stilisieren.

Im Gegenteil sind hier die "Gegenspieler" von besonderer Klarheit und damit für den Betrachter die "angenehmeren" Personen. Keine Sekunde zeigt uns Von Trotta das Glück der Liebenden oder stellt deren Lebensentwurf für den Betrachter als etwas Begehrenswertes dar. Das zeigt sich besonders in der Figur der Carlotta/Carolin, von Katja Riemann überzeugend gespielt, die zwar unterschiedlichste Rollen einnimmt, aber in keinem dieser Momente glücklich wirkt.

Fazit : optisch sehr schön gefilmte Darstellung einer "verrückten" Liebe, von Margarethe von Trotta gegen den Zeitgeist inszeniert ,um ihn gleichzeitig damit zu entlarven. In ruhigen Bildern sich langsam entwickelnde Auseinandersetzung zwischen dem begehrenden Fabry und dem besitzenden Vater Karl Winter, aus dem der Film seine Spannung bezieht. Von Trotta bemüht sich nicht um Logik oder wissenschaftliche Erklärungen, sie schildert die Obsession, die hinter der Kontrolle steckt und überzeichnet diese teilweise bewußt, ohne sie der Lächerlichkeit preis zu geben.

Gerade durch die auf den Betrachter positiv wirkenden beherrschten Personen wie Carolins Vater, seine ehemalige Geliebte (von Barbara Auer fast dominaartig angelegt) oder Britta, Fabrys Lebensgefährtin, konfrontiert uns Margarethe von Trotta mit unserer eigenen Einstellung zu Emotionen .

Endlich einmal ein Film, der intelligent unterhält, emotional provoziert und wirklich zum Nachdenken (oder auch Protest) anregt ohne sich einem massenkompatiblen oder gerade angesagtem Thema unterzuordnen - echtes im positiven Sinne Erwachsenen-Kino (9/10).

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