Auch der mir als Regisseur bislang unbekannt gewesene Enrique Urbizu (Drehbuch zu Polanskis „Die neun Pforten“) beteiligte sich an der sechsteiligen, spanischen TV-Horrorfilm-Reihe aus dem Jahre 2006, geht dabei stilistisch mit seinem Beitrag „A Real Friend“ aber sehr eigene Wege.
„A Real Friend“ bricht eine Lanze für Horrorfilme und deren Monster. Obwohl nach dem fragwürdigen Jugendschutz eigentlich viel zu jung für Horrorfilme und -literatur, konsumiert die kleine Estrella (Nerea Inchausti), ein supersüßes Mädel und zukünftige Traumfrau für jeden Horrornerd, reichlich davon und lenkt sich dadurch vom trostlosen, wenig erbaulichen Alltag ab. Sie ist ein intelligentes Mädchen mit einer lebhaften Phantasie, das in den Figuren ihrer Filme imaginäre Freunde findet, die ihr Trost spenden, während ihre alleinerziehende Mutter Geld verdienen muss, erst spät nach Hause kommt oder sich wenig befriedigenden sexuellen Abenteuern hingibt. Zu Estrellas Freunden gehört u.a. Leatherface (sehr vorbildsgetreue Maske!), dessen Treiben ausschnittweise in einem fiktiven „Film im Film“ gezeigt wird, sich in Estrellas Traumwelt aber sehr freundlich zu ihr verhält. In ihrem stilsicher mit allerlei Horror-Devotionalien eingerichteten Kinderzimmer erblickt man u.a. Max Schreck als Nosferatu, der sich ebenfalls in ihrer Phantasie manifestiert - ein Gespür für die ganz alten Klassiker hat die Kleine also auch noch. Nicht ganz klar wird allerdings die Rolle eines glatzköpfigen Typen, von ihr schlicht „Vampir“ genannt, der immer wieder in ihrer Nähe auftaucht, von einem sehr realen Vampirjäger verfolgt wird und sich eines Abends einfach zum Essen bei Estrella und ihrer Mutter einlädt...
Phantasie und Realität verschwimmen in dieser eigenwilligen Mischung aus Horrorfilm, Drama und Komödie, unaufgeregt und ruhig, dramaturgisch aber nicht immer ganz glücklich wird man mitgenommen in Estrellas eigene Welt sowie die kaputte Realität um sie herum. Estrella zieht die Sympathien des Zuschauers auf sich, nicht zuletzt, weil die junge Nerea Inchausti es versteht, ihre Rolle mit genügend Understatement zu versehen, das trotz ihrer Introvertiertheit Interesse weckt und Identifikation zulässt. Etwas blass bleibt Goya Toledo als Estrellas Mutter, evtl. ist das aber auch beabsichtigt und soll die Ausgebranntheit ihrer Charakters verdeutlichen.
Leider beschleicht mich hin und wieder das Gefühl, dass diese Geschichte besser in gestraffter Form in einen Episodenfilm o.ä. gepasst hätte und man mit 73 auszufüllenden Minuten etwas überfordert war. Die Kernhandlung, wer genau der mysteriöse Glatzkopf ist, was er will und in welcher Verbindung er zu Estrellas unbekanntem Vater steht, wird einerseits ziemlich verwaschen, ist andererseits aber auch nicht stark genug, diesen Film zu tragen. Genrefreunde werden eher bei den zahlreichen hommagenartigen Anspielungen und Zitaten aufmerken, was auf Dauer aber auch etwas zu wenig ist. Die Schlusspointe hingegen kommt dann unerwartet plötzlich, nicht allzu überraschend, logisch schon gar nicht, aber immerhin erneut mit positiver Bezugnahme auf Horrorfilm- und -literatur-Ikonen und eine ausgeprägte kindliche Phantasie. Gut gelungen ist die visuelle wie atmosphärische Widergabe der Tristesse, in der Estrella aufwächst, jedoch gleitet „A Real Friend“ mit der Zeit immer mehr in eine etwas dröge, von mir schwierig näher zu definierende „Direct to Video“- bzw. TV-Optik ab – was bei einem Fernsehfilm aber natürlich kaum ernsthaft zu beanstanden ist.
Fazit: Ein sympathischer, aber leider etwas unrunder, unausgewogener Beitrag mit einer klasse Aussage, die voll ins Schwarze trifft. Und wer einmal sehen will, wie Leatherface seine Kettensäge ablegt und liebevoll ein kleines Mädchen tröstet, kommt um „A Real Friend“ nicht herum...