Ja ja, das Sitcom-Konzept hat so seine ganz eigenen Regeln und Normen. Dabei stechen zwei Eigenheiten heraus. Erstens werden die Schauspieler im richtigen Leben und damit auch ihre Figuren in der Serie älter. Das führt zwangsläufig konzeptuelle Änderungen mit sich; ein erprobtes Erfolgsrezept lässt sich daher nicht ewig aufrechterhalten. Es bedarf einer Weiterentwicklung, was sich oft nicht mit der Erwartungshaltung des Zuschauers verträgt, der immer das Gleiche sehen will. Sollte denn noch mal irgendwann eine Serie den noch laufenden On-Air-Rekord der Simpsons brechen (die sind derzeit im 16. Jahr), wird es wohl sehr wahrscheinlich wieder eine Trickserie sein. Vielleicht auch etwas im Stil von „Akte X“, mit Sicherheit aber keine Sitcom, weil die noch zusätzlich an der Last zu tragen haben, dass meistens Kinderdarsteller mit von der Partie sind und das fortschreitende Alter bei denen besonders stark ins Gewicht fällt.
Zweitens sind Sitcoms stark abhängig vom Zeitgeist, also von den politischen, sozialen und moralischen Umständen der jeweiligen Epoche. Es gibt zwei Wege, erfolgreich zu werden. Entweder, man kopiert gut („Alle unter einem Dach“), oder man sucht sich eine noch unbesetzte Nische. „Roseanne“ geht den zweiten Weg.
Die Familie Connor entstammt nämlich einer sozialen Unterschicht, irgendwo am unteren Ende des breiteren Mittelstands, jedoch stets darum bemüht, nicht in den Schulden zu versinken. Bislang hatte man um diese soziale Schicht einen weiten Bogen gemacht, vertrugen sich die immer wieder aufkommenden Probleme und das Kämpfen um das Überleben doch nicht mit dem Format an sich, das darauf konzipiert war und ist, eine Pointe nach der anderen zu bringen und dies mit Gelächter aus dem Studiopublikum zu untermalen. Dass man es nun dennoch gewagt hatte, mag an einer wachsenden Zielgruppe liegen, die sich eben nicht mit einer Familie aus Ärzten und Anwälten („Bill Cosby Show“) identifizieren konnte, sondern viel mehr mit einer protektionistischer ausgelegten Familiengemeinschaft wie den Connors. Zwar stößt man hier nicht auf die Wärme und Herzlichkeit der Cosbys, dafür aber auf realitätsnähere Verhaltensweisen, das Abgrenzen nicht gegenüber den Freunden, aber doch gegenüber dem System.
Passend zum Schutzbild sind die beiden Oberhäupter der Familie Connor ein sehr schwergewichtiges Ehepaar, die ihr gewaltiges Kreuz nach außen drehen, um dem eigenen Nachwuchs Schutz vor dem rauen Alltagsleben zu gewähren. Dabei handelt es sich um den bärigen Dan (John Goodman, „Die Flintstones“, „The Big Lebowski“), ein schwer arbeitender und liebevoller Vater, der aber auch sehr streng und autoritär werden kann, sowie die schlagfertige Roseanne (Roseanne Barr, „Die Teufelin“), die ihr Leben vor allem mit Zynismus meistert und nicht umsonst der Serie den Namen gibt, denn mindestens teilt sie sich mit ihrem Mann das Regiment über die Familie, wenn sie nicht sogar das Zepter allein in der Hand hält.
Kinder haben die Connors drei: die Älteste ist Becky, die innerhalb der Familie den Außenseiter darstellt (was dadurch noch herausgestellt wird, dass sie die einzige Blonde ist) und deswegen stets darum bemüht ist, ihr eigenes Leben durchzusetzen. Die unbeliebte Position des „Mittelkindes“ bekleidet Darlene, Außenseiter innerhalb der Gesellschaft. Im Gegensatz zu ihrer großen Schwester will sie nicht in der Normalität versinken. Die Ideale der Gesellschaft sind ihr ein Gräuel, lieber geht sie ihren individuellen Weg, der sie später in gotisch angehauchte Kreise führt, wo sie dann auch ihren Freund David trifft. Das Nesthäkchen ist der einzige Junge DJ, ein drolliger, gerade im späteren Verlauf aber auch etwas sonderlicher Kerl, der offensichtlich durch seine beiden älteren Geschwister in seinen Verhaltensweisen geprägt wurde. Auch er hat es wie Darlene im normalen Leben schwer.
Komplettiert wird der Familienkern durch Roseannes Schwester Jackie (Laurie Metcalf, „Scream 2“), die als Junggesellin stets Probleme mit der männlichen Gattung hat, sowie die Mutter, die das Verhältnis zwischen den beiden Geschwistern wesentlich prägt.
Man kann erkennen, dass „Roseanne“ schon in der Anlage weitaus düsterer ist als die Kollegen, bei denen stets die Sonne scheint. Die Thematik geht viel tiefer und ist weitaus emotionaler, als man es sonst aus dem Genre gewöhnt ist. Nicht selten bleibt einem auch das Lachen im Halse stecken, und das Lachen des Publikums verstummt mehrere Minuten, während es an die Existenz der Familie Connor geht. Ein Beispiel ist das Verlieren eines Jobs: zwar kennt man solche Plots auch aus anderen Sitcoms, doch hat das hier meist eher spielerischen Charakter. Derjenige, der die Arbeit verliert, ist normalerweise durch Netz und doppelten Boden abgesichert, weil der Job sowieso nur ein Experiment war (Peggy geht in einer Episode von „Eine schrecklich nette Familie“ tatsächlich mal arbeiten! Und Carrie aus „King of Queens“ wägt je nach Laune ab, ob sie lieber Karriere machen oder ein Baby bekommen will; Gil aus „Hör mal, wer da hämmert“ hat sogar Zeit, Psychologie zu studieren.) oder der Partner bringt immer noch genug Geld mit nach Hause, um problemlos die Existenz zu wahren (Sollten Harriette aus „Alle unter einem Dach“ oder Claire aus der „Bill Cosby Show“ mal ihre Jobs verlieren, verdienen ihre Männer als Arzt bzw. Polizist immer noch mehr als genug). Anders bei „Roseanne“, hier wird jederzeit deutlich, dass der Drahtseilakt über einem gähnenden Abgrund vollzogen wird, nicht über einem Auffangnetz. Dan arbeitet auf dem Bau schwer und kann damit doch nur das Nötigste finanzieren; Roseanne ist eigentlich Hausfrau, manchmal aber gezwungen, schlecht bezahlte Bürojobs anzunehmen. Später eröffnet sie ein eigenes Restaurant, aber auch hier wird wieder das Risiko deutlich, denn wiederum steht die Existenz auf dem Spiel.
So weit zum wirtschaftlichen Aspekt. Auch auf der sozialen Ebene gilt es, Massen von Problemen zu bewältigen. Sicherlich hängt das eine mit dem anderen zusammen. Die soziale Komponente ist auch ein Produkt der wirtschaftlichen Herkunft. Probleme wie der Romeo-und-Julia-Komplex, oder in hierarchisch leicht abgeänderter Form die verbotene Liebe zwischen – bildlich gesprochen – Bourgeoisie und Proletariat (das war z.B. oft ein Thema in „Der Prinz von Bel Air“, wo etwa der Butler ein gesellschaftlich verpöntes Verhältnis mit einer wohlhabenden Frau einging),werden daher gar nicht in die Agenda aufgenommen. Alles spielt sich innerhalb der sozialen Schichtung ab, weswegen die Probleme auch weitgehend schichtspezifisch bleiben. Da hätten wir den Idealismus des Vaters, der bei den Kindern, vor allem beim Jungen, auf die moralischen Werte pocht, welche natürlich etwas anders ausfallen als bei den Lebensweisheiten der Cosbys; oder auch die ungerechte Unterdrückung und Knechtschaft der Arbeiterklasse durch den tyrannischen Boss, für den menschliche Werte nur verzerrendes Beiwerk sind und der Mensch nichts als wirtschaftliches Kapital darstellt.
Das soll natürlich nicht heißen, dass universelle Themen ausgelassen werden. Es geht auch um Liebe (später verstärkt auch Homosexualität), Freundschaft, Krankheiten, Tod, Erinnerungen, Ehe, Glück, Pech, Zufall, Vorbestimmung, Schicksal, Glauben... all das, was jeden betreffen kann. Mal ist die Grundstimmung pessimistisch, mal ist sie auch von Lebensfreude geprägt.
Diese Lebensfreude entstammt meistens dem Grundsatz „Mach das Beste aus der Situation“. Roseanne ist dabei der Inbegriff des Optimismus. Mit ihrer sarkastischen Ader weiß sie jede Situation zu entschärfen und aufzulockern. Hier greift dann auch das Sitcom-Konzept, denn ohne Frage ist die Schlagfertigkeit dieser Person, aber auch von den anderen, sehr bewundernswert. Der Witz ist nicht ausschließlich auf Pointen aus, nebenher fasziniert auch die Fähigkeit, alles in einem guten Licht zu sehen. Das ist überaus sympathisch, und obwohl man sich nicht so herzlich eingeladen fühlt, in den Familienkreis einzutreten, wie bei den anderen Sitcom-Familien, wünscht man den Connors immer nur das Beste.
Eine Parallele zum Heimwerkerkönig Tim Taylor ist auch zu erkennen. Nein, nicht Dans Begeisterung für die Tüftelei am Motorrad ist gemeint; vielmehr Roseannes Spaß an Halloween. Bei Tim ist es eher Weihnachten (und das nicht nur in der Sitcom, sondern auch in fast allen seiner Filme), aber mit genau derselben Motivation liebt es Roseanne, die Erschreck-Königin des Jahres zu werden. Das hat natürlich Symbolfunktion: zwar wird bei den Taylors Halloween auch groß gefeiert, aber Weihnachten noch größer, weil es die Harmonie und den blütenweißen Zusammenhalt der Familie darstellt. Halloween ist da natürlich deutlich düsterer, was sehr schön in die Roseanne-Konstruktion hineinpasst.
Leider ist „Roseanne“ relativ kurzlebig, was sich darin bemerkbar macht, dass die Folgen nur wenige Staffeln lang wirklich hochklassig waren. Zu stark dürften die wirtschaftlichen und sozialen Fluktuationen in den USA der späten 80er und frühen 90er ausgeschlagen und sich damit die Verhältnisse verändert haben. Darunter hatte das Identifikationspotential zu leiden. Zudem verlor der Darsteller von DJ schnell seine Niedlichkeit (schneller noch als Taran Noah Smith, der in „Hör mal, wer da hämmert“ Mark spielt) und die Becky-Darstellerin stieg recht früh aus und wurde ersetzt, was stets der Anfang vom Ende ist; obwohl man hier noch Glück hatte, weil Becky in der Serie eine eher untergeordnete Rolle spielte. Trotzdem hatte man mit diversen Einschnitten zu kämpfen. Die wirklich großartigen Roseanne Barr und John Goodman machten bis zum Ende einen guten Job, aber die Grundkonzeption verhinderte einfach eine stärkere Stabilität bezüglich der Qualität.
So ist „Roseanne“ eine nicht wirklich massenkompatible, dafür aber sehr ehrliche und lebensnahe Sitcom, der leider ein deutlich zu frühes Verfallsdatum am Etikett klebte. Der ernste Unterton ist sicher nicht jedermanns Geschmack, vor allem, wenn man bedenkt, dass es sich eigentlich um ein Format handelt, bei dem man ausgiebig mit Witzen unterhalten werden will. Bei näherer Auseinandersetzung funktioniert aber das Aufeinandertreffen der harten Wirklichkeit und Roseannes Zynismus vortrefflich. „Roseanne“ geht eben einen etwas anderen Weg als der Rest. Und das sollte man entsprechend anerkennen.