Charlotte erzählt Hulda ihre Geschichte. Eine Geschichte von Hugo, dem Mann ihres Lebens. Es ist eine Geschichte über die große Liebe, über verbotene Leidenschaft. Es ist aber auch eine Lebensgeschichte, die nahe geht, die uns berührt und nachdenklich stimmt. Denn es geht auch um ihren jüngeren Bruder Albert, der sich in jungen Jahren das Leben nimmt, da Vater seine Homosexualität nicht akzeptieren kann, es geht um ihre kranke Schwester, um einen ungeliebten Ehemann, um Träume, Zukunftspläne, Hoffnungen - und wie alles zerstört wird und man sich doch wieder aufrappelt. Es ist eine Geschichte von einem bewegten, aufregenden Leben, das so nicht geplant war, und doch gemeistert wurde.
Hulda ist eine Puppe, ein Übrigbleibsel aus glücklichen Kindertagen. Heute ist Charlotte eine alte Frau, ihr Enkel Felix kümmert sich um sie. Der Wechsel zwischen dem heute und dem damals gelingt Regisseur Rainer Kaufmann sehr gut, die Verfilmung von Ingrid Nolls Romanvorlage wurde in hervorragender Weise umgesetzt. Dabei geht uns der Film genauso nahe wie das Buch, was wohl auch daran liegt, daß die ganzen Stimmungen und Gefühle in wunderbarer Weise eingefangen, visualisiert und passend musikalisch untermalt wurden.
All unsere Stimmungen werden angesprochen, aus der melancholischen Grundstimmung heraus erwachsen auch Szenen, die uns erheitern und fröhlich stimmen, ja, über die man gelegentlich sogar lachen kann. Doch kehrt der Film immer wieder zu seinen Wurzeln zurück, eine Ernsthaftigkeit, die uns nachdenklich stimmen und viele Dinge anders sehen läßt. Handelt es doch nicht zuletzt auch von drei Generationen, wenn man Charlottes Eltern hinzunimmt sogar vier Generationen und deren Konflikte.
Die Zeiten werden beleuchtet, die Generationen dürfen ihre typische Art ausleben, gefördert und begründet auch durch historische Hintergründe, aber eben nicht nur. Es zeigt sich auch schnell, wie sehr "die jungen" die "alten" falsch einschätzen, war Charlotte beispielsweise in Jugendjahren nicht viel anders als "unsere Jugend heute". So verknüpft der Film auch das Heute mit dem Gestern und wirbt um Verständnis auf humorvolle Weise. Nolls typisch schwarzer Humor fehlt naturgemäß nicht, so einiges ist nicht ganz koscher in Charlottes Leben, nicht zuletzt ihr großes schwarzes Geheimnis im eigenen Kellergewölbe.
August Diehl und Fritzi Haberlandt spielen das junge Paar sehr überzeugend, und besonders Diehl zeigt wahre Freude. Aber auch die Darsteller von "Oma und Opa" (Gisela Trowe und Heinz Bennent) wurden sorgfältig und passend ausgewählt. Hier bewies Kaufmann sein wie immer gutes Händchen in der Schauspielerwahl. Ebenso die weiteren Rollen wurden liebevoll besetzt: Fabian Busch als Enkel Felix hätte ruhig einen größeren Anteil bekommen dürfen, Gisela Schneeberger als Tochter Regine spielt herrlich authentisch und hat hier ihre meiner Meinung nach beste Rolle, insbesondere die Szene beim Entrümpeln ist so herrlich realistisch wie bei Schneeberger selten zuvor: "DAS willst du wegschmeissen???" Auch das liebevolle Aufpäppeln von "Papa auf der Couch" hätte man ihr kaum zugetraut. Auch Ingo Naujoks verdient hier großes Lob, endlich einmal darf er aus seinem Klischee ausbrechen und den blinden Anton mimen. Zwischendurch blitzt aber immer wieder ein klitzekleiner Naujoks-Typus hindurch, was aber nicht stört, sondern im Gegenteil den Film an diesen Stellen bereichert.
Viele Szenen, ja eigentlich der gesamte Film stimmen nachdenklich, über die bereits erwähnten Generationen und über das ewig aktuelle Thema "große Liebe". So ausgetreten dieses Grundmuster auch sein mag, in "Kalt ist der Abendhauch" wird eine gänzlich andere Seite gezeigt. Gerade das Erleben der Liebe einer älteren Generation, deren Kämpfen um die gleichen Sorgen und Nöte wie die Jungen - das weckt Verständnis und ist leider erschreckend authentisch. Zu keiner Zeit zweifelt man am Plot, was hier gezeigt wird könnte jedem von uns blühen. Es ist eine Geschichte von Dir und mir, sie könnte jedem von uns passiert sein. Zahlreiche Formulierungen beschreiben exakt, was man dabei fühlt: "Ich hasse warten. Es kommt mir vor als hätte ich die Hälfte meines Lebens damit verbracht."
Im Schlußwort steckt erstaunlich viel Wahrheit, über die man lange nachdenken kann und sie beherzigen sollte, daran etwas zu ändern: "Vielleicht braucht es ein ganzes Leben um fünf Minuten glücklich sein zu können."
(10/10)