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„Medusa wird dich stets in mein Königreich führen“

Die Geschichte hinter dieser „Das Phantom der Oper“-Adaption ist angeblich die, dass auf eine Umfrage in Italien nach dem bevorzugten Stoff für eine Neuverfilmung und dem favorisierten Regisseur hierfür hin „Das Phantom der Oper“ und Dario Argento („Inferno“, „Profondo Rosso“) genannt wurden. So stellte man dem Meister des Giallo und des besonderen Horrorelebnisses um die zehn Millionen Dollar Produktionsbudget zur Verfügung und beauftragte den Franzosen Gérard Brach, das Drehbuch zusammen mit Signore Argento zu verfassen. Dabei heraus kam im Jahre 1998 eine sehr eigenwillige Interpretation der klassischen Novelle Gaston Leroux‘:

Im 19. Jahrhundert lebt in den Pariser Katakomben unter der Oper abgeschottet von der Außenwelt ein Mann, der seinerzeit dort ausgesetzt, aber von Ratten (!) aufgezogen wurde. Sein Kontakt zur übrigen Menschheit beschränkte sich bislang darauf, Rattenjägern den Garaus zu machen. Doch als er eines Tages auf die Nachwuchs-Opernsängerin Christine (Asia Argento, „Aura – Trauma“) trifft, entwickelt er zutiefst menschliche Gefühle und verliebt sich in sie...

Wenn es schon um die x-te „Phantom der Oper“-Verfilmung geht, ist es sicherlich eine gute Idee, die Geschichte zu variieren, eine eigene Interpretation zu wagen. Dass dabei etwas ganz Wunderbares herauskommen kann, bewies beispielsweise Brian De Palma mit seinem Geniestreich „Das Phantom im Paradies“. Wenn nun auch ausgerechnet der italienische Giallo- und Horror-Meister Dario Argento die Regie übernimmt, der elf Jahre zuvor mit einem der besten ’80er-Gialli, die Rede ist von „Opera“ alias „Terror in der Oper“, bereits unter Beweis gestellt hatte, wie sehr er eine Oper in einen Ort des ästhetisch herausregenden Schreckens verwandeln kann, ist die Erwartungshaltung entsprechend hoch.

Doch, mit Verlaub: Was ist das bitteschön für eine unfassbar miese Story? Die Idee mit dem Rattenmann gibt nichts her, ergibt keinerlei Sinn! Da wird also ein Mensch von Ratten aufgezogen – wie auch immer das möglich sein soll – und wirkt dennoch vollkommen zivilisiert, sieht weitestgehend normal aus, spricht normal, weiß sich zu benehmen, wenn es darauf ankommt, hat Klavierspielen gelernt (!) und es sich allgemein gemütlich dort unten eingerichtet!? Und wie es der Zufall so will, verfügt derjenige auch noch über übernatürliche Kräfte wie Telepathie und das Erlangen von Kontrolle über fremde Gedanken!? Wer soll Argento und Brach diesen Mumpitz bitte abnehmen?! Manch weit hergeholte Zombie-, Außerirdischen- oder Mad-Scientist-Story wirkt dagegen wie eine Ausgeburt an Logik, Nachvollziehbarkeit und Intelligenz. Man wird gewusst haben, warum man Kindheit und Jugend des Phantoms nicht zeigt, sondern lediglich per Texttafel erläutert. Argentos Phantom sieht, gespielt von Julian Sands („Arachnophobia“), mit seinem nackten Oberkörper und wallendem, offenen Blondhaar aus wie die kitschige Phantasie eines pubertierenden Mädchens, verhält sich im krassen Gegensatz dazu jedoch so unfassbar und übertrieben grausam, dass es schwerfällt, Mitgefühl für es zu entwickeln. Mit nachvollziehbarem Verhalten haben es die Charaktere aber ohnehin nicht so, besonders im Finale geht es munter wankelmütig drunter und drüber.

Das Erscheinungsbild des Films wirkt für Argento-Verhältnisse, insbesondere verglichen mit seinen kreativen bis experimentellen, entfesselten Arbeiten der vorausgegangenen Dekaden, unspektakulär und wenig außergewöhnlich. Das ist nicht schlimm. Schlimm sind aber die scheußlichen Kostüme und das geschwollene Gelaber – und das sage ich als Gothic-Horror-Freund! Bis an den Rand der Erträglichkeit wird versucht, den Pomp und Schmonz aus dem Opernambiente herauszupressen und in seine Mitte eine Asia Argento zu positionieren, die zwar fantastisch aussieht und ihre Rolle prinzipiell recht gut spielt, der ich die Opernsängerin aber ebenso wenig abnehme wie die Bullette aus „The Stendhal Syndrome“. Die meisten Charaktere wurden zudem auf alberne, anbiedernde Weise komödiantisch überzeichnet, fast alles wird permanent ironisiert, der Film nimmt sich kaum ernst, ist dabei aber – abgesehen vom „Rattensauger“, jenem wahnwitzigen Kammer- bzw. Katakombenjäger-Gefährt – leider nie witzig; quasi ein auf Spielfilmlänge ausgedehntes „Servus-Syndrom“ (wie ich in Anlehnung an Argentos Regiedebüt den fast immer grottigen (Ausnahme: „Tenebrae“), i.d.R. aber, wenn überhaupt, geringen Humoranteil seiner Filme zu bezeichnen pflege). Daraus ergibt sich ein Overacting der Schauspieler, das schon ein gewisses Fremdschämpotential aufweist.

Aufzupeppen versucht man diesen Trümmerhaufen immer wieder durch derbe und selbstzweckhafteste Splatterszenen, die so überhaupt nicht zum Ton des Films passen wollen und zudem zu einem nicht geringen Teil aus dem Computer stammen. Ein wenig Wiedergutmachung bekommt der tapfere Zuschauer in Form einiger wirklich ansprechend gelungener Erotikszenen. Und Rattenphobiker können sich an bizarren Szenen eines mit Ratten übersäten Phantoms in pikanten Posen ergötzen und sich kräftig gruseln. Der Tierschützer in mir erkennt ferner mit etwas Wohlwollen eine rattenfreundliche Aussage bzw. die kritische Betrachtung der menschlichen Hatz auf die possierlichen Nager mit dem schlechten Ruf. Die Musik stammt von Il Maestro Ennio Morricone, kann also schlecht nicht gewesen sein, wirklich hängen blieb von ihr aber erst einmal nichts.

Viel mehr positive Worte kann ich aber leider nicht über Argentos bis zum Zeitpunkt der Veröffentlichung schlechtesten Film verlieren, dafür aber quasi-zusammenfassend verlautbaren, dass sowohl Atmosphäre als auch Dramaturgie des Films so sehr im Argen liegen, dass auch bei grundsätzlichem Gefallen an Idee, Ausrichtung und Humor dieser Adaption nicht mehr als eine durchschnittliche Einstufung möglich wäre. Die Tragik und die düstere Außenseiter- bzw. „Schöne und das Biest“-Romantik des Stoffs gehen unter in einer überkandidelten Umsetzung, die wie eine unfreiwillige Parodie wirkt. Der gute Dario hätte es bei „Opera“ belassen sollen.

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