Review

"Bois ton café" ist ein kleiner Kurzfilm (beinahe schon ein Musikvideo) Eric Rohmers, typisch und untypisch zugleich für das Werk dieser französischen Regieikone: es sind einerseits die clipartige Musikvideoästhetik und der Einsatz von Musik überhaupt (wie oft ist bei Rohmer schon Musik zu hören - und dann auch noch ohne dass die Tonquelle zur innerfilmischen Realität gehören würde?), sowie diese vollkommen reduzierte Handlung eines bloßen gemeinsamen Aufstehens, Waschens und Ankleidens eines jungen Pärchens, die ungewöhnlich unter all den anderen Filmen Rohmers wirken; es ist andererseits die Unterschiedlichkeit von Mann und Frau, die hier - wie in nahezu allen Rohmers - in den Mittelpunkt des Interesses rückt.

Rohmers Filme mögen zwar nicht allesamt Beziehungsfilme sein (gleichwohl der Großteil durchaus in dieses Raster fällt), aber in der Regel sind es zumindest Filme über Männlichkeit und (ganz besonders) Weiblichkeit. Und es sind Filme, die sich durch einen unscheinbaren, zurückhaltenden Stil und einen ungewöhnlichen Dialogreichtum auszeichnen: Noch bevor Rohmer in den 50er Jahren seine ersten Kurzfilme drehte, setzte er sich als Kritiker für die Bedeutung der Dialoge ein, auf denen später sein Hauptaugenmerk zu ruhen schien. Sein Werk besteht aus Filmen, die für Rohmer-Gegner oftmals bloß geschwätzige Beziehungskisten in uninteressanter TV-Ästhetik darstellen, während Rohmer-Anhänger luftig-leichte, unbekümmerte und von verständnisvoller Alterweisheit geprägte Humoresken über die conditio humana in ihnen sehen. (Und je nach Film scheinen beide Sichtweisen zu ihrem Recht zu kommen: manches ist von zarter, ganz unaufdringlicher Schönheit, anderes von unaufgeregter Alltäglichkeit; einiges ist sehr lehrreich, anderes erscheint banal.) Diese Spielfilme beginnen mit dem wundervollen, aber nicht allzu charakteristischen "Le signe du lion" (1959 gedreht, 1962 aufgeführt) - ein etwas tragisches, zugleich aber auch recht versöhnliches Absteigerdrama über einen Mann, der alles verliert (um in einem leicht zynischen Happy End wieder alles zu gewinnen), welches trotz der für Rohmer unüblichen Handlung zumindest den nüchternen Stil vorbereitet, den man später mit Rohmer verbinden sollte: sicherlich frischer als das cinéma de qualité (von dem sich die Nouvelle Vague distanzieren wollte), insofern sich deutlich neorealistische Einflüsse Rossellinis finden lassen, allerdings auch weniger rasant und weniger von Aufbruchsstimmung durchzogen als beispielsweise "À bout de souffle" (1960) oder "Jules et Jim" (1962) von den deutlich jüngeren Regiekollegen Godard bzw. Truffaut. Rohmer, der bei den Dreharbeiten seines Spielfilmdebuts immerhin schon 39 Jahre alt war und mit seinem Geburtsjahr 1920 zum (neben Resnais) ältesten Vertreter der Nouvelle Vague zählte, erwies sich auch in den folgenden Projekten weniger stürmend und drängend als seine Kollegen, konzentrierte sich aber immer stärker auf ein zentrales Thema der Nouvelle Vague: auf die Liebe. Bis in die frühen 70er Jahre entstehen dann seine wohl schönsten Filme, die sich allesamt um die kleinen Probleme der Liebe und die mit ihr verbundenen, gewichtigen Entscheidungen drehen: "La Collectionneuse" (1967), "Ma nuit chez Maud" (1969), "La Genou de Claire" (1970) und "L'amour l'après-midi" (1972), die zusammen mit den Kurzfilmen "La carrière de Suzanne" (1963) und „La boulangère de Monceau" (1963) seinem wohl schönsten Zyklus angehören - den Six Contes Moraux. In ihm entwickelt Rohmer Motive, die sich als rote Fäden durch sein Œuvre ziehen: zum einen handelt es sich um Männerfiguren, die sich in ihren Beziehungen zu Frauenfiguren etwas beweisen müssen oder wollen, die sich etwas verkrampft & versteift an festen Idealen festhalten, die sich vor Entscheidungen gestellt sehen und infolgedessen mal mehr, mal weniger ausgeprägt mit ihrem Gewissen, ihren Idealen oder ihren Launen kämpfen müssen; zum anderen handelt es sich um Frauenfiguren, die sich ungezwungener, weniger regelkonform verhalten als die Männer, die sich eine Freiheit & Uneingeschränktheit bewahren und dabei teilweise auch auf alle Konventionen verzichten, die sich etwas unbekümmerter & pragmatisch verhalten. In den Contes Moraux gehören vor allem die titelgebende Sammlerin Haydée in "La Collectionneuse" und Maud in "Ma nuit chez Maud" zu den besonders ausgeprägten Frauenfiguren Rohmers; spätere Filme werden diese selbstbewussten Frauentypen fortsetzen, neben denen die Männer immer etwas verlorener & manchmal auch verlogener wirken.
"Bois ton café" ist ohne jede Dramaturgie das Kondensat der Sicht Rohmers auf die Geschlechter: alles, was vom Verhältnis zwischen Mann und Frau ablenken könnte, fliegt über Bord... etwa die Handlung oder sogar der konkrete Zeitraum. Zu sehen ist ein junges Paar und in eine chronologische Reihenfolge gebracht, sieht das Ganze etwa so aus: der Mann - in Unterhose - bringt der schlafenden Frau den Kaffee ans Bett; weder darauf, noch auf einen folgenden Versuch des Weckens reagiert sie, während er sich allmählich ankleidet. Als er das Rouleau vor dem Fenster entfernt, folgen ihre erfolglosen Versuche es wieder herunterzuziehen; sie kehrt zurück ins Bett und begräbt sich unter der Bettdecke. Als er nahezu komplett angekleidet ist, erhebt sie sich: ihr Kaffee ist inzwischen kalt - sie verlangt einen neuen und ein Frühstück noch dazu und springt in die Badewanne, während der Mann leicht augenrollend zurückbleibt. In der Wanne singt sie das Lied, das sich über den gesamten Kurzfilm erstreckt, während er neuen Kaffee aufsetzt. Schließlich ist er ihr beim Abtrocknen behilflich, sie kleidet sich an, gemeinsam verlässt man die Wohnung.

Das Lied der Frau (getextet und komponiert von Jean-Louis Valeró, der seit Anfang der 80er Jahre vereinzelt für Rohmer arbeitete), das sich über den Film erstreckt, fasst ihr Sicht der Dinge folgendermaßen zusammen[1]:
Trink deinen Kaffee, sonst wird er kalt,
Trink deinen Kaffee, sonst wird er kalt.
Das sagst du mir jeden Morgen:
Trink deinen Kaffee, sonst wird er kalt.
Aber in meinem kleinen Bettchen
Mit dem Gänse-Plumeau
Wache ich langsam auf
Und rekele mich ganz nonchalant.

Diesem Refrain gehen Blicke aus dem Fenster voran, sowie eine Einstellung des leeren Bettes. Es folgt eine Einstellung des Mannes, der einen neuen Kaffee aufsetzt, sowie einige Einstellungen der singenden, badenden Frau. Am Ende des Refrains leitet dann eine Rückblende zum besungenen Rekeln über.
Ich sage dir, dass ich noch träume,
Dass es noch viel zu früh ist,
Dass wir später aufwachen
Und bis in die Puppen schlafen können,
Weil es so schön ist zu schlafen,
Dass man nie aufwachen müssen sollte.
[Refrain]

In dieser ersten Strophe erfolgt das Servieren das Kaffees, das die halb schlummernde Frau bloß etwas unwillig wahrnimmt. Den folgenden Prolog begleitet eine statische Einstellung, in welcher der Mann der Frau beim Abtrocknen behilflich ist.
Mein Traum ist noch nicht zu Ende,
Ich werde ihn sicher vergessen.
Wenn du ein Mann von Zärtlichkeit wärst,
Würdest du mit dem Kaffee noch warten;
Wenn du einer wärst,
würdest du nicht sagen:
[Refrain]

In dieser zweiten Strophe bemüht sich der halb angekleidete Mann darum, die Frau zu wecken, wird jedoch von der Schlummernden zurückgewiesen. Im anschließenden Prolog hilft der Mann ihr beim Ankleiden.
Lass mir noch fünf Minuten;
Du hättest die Rollos zulassen sollen:
Das Licht scheint mir in die Augen
Und außerdem regnet's eh.
Ich seufze und murre vor mich hin
Und vergrabe mich tief unter der Decke.
[Refrain]

Auf eine recht textnahe Bebilderung der dritten Strophe folgt der Refrain, der vom gemeinsamen Verlassen der Wohnung bgeleitet wird.
Aber er ist ja ganz kalt!
Das hättest du mir auch sagen können,
Ich möchte Croissants und Marmeladenbrote;
Beeil dich, ich sterbe vor Hunger.
Ich sage dieses, ich sage jenes
Und vergesse darüber, dass er da ist.
[Refrain]

Auf die neckische Entrüstung der Frau über den abgekühlten Kaffee auf dem Nachttisch folgt ihr Verschwinden in das Badezimmer, derweil sich der Mann in die Küche begibt. Zum Refrain sieht man sie singend baden, während er sich um den neuen Kaffee kümmert: der Film ist zu seinem Anfang zurückgekehrt, die Struktur ist zirkulär geworden. Die Zeitsprünge in die Vergangenheit, mit denen der Film auch endet (die aktuelle Ebene wird am Ende ungewöhnlicherweise nicht mehr aufgegriffen!) und die zirkuläre Struktur des Geschehens machen aus dem Ganzen mehr als den Teil eines einzigen Tagesablaufs - der repetitive Tonfall des Ganzen (der ja auch im konventionellen Refrain enthalten ist) legt eine beständige, monotone Wiederholung dieses Geschehens ab. Die Haltungen des Mannes und der Frau geraten dadurch zu Abstraktionen, die Wiederholung macht aus einem Vorfall eine sich ewig wiederholende Serie aus Vorfällen; und die Wiederholung von Konstellationen und Motiven im Gesamtwerk Rohmers macht zudem aus einem konkreten Paar die Beziehung des Weiblichen und des Männlichen schlechthin. Es ist typisch für Rohmer, dass die Sympathien etwas stärker bei der Frau liegen: zwar ist sie es, die in ihrem Auftreten etwas sprunghaft und launisch auftritt und der Mann wird an keine Stelle unsympathisch geschildert; dennoch wählt Rohmer (was in seinen späten Filmen keine Seltenheit ist) die weibliche Perspektive des Geschehens: die Frau kommentiert das Ganze, die Frau kommuniziert mit dem Publikum und der - durchaus liebevolle, fürsorgliche und rational auftretende Mann gerät in erster Linie zur Witzfigur. Er ist derjenige, der ganz akkurat eingekleidet - in Anzug und Krawatte - etwas fehl am Platz wirkt: er ist zwar pünktlich, zuverlässig und ordentlich, zielt aber mit all diesen Eigenschaften an seiner Lebensrealität (zumindest in den eigenen vier Wänden) völlig vorbei und lernt offenbar auch aus der Erfahrung nicht dazu. Die Frau dagegen ist ein wenig sprunghaft und handelt recht affektiv, gibt sich neckisch und auch ein wenig clownesk (und ist sich dessen durchaus auch in einem gewissen Maße bewusst), setzt aber letztlich ihren Kopf durch - Rohmer macht sie mit ihrer Zurückweisung des Zeitdruck und des Zwangs zur Bezugsfigur des Films: unabhängig davon, dass sich auch problemlos die Haltung des Mannes (die durchaus verständnisvoll in Szene gesetzt wird) propagieren ließe, entscheidet sich Rohmer dafür, die weibliche Einstellung zu verklären. Nicht allein die Tatsache, dass es die Frau ist, die als Bezugsfigur mit dem Publikum kommuniziert, ist dabei ausschlaggebend, sondern auch die Besetzung mit Rosette Quéré, die hier unter ihrem Künstlernamen Rosette auftritt (und wie ihr Kollege Pascal Greggory zu den bekannten Gesichtern bei Rohmer gehört). Schon dieser Name, der nicht gewohnt förmlich aus Vor- und Zunamen besteht, sondern etwas vertraulicher als reiner Vorname auftritt, ist charakteristisch... entsprechend ist auch ihr Spiel: den recht gesitteten Bewegungen des Mannes (durch die er eine gewisse Steifheit bekommt), steht ein lebhaftes, recht sinnliches Spiel entgegen, das mit einer neckischen Gestik & Mimik und einem Hang zur Koketterie einhergeht; dass Rosette vor ihren Auftritten bei Rohmer (ab 1980) in einigen erotischen Filmen Borowczyks mitgewirkt hat ("Emanuela 77" (1976), "Les héroïnes du mal" (1979), "Collections privées: L'armoire" (1979)) hat sie für solch eine Rolle geradezu prädestiniert.
Dieses Spiel und diese Inszenierung kann man charmant oder auch nervig finden: hier zeigt sich Vor- und Nachtteil von Rohmers Männlichkeits- und Weiblichkeitsdarstellung zugleich... Rohmer plädiert (hier in einer sehr einseitigen Darstellung) für Ungezwungenheit und Freiheit, für das Unkonventionelle und Ungebundene (was mitunter als weise Perspektive der Reife & des Alters begrüßt worden ist); dabei jedoch inszeniert er entsprechende Einstellungen als typisch weibliche; sein Faible für junge Frauen in positiv gezeichneten Hauptrollen geht einher mit recht stereotypen Geschlechterbildern, die sich hier in "Bois ton café" besonders deutlich zeigen: Männer versteifen sich, Frauen treten flexibler auf, sind lustvoller, lustiger, alberner, neckischer und weniger seriös im Auftreten... Dass das eine etwas einfältige Sicht der Dinge ist, lässt sich schon daran festmachen, dass es immerhin der männliche Rohmer ist, der seit den späten 60er Jahren vielfach die Position einnahm, die er in der Regel als weibliche präsentiert hat: seine positiv konnotierten Frauenbilder stellen häufig auch eine Verklärung der Frau dar.
5,5/10


1.) Es handelt sich hierbei um die dt. Untertitel der Arthaus/Kinowelt-DVD "Vier Abenteuer von Reinette und Mirabelle".

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