Ivan Reitman? Moment mal. Bei dem Namen klingelt es doch, oder? Richtig, der hat uns doch in den Achtzigern und Neunzigern mit Mainstream-Hits wie Stripes, den beiden Ghostbusters, Twins, Kindergarten Cop und Junior erfreut. Und dieser harmlose Bursche hat mal einen Kannibalenfilm gemacht? Gibt's doch nicht!
Gibt es wohl. Auch Blockbuster-Regisseure haben bisweilen Leichen im Keller. In diesem Falle darf ich jedoch fröhlich verkünden, daß die Leiche nicht nur richtig schön anzuschauen ist, sondern daß sie auch kein bißchen stinkt. Im Gegenteil: sie duftet angenehm kultig. Allerdings möchte ich das eben Geschriebene gleich mal etwas relativieren. Cannibal Girls atmet aus jeder Pore dieses eigenwillige "Odeur No. 70", soll heißen: das ist ein Film, wie er nur in den Siebzigern entstehen konnte, und das sieht man ihm in (fast) jeder Einstellung auch an. Der Streifen mutet wie ein Relikt aus einer längst vergangenen Ära an und entspricht so gar nicht mehr den zeitgenössischen Sehgewohnheiten.
Außerdem hat man ihm einen niedlichen Gimmick verpaßt: die Warnglocke! Das Bimmeln der Warnglocke (tatsächlich ist es auf der mir vorliegenden DVD kein Bimmeln, sondern vielmehr ein Tröten!) soll sensible Naturen darauf hinweisen, daß gleich etwas Grausiges passieren wird, und so haben diese genügend Zeit, um rechtzeitig die empfindsamen Äuglein zu schließen. Alle anderen werden wohl exakt das Gegenteil tun und gespannt verfolgen, was sich da ach-so-Schreckliches ereignet. Aus heutiger Sicht wirkt das alles eher zahm und zurückhaltend, obwohl das Blut natürlich spritzt, wenn Messer, Äxte oder Spitzhacken zum Einsatz kommen. Aber was vor fast vierzig Jahren geschockt hat, sorgt nun meist nur noch für ein müdes Lächeln.
Cannibal Girls ist ein Märchen. Ein Märchen für Erwachsene. Das Pärchen Clifford (Eugene Levy, American Pie) und Gloria (Andrea Martin, Black Christmas) legt nach einer Autopanne in dem verschneiten Küstenstädtchen Farnhamville eine Zwangspause ein und muß auf die harte Tour erkennen, daß an der lokalen Legende um die drei Mädchen (Randall Carpenter, Bonnie Neilson und Mira Pawluk) mehr dran ist, als es zunächst den Anschein hat. Denn die attraktiven Grazien haben ihre Männer zum Fressen gern, im wahrsten Sinne des Wortes. Reitman & Co hatten den billigen, in der Nähe von Toronto gedrehten Streifen nach neun Tagen im Kasten, nur um festzustellen, daß der Film erstens zu kurz und zweitens zu harmlos war. Also setzte es - trotz akuter Geldknappheit - einige Nachdrehs, und nach fast zwei Jahren erblickte Cannibal Girls dann endlich das Licht der Leinwände.
Reitman und seine Co-Autoren Daniel Goldberg und Robert Sandler beweisen viel Sinn für schrägen Humor, ohne den Streifen zu einer Komödie verkommen zu lassen. Cannibal Girls ist in erster Linie ein Horrorfilm, was nichts daran ändert, daß einige Szenen verdammt witzig geraten sind. Besonders das Dinner mit dem sardonischen Reverend Alex St. John (Ronald Ulrich) ist köstlich. Was den recht kruden Film so interessant macht, ist, daß viele seiner Schwächen gleichzeitig auch irgendwie seine Stärken sind, da diese ihm eine ganz eigenartige und originelle Qualität verleihen, was ihn vom Gros seiner Mitbewerber deutlich abhebt. Die schöne Winterlandschaft, die langen, ruhigen Einstellungen, die holprige Dramaturgie, die kauzigen Figuren, die improvisierten Dialoge (es gab kein richtiges Drehbuch, lediglich eine Art Szenenübersicht), das teils theatralische Spiel, die spärlichen Charakterisierungen, die eigenwillige Stimmung, die scheinbare Abgeschiedenheit vom Rest der Welt, der unorthodoxe Einsatz von Rückblenden und Traumsequenzen, der Verzicht auf Erklärungen... all das gibt Cannibal Girls das gewisse Etwas, das ihn für Gourmets von ausgefallenen Spezialitäten so schmackhaft macht, wohingegen Gourmands schon nach wenigen Bissen angewidert das Gesicht verziehen und gelangweilt nach Alternativen suchen dürften.
Die Empfehlung des Hauses ist somit, den Film abends bei Kerzenlicht zu genießen, im Doppelprogramm mit Pete Walkers The Flesh and Blood Show. Als Beilage drängt sich ein saftiges Stück Steak (zumindest Medium) förmlich auf, und eine Flasche edler Rotwein aus den Frühsiebzigern darf ebenfalls nicht fehlen. Ob der Film, dem man eine gewisse Pioniertätigkeit innerhalb der kanadischen Genrelandschaft attestieren muß, mundet, wird sich weisen. Verpassen sollte man ihn als Fan des 70er-Jahre-Horrorkinos jedoch keinesfalls.