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Mit 3 Jahren zerschmetterte Edward Bunker den Verbrennungsofen im Hinterhof der Nachbarn mit einem Hammer. 12 Jahre später behauptete sich Bunker gegenüber einem anderen Jungen, indem er ihm sein Auge mit einer Gabel aufspießte. Ein Bankraub, ein paar Gewaltakte mehr, und Edward Bunker wurde der jüngste Insasse im amerikanischen Gefängnis San Quentin. Doch selbst aus dem berühmten Knast konnte der Junge ausbrechen. Später fand man seinen Namen in der Liste der 10 meistgesuchtesten Männer des FBIs. Heute ist Edward Bunker 67 Jahre alt, und man kennt ihn kaum mehr als den gefährlichen Kriminellen - sondern eher als Schriftsteller und Schauspieler.

Edward Bunker hat Karriere gemacht. Seine Novelle "No Beast So Fierce" wurde bereits 1978 verfilmt, in den 80ern sah man ihn in "Running Man", "Express in die Hölle" und "Tango & Cash". Dann erntete er viel Applaus, als er in Quentin Tarantinos Erstling "Reservoir Dogs" als Mr. Blue auftrat. Aus Eddie Bunker, dem Kriminellen, wurde Eddie Bunker, der Filmschaffende mit krimineller Vergangenheit. Nun hat sein Freund und "Reservoir Dogs"-Co-Star Steve Buscemi sein wohl wichtigstes, und persönlichstes Buch verfilmt: "Animal Factory", die Geschichte des Jungen, der in ein Gefängnis eingeliefert wird, und mit aller Kraft versucht in dem Moloch aus Gewalt, Langeweile, Rassenhass und Perversion zu überleben.

Steve Buscemi hat mit seinem Debütwerk "Trees Lounge" bewiesen, dass er ein guter Director ist. Ganz im Sinne seines Regie-Vorbildes John Cassavetes, dem er schon mit dem Vorgänger Tribut zollte, vermeidet er konsequent alle, ja wirklich, alle Gefängnis-Klischees, wird nie übermäßig melodramatisch und spart all das aus, was uns moralische Gefängnisdramen as usual eh schon hundert Mal gezeigt haben. Buscemi geht es gar nicht darum, wie, und warum seine Hauptfigur ins Kittchen gekommen ist, oder gar ob er es verdient hat. Es geht ihm nur um das Leben im Gefängnis, in dem was Eddie Bunker einst "Animal Factory" nannte. Auch formuliert er die Motivation des Earl Copen-Charakters nie direkt aus, sondern lässt Vermutungen zwischen den Zeilen stehen.

Die Story ist nicht direkt die Geschichte Ron Deckers, der mit jungen Jahren in ein Gefängnis für Hartgesottene einkehren muss, sondern ist die Geschichte des Gefängnisses an sich, und dessen Insassen. Exemplarisch wurde die Anekdote Deckers gewählt, um dem Zuschauer das Leben hinter Gittern plausibel zu machen. Ron Decker (Edward Furlong) ist jung, gutaussehend und ohne Freunde im Knast. Gefundenes Fressen für die brutalen Homosexuellen, die sich gerne "Lustknaben" halten. Schnell gerät der clevere Ex-Oberschüler unter die Fittiche des einflussreichen Earl Copen, der ebenso intelligent wie verbrecherisch ist.

Willem Dafoe verkörpert den kahlköpfigen, eingefallenen Earl Copen auf brillante, umwerfende Weise. Sein kahler Schädel und der scheinbar deformierte Körper sind ebenso charismatisch wie Erfurcht einflössend. Trotz der Tatsache, dass Earl Copen ein ganz, ganz schwerer Kollege ist, spielt Dafoe ihn nicht schubladengerecht böse, sondern eher feinfühlig und clever. Trotz seiner 18 Jahre Knast, seiner Drogensucht, und seiner selber eingestandenen Selbstsucht, ist Earl Copen eine sympathische Figur. Wie er öfter im Film sagt: "Er ist der wahre Boss" im Knast. Er kennt alle Tricks, alle Kniffe, und alle halbwegs bestechlichen Wärter.

Copen findet in Decker die Person, die er in seiner (vielleicht zu nett und freundlich gezeichneten) Knastclique bisher vermisst hat. Decker ist jener gutgeistige, unverdorbene Junge, mit dem er über tiefsinnigere Dinge, als über den nächsten Drogentrip oder über die nächste Prügelei im Gefängnishof reden kann. Gegenseitig vertrauen sie sich ihre Gefühle, ihr Leben an, allerdings ohne jemals zu viel zu verraten. Gemeinsam gehen sie durch die brutalen Höhen und Tiefen des Knasts, und Earl hilft seinem jungen Schützling, einen Hoffnungsschimmer am Horizont zu sehen. Er fälscht psychologische Urteile und versorgt ihn mit juristischen Background-Infos für eine mögliche Revision des Urteils. Als jedoch die Hoffnung über ein legales Entkommen aus dem alltäglichen Gefängnis-Wahnsinns zerbricht, planen Copen und Decker einen gemeinsamen, waghalsigen Ausbruch.

Buscemi erzählt den Film gemächlich, hin und wieder fast ziellos, aber dadurch realistisch und intensiv. Gehalten wird sein Film eh größtenteils durch seine durchweg fantastischen Schauspieler. Es mag wirklich niemanden geben in diesem Streifen, der keine Meisterleistung hingelegt hat: Edward Furlong als sprachloser Teenie, verwirrt und zornig, hat zwar wenig Dialog, aber sein kalter, orientierungsloser Blick sagt oft mehr aus, als tausend Worte. Ebenso Seymour Cassel, John Heard (der schauspielerische Prototyp des "guten Familienvaters entgegen seiner sonstigen Rollenwahl), Danny Trejo, Mark Boone Junior, Rockets Redglare sind außergewöhnlich gut. Besonders aus dem Rahmen ihres bisherigen Rufes sind folgende zwei Darsteller besetzt: Tom Arnold ("Roseanne") gibt einen bulligen Vergewaltiger und Mickey Rourke spielt Jan the Actress, ein transsexueller, geschminkter Flamingo, unter dessen Make-up und gestelzter Homo-Lyrik man kaum einen Macho wie Rourke ausmachen kann.

"Animal Factory" ist sicherlich kein einfacher Film, schon allein, weil seine Story nicht so schlicht und einfach wiedergegeben wird, wie in anderen Knastdramen. Einfache Antworten findet man in Buscemis zweitem Werk glücklicherweise nicht. Dafür findet man einen fesselnden Schauspielerfilm, bei dem wirklich jede darstellerische Leistung eine pure Granate ist. Für Hartgesottene, und jene, die meinen bereits alles gesehen zu haben, was das Gefängnisfilmgenre vorbereitet hat, eine definitive Empfehlung!

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