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In 9/11 sehen wird reflexiv nur den Gigantismus der Auswirkungen, das Ergebnis eines terroristischen Angriffs – selten erzeugen Zahlen ein derart klares Bild, als zwei Passagierflugzeuge die Twin Towers des World Trade Centers zerstörten. Tausende Opfer, gigantische Staubwolken – jeder kennt die verstörenden, desillusionierenden Bilder. Die Tragödie übersteigt in ihrem vollen Umfang die Vorstellungskraft, sofern man nicht selbst dabei war. Eine Minimierung des Horizonts auf Einzelschicksale kann mehr als die Bebilderung der kollektiven Tragik aussagen. Die Geschehnisse sind dadurch mitunter greifbarer, weil ihnen der abstrakte Charakter genommen wird. Rückblickend sehen wir nur den Einschlag, die Zerstörung und die Auswirkungen auf die weltweite Außenpolitik. Seitdem hat sich das Weltbild verändert – nebenbei bemerkt auch der Antiamerikanismus aufgrund außenpolitischer Aktionen verstärkt.

Oliver Stone erzählt seinen Beitrag über 9/11 weniger global, statt vielmehr regional. Genau genommen reduziert er das Sichtfenster auf zwei Einzelschicksale, durch die man tiefe Einblicke über die faktische Wirkung der Turmeinstürze bekommt.
Für die New Yorker Cops John McLoughlin (Nicolas Cage), und Will Jemano (Michael Pena), war es ein ganz normaler Tag. Der Wecker klingelt, der Dienst ruft. Stone zeigt New York früh morgens in schön geschnittene Momentaufnahmen einer Metropole. Erst später, als man Einblicke in das normale Chaos des Alltags erhält, weckt ein Datum, Dienstag 11.09.2001, die Erinnerung. Nach 5 Jahren wirken die Bilder immer noch sehr aktuell, man baut seine eigene Gedankenwelt, hervorgerufen durch eine nackte Aneinanderreihung von Zahlen. In der Filmgegenwart verbleibt man bei den beiden Protagonisten, urplötzlich stört eine Erschütterung den geregelten Ablauf. Einsatzkräfte werden hektisch per Funk zur Zentrale beordert. Das Chaos beginnt, der Betrachter sieht, was McLoughlin und Jemano sehen. „World Trade Center“ lässt eine tief greifende Wirkung einstehen, indem auf menschlicher Ebene gefesselt wird und weniger die gigantischen, alles verschlingenden Ausmaße bebildert werden. Die Flugzeugattacken sieht man nur indirekt über Original-Fernsehbilder. Man atmet den Geist der Protagonisten, geht mit ihnen durch die Hölle der chaotischen Unwissenheit und landet letztendlich im Sumpf von Stahlbeton, Staubwolken, Feuer und Trümmern, unter den die beiden Cops bei einem Evakuierungsversuch begraben werden.

In New York herrscht spürbare Anarchie, hervorgerufen durch etwas, auf das man nicht vorbereitet ist. Niemand konnte sich überhaupt vorstellen und zunächst auch realisieren, dass das Hier und Jetzt kein Albtraum ist. Obwohl man als Betrachter Vorkenntnisse besitzt fühlt man jede Phase mit – von der Konsternierung durch die Attacken, dem daraus resultierenden Chaos bis zu dem Klammern am Leben im dunklen, hoffnungslosen Trümmerhaufen, der nur durch das Feuer weiterer Explosionen belebt wird. McLoughlin und Jemano reden über ihre Familien, Schmerzen, die für sie ein Lebenszeichen sind. Bloß nicht einschlafen. Es ist erstaunlich, wie sehr der Mensch am Leben hängt und in der Not daran klammert. Jemano sieht eine Jesuserscheinung, symbolisch für die Hilflosigkeit und die dadurch entstehende Bereitschaft zu glauben. Der Mensch bildet in der Not den Instinkt sich mit allen Mitteln am Leben zu halten, egal wie groß der Unmut über sein bisheriges Dasein ist. Die beiden Protagonisten reden über Probleme des Alltags, um festzustellen, wie sehr sich doch, trotz Widrigkeiten, das genießen, was sie eigentlich haben. Stone erreicht gerade auf dieser Ebene eine tiefe Dramaturgie. Pena und Cage setzen mit ihrer überzeugenden Ausdruckskraft, die Desillusionierung bis aufrichtige Verzweiflung umfasst, den Grundstein für die Empathie. Außerhalb, auf einer anderen Erzählebene, bangen die Familien um ihre Angehörigen, die Leute rücken zusammen, an sich entfremdete Bewohner einer Metropole werden zu einem kollektiven Bollwerk, das den Patriotismus betet.

Man kann diese Darstellung als Kitsch, Pathos und übertriebenen Patriotismus brandmarken, aber unabhängig davon, dass man sich bei der Geschichte der beiden Cops nicht auf fiktivem Raum bewegt, zeigt „World Trade Center“ vielmehr eindrucksvoll die menschlichen Mechanismen und Verhaltensmuster in der Not. Der Hang zum Leben, Hoffnung durch Religion, urplötzlich entstehender Zusammenhalt und das Besinnen auf das, was man im Alltag nicht immer zu schätzen weiß. All das im Kontext eines erschreckend brillant inszenierten Desasters, das die Welt, so trivial es klingen mag, veränderte. Mit der reduzierten Sichtweise auf zwei Cops und deren Familien saugt man vielmehr Details und Einzelheiten auf, die im Moloch des Einsturzes zweier Symbole untergehen. Das Publikum bewegt sich zuerst in den Staubwolken, atmet die trockene Luft, um letztendlich mit den beiden Hauptdarstellern in den Trümmern der Türme zu versinken. Man teilt Ängste, sieht wie sehr Hoffnung uns am Leben hält und ist dadurch näher an den beteiligten Menschen, als man es durch die mitunter geheuchelte Trauer unmittelbar nach den Ereignissen war.

Stone gestaltet den Film plastisch und dazu gehören zweifelsohne Emotionen, die inszenatorisch mit Hilfe melancholischer Klavier- und Geigenklängen gefördert werden. „World Trade Center“ gewährt mehr Einblicke, macht die Dramatik greifbarer, als es Fernsehbilder von einstürzenden Türmen machen könnten. 9/11 befindet sich nicht mehr im abstrakten Bereich unserer Vorstellungskraft, weil die Tragödie an Menschen gekoppelt ist und damit fernab der Zahlen von Toten und den Symbolcharakter der Türme etwas Konkretes bietet. Dass Marines nicht urplötzlich ihre militärisches Denken ablegen, die Geschehnisse dieses sogar noch verstärkt, ist dann eigentlich eher vielmehr menschlich als übertrieben dargestellt. Der Film fördert keinen Kreuzzug oder sonstige religiöse Hassattitüden, man geht gar nicht konkret auf die Hintergründe des Terrorismus ein, weil man sich überwiegend auf der Ebene der beiden verschütteten Cops bewegt. Wenn ein Feuerwehrmann am Rande die Terroristen zweimal als sinngemäße Bastarde bezeichnet, sollte man es im Kontext der Tragödie nicht unbedingt die moralische Keule schwingen. Aus der Ferne kann man leicht politische Korrektheit und Betroffenheit heucheln, aber in der Realität verhält sich das menschliche Handeln dann doch oftmals anders, als man es sich zugestehen will. Stone nimmt jedenfalls die Distanz, indem er 9/11 an zwei Menschen koppelt und überwiegend deren Perspektive visualisiert und subtil schrittweise auf eine Nation ausweitet. (8/10)

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