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Wie bringt man grundsätzlich normale Menschen dazu andere Menschen zu erschießen? Und weiter gefragt, wie bringt man sie dazu es zu genießen, respektive sich darauf zu freuen? Die erste Szene zeigt, wie den jungen Rekruten die Schädel kahl geschoren werden. Jegliche Individualität soll ausgelöscht werden, angefangen bei ihrem äußeren. Darauf lernen wir den Ausbilder Sergeant Hartman (Ronald Lee Ermey) kennen. Schnell kristallisiert sich mit Joker (Matthew Modine) eine Haupt bzw. Identifikationsfigur heraus. Denn als erster zieht er den Unmut des Ausbilders mit kecken Sprüchen auf sich. Neben einigen Off-Kommentaren seitens Joker, ist es Sgt. Hartman der in der ersten Hälfte des Films den Ton angibt. Und dieser besteht hauptsächlich aus primitiven Beleidigungen und Demütigungen der angehenden Soldaten.

Hartman's Aufgabe ist, neben der Auslöschung jegliches Zweifels und Individualität, Hass in die Köpfe der Rekruten zu bringen. Jeder der aus dem Konsens der Gruppe fällt wird als Feind oder Schädling gesehen. Das bekommt der sarkastische Private Joker auch recht bald zu spüren. Auf die Frage, ob er denn an die Jungfrau Maria glaube, entgegnet er ein, Nein. Einzig durch seinem Intellekt und seiner Sprachgewandheit entkommt er härterer Prügel seitens Hartman. Private Pyle hingegen wird durch seine schwerfällige Erscheinung und seinem mangelnden Denkvermögens schnell zu einer Zielscheibe des Spotts und Demütigungen. Hartman läßt nichts unversucht um ihn von der Gruppe abzusondern. Bei jedem seiner vermeintlichen Fehler muß die gesamte Gruppe mit extra Training büßen. In dem daraus resultierenden Hass wird Pyle von seiner Gruppe brutal verprügelt. Selbst Joker der eigentlich Mitleid mit ihm hat, schlägt zu, ja vielmehr schlägt er am härtesten und häufigsten auf ihn ein.

Pyle zerbricht an diesen Demütigungen. Er verfällt dem Wahnsinn, beginnt mit seiner Waffe zu sprechen und wirkt mit seinem kalten gefühllosen Blick apathisch und innerlich zerstört. Ironischerweise laßt ihn gerade daß zum Mustergültigen Soldaten werden. Denn als Scharfschütze scheint man eine Tätigkeit gefunden zu haben, die seinem Talent entspricht. Kurz vor dem Ende der Ausbildung kommt es zum fatalen Treffen zwischen Pyle und Hartman. In dieser Szene wird um so mehr deutlich, daß Pyle zu der von der Army so geliebten perfekte Waffe geworden ist. Emotionslos exerziert er wie zum Hohn mit seiner Waffe und spricht das ihnen eingebleute "Gebet" über sein Gewehr auf, bevor er zuvor Hartman und schließlich sich selbst richtet. Der zu perfekte Soldat?

Nach dieser unglaublich fesselnden Szene folgt ein Schnitt nach Vietnam. Private Joker und sein Kamerad Rafterman feilschen gerade mit einer vietnamesischen Prostituierten um den Preis. Auch hier ist der alles durchtränkende Zynismus zu merken. Zu den Klängen von Nancy Sinatras Emanzipations-Hymne "These Boots are Made for walking" , wird hier um die Ausbeutung einer Frau gefeilscht. Während in den USA die Rechte der Frauen langsam durchgeboxt wurden, hatten viele vietnamesische Frauen die Wahl, entweder in den Wirren des Krieges unterzugehen oder zum Spielzeug von ein paar GIs zu werden. Diese beißend ätzende Szene spiegelt wunderbar die unglaubliche Verlogenheit und Heuchelei der westlichen Welt wieder. Joker der mittlerweile als Berichterstatter für "Stars and Stripes" arbeitet und mit schönredender Propaganda und Lügen zu tun hat, verschlägt es zusammen mit Rafterman, der schon lange "rein in die Scheiße" will, zu einem seiner ehemaligen Kameraden. Cowboy der zusammen mit Joker die Ausbildung gemacht hat, leitet eine Truppe der sich Joker und Rafterman vortan anschließt. Dort lernt man auch recht bald den Alltag des Soldatenlebens kennen.

Es wird nicht etwa durch den wild bewachsenen Dschungel geschlichen, oder auf Plänen ausgeklügelte Strategien entworfen. Die meisten Szenen zeigen die Soldaten bei infantilem, makaberen und pubertierendem Gerede. Hier gibt es niemanden der verstohlen ein Foto seiner Verlobten herumreicht oder sentimental über seine Heimat schwadroniert. Hier gibt es auch niemanden der über den Dingen zu stehen scheint als ob er die Moral gepachtet hätte. So leicht macht es uns Kubrick nicht. In einem grausamen, inhumanen Umfeld wie diesem ist es nur logisch, daß kein Platz für menschliche Gefühle ist, oder zumindest werden sie nicht offen gezeigt. Und verblaßt nicht jeder Anstrich von Moral augenblicklich in einer solch grausamen und willkürlich brutalen Welt?

Es sollte keine Bewertung des Krieges sein, daß merkt man schnell. Vielmehr ging es Kubrick um die Entlarvung der Militärmaschine. Dementsprechend kalt und analytisch fällt sein Blick auf die Geschehnisse ab. Hier ist kein Platz für Idealisten, Humanisten oder gar verkappte Pazifisten, die oft in anderen Antikriegsfilmen als Identifikationsfiguren herhalten mußten (z.B. Platoon). Nein, Private Joker ist, obwohl er die Manipulationen der Army durchschaut und sie nicht selten sarkastisch kommentiert, ein Zyniker und paßt überraschenderweise besser zu ihnen als ihm lieb ist. Intelligenz und Abgeklärtheit ist kein Schutz vor Grausamkeiten, nicht ohne Grund schlägt Joker bei Private Pyles "Bestrafung" härter zu als alle anderen. Vielmehr macht ihn sein Verstoß gegen besseres Wissen und seine eigenen moralischen Grundsätze zum grausameren Täter.

Kubrick mutet dem Zuschauer einiges zu. Da wäre das brutale und schreiend ungerechte Einprügeln auf den hilflosen Private Pyle, der Hubschrauberschütze der unentwegt auf Zivilisten feuert und sein Tun mit zynischen Floskeln kommentiert, oder der Soldatentrupp der sich eine Vietnamesische Leiche als "Maskottchen" hält. Das wie schon erwähnte Wegfallen einer moralisch intakten Identifikationsfigur macht es zwar teilweise unglaublich schwer sich dem gesehenen hinzugeben, aber macht den Film wohl auch zum ehrlichsten seiner Zunft. Denn da wo andere auf tränendrückende Erklärungen oder auf naive und sentimentale Betroffenheit pochen, setzt Kubrick mit kühlem analytischen Blick den Wahnsinn und die Unmenschlichkeit des Krieges frei ohne in Verklärung oder gar Romantisierung abzudriften.

Fazit:"Full Metal Jacket" zeigt ungeschönt die Barbarei, die Ungerechtigkeit und den menschenverachtenden Zynismus des Krieges und ist damit vielleicht der ehrlichste und aufrichtigste Film seines Genres. Auch ist es eine bitterböse satirische Abrechnung mit dem Chauvinismus des Militärs. Kubrick ist (wieder einmal) ein absolutes Meisterwerk gelungen an dem sich andere Genrevertreter messen müssen.

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