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"Full Metal Jacket" ist oberflächlich in zwei Phasen zu unterteilen: Die Ausbildung der Marines für den Krieg und deren Einsatz in Vietnam. Als Hauptcharakter kann man recht unkompliziert Pvt. Joker (Matthew Modine) ausmachen, mit dem man zusammen den Werdegang eines Marines durchlebt. Doch häufig erfasst der Film nicht eine einzelne Figur, viel eher war es Stanley Kubrick wichtig, eine gewisse Gruppendynamik auszumachen und zu dokumentieren.

So fällt in der ersten Phase wohl jedem auf, das Pvt. Joker der Rang von Gny. Sgt. Hartman (R. Lee Ermey) und Pvt. Pyle (Vincent D'Onofrio) abgelaufen wird. Hartman ist nämlich der klischeekreierende, superharte Ausbilder, der die Marines an ihre Grenzen treibt. Diese Rolle wurde in vielen anderen Filmen wieder aufgegriffen oder auch persifliert. Jedenfalls leidet besonders der anscheinend psychisch labile Pvt. Pyle darunter, was in einem erschreckendem Finale dieser Phase mündet. Die soziale Kritik ist unverkennbar. Ansonsten strotzt der Film hier vor Lebhaftigkeit. Hartman haut derbe Sprüche am laufenden Band raus, die Marines entwickeln sich munter und der Schnitt schneidet kausal andauernd neue Teilbereiche an, ohne die vorausgegangen ausklingen zu lassen, was Langeweile im Keim erstickt. Ich kann mir praktisch nicht vortsellen, wie man sich einer solchen Inszenierung entziehen kann; man wird quasi an den Bildschirm gefesselt.

Die zweite Phase, der Vietnamkrieg selbst, schlägt ein ungleich langsameres Tempo ein und ist schon fast ein eigenständiger Film an sich. Trotzdem verhilft die Ausbildungsphase zu einem stärkeren Bezug zu den Soldaten und zum Film überhaupt. Stanley Kubrick beginnt jetzt auch, ein ganzes Arsenal ein genialer Inszenierung loszulassen. Besonders zu erwähnen sind diesbezüglich natürlich die superben Kamerafahrten, die in diesem Film wirklich fast bis zur Perfektion getrieben werden. Ob nun die Einführungsszene mit der vietnamesischen Nutte, bei der die Kamera erstmal butterweich über den Asphalt schwebt, oder wenig später am Strand einen Helikopter fokussierend. An allen Enden läuft Kubricks Genialität aus dem Film. Später begründet er mit seiner realitätsnahen Wackelkamera in den eigentlichen Kriegsszenen nochmal locker einen der dynamischsten Stile überhaupt.

Dabei vergisst er trotzdem nicht die ihm wichtige Kritik am Krieg. So ist der Protagonist Pvt. Joker beim Nachrichtendienst beschäftigt, was dem Film freie Fahrt lässt, die Propaganda der Amerikaner zu betonen. Später wird an vielen Stellen auch die Missbildung der Soldaten gezeigt, die aus Spaß auf Vietnamesen schießen und keinen Respekt mehr vor dem Leben haben. Und auch darüber hinaus bietet der Film noch reichlich Diskussionsstoff.

Typisch für Kubrick ist auch die wegweisende Implentierung der Musik, die aber nicht ganz so wegweisend ausfällt wie bei "2001" oder "Uhrwerk Orange". Diesmal verwendet er zeitgenössische, us-amerikanische Stücke, die sich prächtig ins peppige Kriegsszenario mischen. Wenn aber die Spannung der Situation betont werden soll wie bei Pvt. Pyles Tod oder der Ausseinandersetzung mit dem vietnamesischen Scharfschützen, greift Kubrick zu atmosphärischen, düsteren Klängen. Ansonsten lebt der Film von einem authentischen Soundteppich mit Explosionen und Geballere im Hintergrund, was für ein extrem dichte Atmosphäre sorgt. Die prächtigen Sets sind darüber hinaus ein weiteres Highlight.

Auch bei den Darstellern hat sich Kubrick nicht lumpen lassen und treibt diese wieder zu erstaunlichen Leistungen an. Vor Dynamik nur so strotzende Dialoge sind die Folge. Des Weiteren sind die gewählten Darstellen total harmonisch zueinander und verleihen den Figuren die so wichtigen, tragenden Spannungen, die häufig vom frechen Protagonisten ausgehen.

Einziger Wehrmutstropfen ist für mich der etwas holprige Storyfaden des Kriegsgeschehens, der keinesfalls langweilig ist, viel eher gehobene Spannung liefert, aber einen richtigen Höhepunkt vermissen lässt. Gerade der Schluss erscheint etwas plump und unbefriedigend. Doch zweifel ich nicht daran, dass dies Absicht Kubricks gewesen ist. Er wollte keinen Film mit einer ausgereiften, abgeschlossenen Geschichte, sondern einen authentischen, erbarmungslosen Einblick in den Krieg. Inzwischen gibt es zwar viele Filmchen, die den Krieg noch brutaler und härter zeigen, das Gesamtgefüge von "Full Metal Jacket" ist aber unschlagbar.

So bleibt nur zu sagen, dass sich der Film gut in Kubricks Portfolio einreiht und ein Meilenstein unter den Kriegsfilmen ist. Beinahe perfekt inszeniert mit Humor, Gesellschaftskritik, interessanten Figuren und viel Krieg: Ein Film, der durchaus polarisiert!

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