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Von den Kritikern gelobt und von den Zuschauern meist dennoch verschmäht, konnte Michael Mann („Thief“, „Manhunter“) vor zwei Jahren erstmals mit seinem 65 Millionen teuren Thriller „Collateral“ auch einen bemerkenswerten kommerziellen Erfolg verbuchen, der allein am amerikanischen Boxoffice die magische 100 Millionen-Dollar-Marke durchbrach.
Mit „Miami Vice“ macht er nun genau dort weiter, wo er damals aufhörte und funktioniert seine Neuinterpretation des in den Achtzigern so einflussreichen TV-Trendsetters zu einer düster geschliffenen Undercovermission um, die sich insofern von „Collateral“ und „Heat“ unterscheidet, dass die für Mann typisch detailliert betrachteten Charaktere ein Stück weit zurücktreten müssen, um für eine spannende interessante Darstellung der Funktionsweise eines global operierenden Verbrecherkartells Platz zu schaffen. Im Vergleich zu ähnlich gelagerten Filmen bleibt „Miami Vice“ bezüglich seiner Schlüsselfiguren natürlich trotzdem immer noch sehr ausführlich.

Erneut ohne Opening Credits und ohne Exposition steigt der Zuschauer direkt in die Undercoveroperation in einer rege besuchten Diskothek zu „Numb/Encore“ von Jay Z. feat. Linkin Park ein, wo das Team von Miami Vice (Der Name wird übrigens nie erwähnt) einen Drogendealer hochgehen lassen will.
Mitten im Getümmel erhält Sonny (Colin Farrell, „Tigerland“, „Alexander“) plötzlich den Anruf eines Informanten, den sie vor sechs Monaten ans FBI ausgeliehen hatten. Seine Tarnung ist aufgeflogen und er flüchtet. Eine undichte Stelle dieser Kooperation verschiedener Dienststellen hat Informationen durchsickern lassen. Nun sterben F.B.I – Agenten im Kugelhagel, fliegen Tarnidentitäten auf und geht Fujima (Ciarán Hinds, „Lara Croft Tomb Raider: The Cradle of Life“, „Munich“), dem Leiter dieses katastrophal endenden Einsatzes, der Hintern auf Grundeis.
Crockett und Tubbs (Jamie Foxx, „Collateral“, „Ray“) wollen wissen was vorgefallen ist und lassen sich auf einen unabhängigen Undercovereinsatz ein, der nicht vom F.B.I. geleitet wird und bieten sich als See- oder Luftkuriere dem südamerikanischen Kartellchef Jesús Montoya (mit einer Wahnsinnsausstrahlung: Luis Tosar), von allen nur „Der Erzengel“ genannt, an. Von da an entwickelt ihr Fall eine gefährliche Eigendynamik mit der beide nicht gerechnet haben, die bis in ihr Privatleben wirkt...

Michael Manns gewohnt sorgfältige Inszenierung legt erneut Wert auf die kleinsten Details, stellt neue Maßstäbe in Sachen Ästhetik auf und achtet gleichzeitig auf die Harmonie der Bilder mit dem Ton, speziell der sorgsam ausgewählten Musik (Audioslave, Mogwai etc.). Wer sich mit Manns Filmen bisher anfreunden konnte, wird auch hier sofort auf seine Kosten kommen.
Er und sein Kameramann, der oscarprämierte Australier Dion Beebe („Collateral“, „Memoirs of a Geisha“), entwickelt die Möglichkeiten der digitalen Aufnahme weiter und präsentiert ein paar unglaublich hypnotische Szenen, die so auf herkömmlichen Zelluloid gleichermaßen edel, schmuddelig wie grobkörnig gar nicht möglich sind. Insbesondere die Aufnahmen bei Nacht, ähnlich atmosphärisch wie in „Collateral“ umgesetzt, sind zu einem unnachahmlichen Markenzeichen Manns geworden. In „Miami Vice“ experimentiert er am dunklen Himmel mehrmals im Hintergrund mit einem Gewitter, so dass man den Himmel kurz aufleuchten sieht und den Donner heranrollen hört. Entsprechendes technisches Equipment vorausgesetzt, eine ganz eigene Erfahrung.
Der Einsatz der digitalen Fotographie am Tage garantiert dann ein paar ganz unvergesslich ästhetische Panoramaaufnahmen, die so edel und schick aussehen, dass man sie sich am liebsten sofort einrahmen und an die Wand hängen möchte. Manns sicheres Gespür für einmalige Momente hat ihn auch hier nicht im Stich gelassen und was er für Bildmontagen auf Kuba (Havanna), in Uruguay und der Dominikanischen Republik (hält als Haiti her) zaubert, ist einfach atemberaubend prächtig.

Die Überlänge des Films spürt man als Zuschauer nicht. Ganz im Gegenteil hätte „Miami Vice“ besonders in der zweiten Hälfte noch etwas ausführlicher sein und die Strukturen näher durchleuchten können. Aber irgendwo sollte der Film ja auch einer kinogerechten Laufzeit entsprechen, anstatt sich ewig an Details aufzureiben, denn von denen gibt es bereits einige.
Die riskante Infiltrierung des Kartells, das sich als Global Player ausweist und von Drogen- über Waffen- bis Softwarehandel in jeder wichtigen Branche vertreten ist, wird von einer sehr emotionalen Charakterisierung Tubbs’ und Crocketts begleitet, die beide riskante Beziehungen pflegen, welche ihren Höhepunkt jeweils in einer erotischen Szene finden. Es ist sehr interessant mit anzusehen, wie Mann so relaxt und souverän mehr Gefühl und Zuneigung in diesen intimen Augenblicken aus dem Ärmel schüttelt als es andere Regisseure angestrengt während eines ganzen Films nicht schaffen.

Gleichzeitig trifft der Zuschauer dabei auch auf das einzige Manko des Films, denn das Geschehen verliert an einer Stelle etwas den Rhythmus. Mann meint es etwas zu gut mit seinen Figuren und wiederholt sich bei der Schilderung des Verhältnisses zwischen Crockett und Isabella (Gong Li, „2046“, „Memoirs of a Geisha“), Montoyas Finanzexpertin, ein- bis zweimal anstatt forscher voranzuschreiten, da im Grunde alles gesagt und gezeigt worden ist. Die Chemie zwischen den beiden stimmt und die privaten Unterhaltungen, die sich dann auch abseits des Jobs bewegen, fördern gleichermaßen die Charakterisierung wie auch die Beziehung.

Die Dialoge sind ohnehin von gewohnter Qualität, sehr überzeugend vorgetragen, sinnvoll und mit bedeutsamen Inhalt frei von Geschwafel präsentiert. Besonders das Vorstellungsgespräch der beiden vor Jose Yero (John Ortiz, „The Last Marshal“, „Take the Lead“), in dessen Verlauf Tubbs irgendwann Klartext redet, seinerseits Yero verdächtig ein Bulle zu sein und die Situation fast eskaliert, ist dabei ein kleines Highlight.
Überhaupt fällt der Cast dadurch auf, dass er keinerlei Schwächen zeigt und bis in die kleinste Nebenrolle perfekt besetzt wurde. Allein schon weil jeder Darsteller seine Rolle anders als im Serienoriginal interpretiert, fallen Vergleich zur TV-Vorlage dabei flach.
Der charismatische Colin Farrell, bei dem ich ehrlich gesagt ziemlich skeptisch war, offenbart eine sehr imposante, breitschultrige Körpersprache und eine verschlossene Mimik, aus der dann urplötzlich die Gefühle herausbrechen. Oftmals nachdenklich aber stets auf alles vorbereitet, hält speziell für ihn dieser Einsatz einen gefährlichen Zwiespalt bereit.
Jamie Foxx gibt seinen Tubbs da etwas abgeklärter und von der Arbeit auch distanzierter, bis die Realität auch ihn einholt. Als weniger impulsiver Partner ist er so etwas wie die mahnende Stimme im Hintergrund, die Farrell notfalls etwas ausbremst und ihm die eigentliche Mission vor Augen hält.
Es wäre jetzt müßig jeden einzelnen Darsteller näher zu erläutern, aber Mann ließ seine Darsteller wie gewohnt durch eine harte Schule gehen, sie in Waffenkunde unterrichten oder Speedbootfahren / Rennwagen fahren und kitzelt damit mal wieder aus allein ein Optimum heraus. So überzeugend wie die Darsteller geschlossen auftreten, müssen andere Filmemacher ihn schon um seine Führungsqualitäten beneiden.
Barry Shabaka Henley („Ali”, “Collateral”) als Castillo, Elizabeth Rodriguez als Gina und Domenick Lombardozzi („S.W.A.T.”, „Freedomland”) als Switek haben mir beispielsweise sehr gefallen.
Viele Gesichter hat man vorher noch nie wirklich beachtet oder kennt sie gar nicht, weil sie bisher nur unauffällig in Nebenrollen agierten und plötzlich fragt man sich, was die denn bis jetzt eigentlich gemacht haben. Mann beamt sie einfach aus dem Nichts und es funktioniert. Der gefährlich ruhige, in seinen wenigen Auftritten sehr ausdrucksstarke Luis Tosar und seine rechte Hand John Ortiz, ein undurchschaubarer Zeitgenosse mit viel Instinkt, sind als Bad Guys einfach phänomenal.

Die Schilderung der Hierarchie des Kartells sowie der Aufbau ist einer der interessantesten Aspekte des Films. Ich kann mir gut vorstellen, dass Mann da noch einiges mehr zu erzählen könnte, was den Rahmen allerdings sprengen würde. Montoyas komplexe Organisation hat kaum Schwachstellen und da er auf verschiedenen Märkten Präsenz zeigt, ist er auch nicht ausschließlich vom Drogenhandel abhängig. Von seiner rechten Hand, die Kontakte für ihn knöpft und einer eigenen Finanzexpertin, die die Geschäfte aushandelt, umgibt er sich mit Schlüsselfiguren, denen er vertraut. Sonny und Ricardo treffen auch lediglich einmal auf ihn und da redet eigentlich nur er in bestimmten, zurechtgelegten Worten zu den beiden.
Mit den richtig geschmierten Positionen in der Hinterhand bleibt der Mann bis zum Schluss ein unangreifbares Phantom von dessen Möglichkeiten der Film nur ein Bruchteil zeigen kann. Die rigorose Vorgehensweise dieser gefährlichen Kartelle, die sofort, direkt und unmissverständlich reagieren, erstaunt schon und zeigt dabei auf wie machtlos die Polizei gegen dieses organisierte Verbrechen eigentlich ist.

In erster Linie von der Story und den Charakteren vorangetrieben, hält „Miami Vice“ wenig Action bereit. Da das Speedbootrennen, das noch im Trailer auszugsweise zu sehen ist, von Mann doch als Opening Scene gecancelt wurde, sogar noch weniger als ursprünglich geplant. Einzig und allein ein unglaublich wuchtiger Shootout, der in meinen Augen die neue Referenz darstellt, gestaltet sich etwas ausführlicher. Zwar röhren die Edelkarossen und Speedboote, jeweils mit einem beeindruckenden Klang versehen, auch ordentlich und sprengt Mann auch einen Wohnwagen, dessen Druckwelle quasi direkt auf das Publikum gerichtet wird (Schwer zu erklären, aber ein wirklich beeindruckendes Erlebnis), aber abseits einer Hinrichtung durch Sniper und einer Erstürmung bleibt da nur dieses Highlight des Films.

Der Härtefaktor des Films ist ohnehin nicht ohne, da weder Tubbs noch Crockett Risiken eingehen und ziemlich kompromisslos lieber einen Menschen mehr töten als ihr eigenes Leben zu riskieren, aber die Hölle, die dort losbricht, ist der helle Wahnsinn.
Der ultrarealistische, ohrenbetäubende Sound der Schnellfeuerwaffen in Verbund mit Pumpguns und Granatpistolen während dieses nächtlichen Treffens rechtfertigt das Eintrittsgeld bereits allein. Man kann ihn nicht mehr mit dem Equivalent aus „Heat“ vergleichen, weil der technische Fortschritt in den letzten 11 Jahren zu groß war, aber ein Kinoerlebnis sondergleichen ist er allemal. Egal, ob Einschüsse, splitternde Scheiben, Mann komponiert ein Orchester äußerst präziser Soundeffekte, die alle aus der richtigen Box hämmern und den Zuschauer damit mitten ins Geschehen versetzen, wo Bebe mit der Kamera, dessen Objektiv auch mal mit Blut bespritzt wird, zwischen den beiden Seiten auf Reaktion und Gegenreaktion wartet. Mann bleibt wohl weiterhin der einzige auf weiter Flur, der so beeindruckende Shootouts inszeniert, die so realistisch aussehen.

Letztlich ist Michael Mann mit „Miami Vice“ erneut ein Top-Thriller auf hohem Niveau mit seinen typischen Attributen gelungen. Ähnlich wie schon in „Collateral“ involviert das Gezeigte ziemlich schnell und man findet sich als Zuschauer plötzlich mittendrin. Das gefährliche Leben von Undercovercops, denen nie viel Zeit zum Nachdenken und Reden gegeben wird, sondern die ihre Deckidentität quasi leben und spontan richtig auf neue Situationen reagieren müssen, zeigt der Film überaus realistisch. Crockett hat beispielsweise ja nicht mal ein Privatleben.

Auch wenn der Film mitten im Geschehen beginnt, sollte der Zuschauer keine Probleme haben, der Handlung zu folgen. „Miami Vice“ ist natürlich kein „Bad Boys“ sondern wesentlich erwachseneres Kino mit Tiefenzeichnung, interessanten Details, vielen Backgroundinformationen und unwahrscheinlich viel Style, der perfekt mit Manns atmosphärischer Umsetzung harmoniert. Ob in Miami oder später in Kolumbien oder Haiti, da steckt unwahrscheinlich viel Liebe im Detail und die Spannung hält der Film schon ganz allein deswegen aufrecht, weil dieser so ruhige, gefährliche Montoya quasi über uneingeschränkte Mittel verfügt und man nie so genau weiß, wie viel er längst in Erfahrung gebracht hat. Der Einstieg in sein Unternehmen war allein schon ein lebensgefährlicher Balanceakt, aber sich dann auch noch innerhalb der Organisation zu bewegen, ist ein Himmelfahrtskommando und als die Dinge aus dem Ruder laufen, wird es auch hektisch und chaotisch für die Cops, weil ihnen die Zeit davon läuft. Das letztliche Happy End ist eigentlich gar keins und doch stellt der Ausgang zufrieden.

Ich habe es damals bereits schon im „Collateral“ – Review geschrieben, dass Michael Mann schlicht und einfach einen Film genauso dreht, wie ich ihn sehen will, was mich sicher erneut sehr voreingenommen und subjektiv bewerten lässt, aber „Miami Vice“ bewegt sich ganz sicher auf einem hohen Niveau, das nur ganz wenige Blockbuster erreichen – speziell in diesem Genre. Einen Magic Moment, an dem wie in „Heat“ oder „Collateral“die Zeit plötzlich still zu stehen scheint, vermisse ich allerdings.
Ob der Film die 135 Millionen Dollar tatsächlich wieder einspielt, werden die nächsten Wochen zeigen, aber er wird es vermutlich schwer haben sein Budget direkt am amerikanischen Boxoffice einzuspielen.


Fazit:
He is still the Man(n).... und mit unbändigem Stilwillen erneut voll in seinem Element. Gänzlich losgelöst von der TV-Serie kann „Miami Vice“ mit einer brillanten Inszenierung, durch die Bank weg erstklassigen Akteuren und einer spannenden Geschichte auftrumpfen, die mit einigen starken Dialogen, beeindruckenden Schauplätzen und viel Abwechslung überzeugt.
Mit dem brachialen Shootout setzt Michael Mann neue technische Maßstäbe, während Dion Beebe zusammen mit ihm einen unvergesslichen Look kreiert.
Ernst, hart und seriös ist „Miami Vice“ der einzige Blockbuster des Sommers der sich an ein reiferes Publikum richtet und damit hoffentlich Erfolg haben wird.
Angesichts der spannenden Undercovermission mit einigen plötzlichen Wendungen, dem Mann-typischen Regiestil und der interessante Informationen bereithaltenden Prämisse, deren Charaktere aufgrund der komplexen Hintergründe dieses Mal nicht ganz so plastisch sind, kann man Mann trotz minimaler Schönheitsfehler nur ein Lob aussprechen.
Ich schwanke bis zum zweiten Kinobesuch noch zwischen 9 und 10.

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