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"Ghost World" ist ein Film über das Warten auf den Bus. Die stillgelegte Haltestelle hält den alten, anscheinend auch senilen Herren nicht davon ab, auf den Bus, der nicht kommen kann, zu warten. Unweit seiner Bank liegt eine Hose quer des Weges, platt getreten, mitten auf dem Bürgersteig. Enid und Rebecca schlendern, plätten die Jeans weiter und warten ebenso auf den Bus, obwohl sie nicht auf ihn warten. Während sie über den Alten mitfühlend schmunzeln, wissen sie selbst nicht, wohin die Reise geht. Die zwei Bohémiennes stecken nach dem Abschluss der Highschool in der Adoleszenz-Warteschleife fest. Alles ist gut, solange es anti ist. Bloß nicht aufs College und werden wie die einstigen Mitschüler, Kreaturen von Menschen, die man nie mehr wieder sehen möchte: zukünftige BWL-Studenten, scheißfreundliche Nervtöterinnen, andere Idioten, andere Loser.

Die Typologie erfährt nur eine Andeutung, bedarf auch keiner weiteren Vertiefung, um die Protagonistinnen dem Nerdtum zuzuschreiben. Terry Zwigoff beobachtet die Figuren dabei, wie sie ihre Umwelt beobachten. Wie sie sich in sie einfügen und ihr Verhalten an sie anpassen, indem sie es nicht anpassen. Ein dezentes Herausstechen aus der Masse, klar und deutlich im Vokabular, in der Gesinnung, keineswegs aber exzentrisch zur Schau gestellt, denn auch dies ist eine Eigenschaft, von der es sich abzugrenzen gelte. "Ghost World" scheint in markigen Dialogen sich an der Armseligkeit der Normalos zu reiben - Fastfoodisierung und Mainstreamisierung der Kultur sind ihm nicht geheuer ("Gib ihnen Big Mac und Nike-Schuhe und sie sind glücklich"); die Verrohung des "authentischen" Blues, diesen Begriff, den hippe Bands authentisch prächtig vergewaltigen - das kann Schallplattensammler Seymour nicht ertragen. Blues und Ragtime nicht in jenem freakigen Maße ausdifferenzieren zu können, das kommt dem Grölen zu Kirmesmusik gleich.

Über dieses Amüsement, diese Verständnislosigkeit jedoch gestaltet der Film die eigene Misere seiner Hauptfiguren aus. Während die Loser diagnostiziert sind, die mit den grünen Strickjacken und den extragroßen Milchshakes als Datingdrink, wird das eigene Losen verdrängt. Enid und Rebecca definieren sich über das, was sie nicht anstreben, was sie hassen. Und manchmal bleibt die Sicht dergestalt eingeengt, dass sogar jede Freakness verdammt wird, die der eigenen Façon zuwiderläuft, nur des Zuwiderlaufens wegen, wie bei Enids Kunstlehrerin, welche mindestens genauso neben der Spur steht wie sie selbst ("Spiegel, Vater, Spiegel"). Die Ghosts der Ghost World sind die auf den Bus Wartenden; die, die nicht fortkommen. Sie wissen ganz genau, was sie nicht wollen, aber wissen nicht, was sie wollen. Die Sprödheit gegenüber allem anderen, das so unschrill und uneigen tatsächlich gar nicht ist, zeichnet sich alsbald als unausgesprochene Angst vor dem Werdegangversagen und Identitätskrise im psychosozialen Moratorium ab, ein Schutzmechanismus gegen den Bastelbiographiedruck. Irgendwann geht es um die leise gestellten Fragen der Existenz, um das Überwinden der Ziellosigkeit. Wer auf dem Trödelmarkt sein Zeug zum Verkauf anbietet, muss sich auch davon trennen können. Die Geisterpersönlichkeiten können das nicht.

Im Komischen liegt derlei Bitterkeit begraben. "Ghost World" lässt seine Charaktere nicht in missmutige Depressionen entgleiten, wenn sich hoffnungsvoll zeigt, dass Leben auch das Warten auf den Bus einschließt, notwendigerweise, und dass der persönliche Bus irgendwann kommen wird und es nur die Wartezeiten sind, die individuell variieren und sich nicht übereinstimmend takten lassen. Je näher diese Erkenntnis rückt, desto versöhnlicher wird der Film mit denen, die zuvor die Verteufelung erfuhren. Das pseudobedeutungsschwangere Geschwätz von Enids Kunstlehrerin ("das Internet externalisieren") stellt sich als ehrliche Leidenschaft heraus. Die nicht auf den Mund gefallene Rebecca sitzt bald schon im Bus, der zunehmend in die einst verhasste Bürgerlichkeit fährt. Der crumbig liebenswerte Seymour saß im falschen, möglicherweise. Seine Ordnung jedenfalls kehrt zurück, Mutter kocht das Essen wieder. Vielleicht ist auch das die verkehrte Buslinie. Sicher ist am Ende nur der Blick auf eine leere Haltestelle.

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