Review

Mal so dahin gefragt: macht ein Titel wie „Das Geheimnis der drei Schwestern“ noch irgendjemand jenseits von Frau Rosamunde Pilcher irgendwie heiß? Oder wie steht es mit „Damen im Ruhestand“?

Naja, 1941 sah das noch anders aus und wo natürlich jeder schwer angefasste Filmnerd sofort ein schlimmes Frauendrama vermutet, packt eine frühesten Kämpferinnen für Kreativität jenseits der generischen Weibchenrollen, nämlich Ida Lupino gleich mal das schwerste Kaliber aus: Familie um jeden Preis, notfalls über Leichen.

„Ladies in Retirement“, noch im seligen Schwarz-Weiß und mit geradezu bizarrer Stringenz in einem Moor-und-Marschenstudioset bei Columbia gedreht, handelt in erster Linie von Frauenverhältnissen der angespannteren Sorte. Männer haben da wenig Platz, allerdings fungieren sie hier und da immer mal wieder als Katalysatoren.
Lupino spielt die gar nicht mehr so junge Ellen Creed, die sich angesichts angeschlagener finanzieller Familienverhältnisse bei der noch angejahrteren Ex-Varieté-Tänzerin Leonora Fiske als Haushälterin verdingen muss. Good old Leonora hat ihre Beine in der Jugend häufig genug hoch und weit geworfen und hat jetzt dank diverser Bekanntschaften ein hübsches Auskommen und ein noch hübscheres Haus auf dem Land.
Naja, im Moor.
In einer stets von wie gemalt wirkenden, hängenden Wolken bekrönten Heidelandschaft (was für ein Wunder, sie sind ja auch gemalt), den sogenannten „Marshes“ irgendwo einige Meilen vor London hält sie es mit all ihren Mitmenschen gut – aber das Schicksal will es anders.
Als Ellen nämlich die Nachricht bekommt, dass ihre beiden Schwestern aus ihrer Heimstatt „entfernt“ wurden und der nächste Schritt „Aufnahme daheim“ oder „Einlieferung“ bedeutet, leiert sie Leonora ein Besuchswochenende auf dem Land aus dem Mieder, wohl verschweigend, dass es wohl kein Kurzaufenthalt wird.

Alsbald poltern vom Pferdewagen Emily und Louisa Creed, dargestellt von Elsa Lanchester (bekannt als „Frankensteins Braut“) und Edith Barrett, und man ahnt das Unheil sich regen. Denn hier fallen nicht einfach zwei ungehobelte oder zügellose Damen in die Heimstatt, sondern zwei „full blown psychos“, die in einer sanatorischen Einrichtung deutlich besser aufgehoben wären. Während sich die nölige Emily irritierenden Tics hingibt (wie Steine, Äste oder anderes sinnfreies Zeug zwecks Sortierung nach Hause schleppen) und meistens unwillig vor sich hin mosert, ist Louisa das komplette Gegenteil, eine augenrollende Schwatzkrähe, die pausenlos debiles Zeug vor sich hinsabbelt und Verhaltensregeln memoriert, die man einer Fünfjährigen geben würde.
Mit solchen Polterknollen sind natürlich die kommenden sechs Wochen vorgezeichnet, die sich die Damen einnisten und dabei gern mal vergessen, wessen Haus das eigentlich ist, in dem sie sich befinden. Leider fühlt Ellen den auf ihr lastenden Druck immer stärker, der Leonora schließlich dazu bringt, sie alle drei an die Luft zu befördern.
Doch wer wirklich entschlossen ist, seine Familie vor der Irrenanstalt zu bewahren, der greift dann notfalls auch zum Mordwerkzeug.

Wie man hier schon ahnen kann, mündet das alles in ein recht suspense-reiches Versteckspiel, denn von nun an ist die Hausbesitzerin „auf Reisen“ und Ellen muss nicht nur das zweifelnde Küchenmädchen bei Laune halten und Schecks fälschen, sondern auch zwei nette Nonnen auf Distanz halten, die sonst immer nett unterstützt wurden. Und dann ist da noch der halbgare Vetter aus der eigenen Halbweltvergangenheit, der schon bald eine Vermutung hat, warum an einer Stelle im Haus eine neue Wand gezogen wurde.

„Ladies in Retirement“ ist auch mit gut 80 Jahren immer noch eine echte Überraschung. Weder böse Komödie noch echter Thriller, sondern ein verfilmtes Bühnendrama, dass sehr geschickt die zunehmend bedrückende Situation Ellens in düstere viktorianische Bilder kleidet. Die Schuld wegen des Mordes, die Betrügereien, dazu die Bemühungen, ihre offensichtlich schwachsinnigen Schwestern unbedingt bei sich zu behalten, weil sie zu ihr aufsehen (mehr oder wenig, je nach Befähigung). Wo sonst deprimierende Erdenschwere herrscht, poltert hier immer wieder die Lanchester durchs Bild, sorgt Evelyn Keyes als begriffstutzige Küchenhilfe für Lichtblicke oder Edith Barrett geht in jeder ihrer Szenen mit dem ganzen Film durch. Für sie war der Film ihr Leinwanddebüt und sie nutzt jede Sekunde ihrer Nebenrolle, während sie mit ihren riesigen Augen die Umgebung absucht und semi-religiöse Mutationen dessen, was man ihr eigentlich gesagt oder aufgetragen hat, ungefragt wieder absondert. Definitiv keine Figur, der man ein Geheimnis anvertrauen sollte.
So lockert Charles Vidor den Film immer wieder auf und vermeidet es, daraus ein Moralstück zu fabrizieren.

Tatsächlich funktioniert sogar die inszenatorische Studiokünstlichkeit recht gut, weil der Film eben sehr statisch auf Haus und Umgebung begrenzt ist – und nur der einsame Pferdewagen eine Verbindung in die Restwelt darstellt. Mit gerade mal 90 Minuten hält der Film seinen Takt ausgezeichnet und ist ein Musterbeispiel für eine psychisch herausfordernde Atmosphäre. Wiederentdecken lohnt sich. (8/10)

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