Rocky Balboa
Was habe ich geschimpft, als ich das erste Mal davon erfuhr, dass Stallone noch einen Rocky-Film drehen will. Ich hielt es natürlich lange für einen PR-Gag. Doch dann sah ich in irgendeinem Internet-Forum ein verlinktes Bild, dass Stallone im Ring zeigte. Und zwar einen alten – im Gesicht nicht komisch aussehenden – Stallone. Mir wurde dann gesagt, das nicht Boxen, sondern Botox mit dem Sylvester sein Gesicht auf- bzw. zermöbeln liess. Klingt ja so ähnlich.
Zur Historie: Stallone schuf mit den ersten vier Rocky-Filmen teils großartige Filme, die sowohl große Unterhaltung durch die stark choreografierten und mitreissenden Boxszenen waren sowie aber auch als anspruchsvolles Drama funktionierten. Dies trifft zumindest auf die ersten drei Teile zu. Der vierte Teil war dann eher ein Produkt des kalten Krieges, aber auch unterhaltend. Warum auch immer drehte er damals noch einen fünften Teil, den man – ohne anzuecken – als Katastrophe bezeichnen kann. Stallone sah das später ähnlich und so entstand die Idee, der Rocky-Saga zu einem würdigen Abschluss zu verhelfen.
Die Story: Rocky hat keinerlei Verbindungen mehr zum Boxsport. Er ist Inhaber eines kleinen italienischen Restaurants, indem er den Besuchern neben Speisen und Getränken auch alte Stories aus seinem Boxerleben erzählt. Seine Frau Adrian ist verstorben und er trauert noch um sie, sein Sohn steht auf eigenen Beinen und möchte endlich aus dem Schatten seines berühmten Vaters treten. Paulie arbeitet immer noch im Schlachthaus und schaut öfters bei seinem Schwager vorbei. In einer Kneipe läuft eine Computersimulation wie der aktuelle Champ Mason "The Line" Dixon gegen Rocky "The italian Stallion" Balboa kämpft. Balboa siegt bei diesem Spiel. Da Dixon – auch aufgrund seiner Dominanz – bei den Zuschauern nicht mehr so ankommt, will Dixons Management diesen Computerkampf in echt aufziehen. Rocky stellt sich der Herausforderung.
Anfangs fällt es einem schwer, sich an Stallones "neues Gesicht" zu gewöhnen. Er sieht nicht gerade erfrischend aus. Mit der Zeit stört es einen nicht mehr.
Die Befürchtungen, das Stallones Werk (er führte Regie und schrieb das Drehbuch) durch den Tod von Adrian, die speziell in den ersten beiden Teilen eine grosse Rolle spielte, zu einem reinen Drama mit hohem Tränenfaktor verkommt, zerschlägt sich nach kurzer Zeit. Ganz geschickt behandelt Stallone diesen Schicksalsschlag. Das Grab ist zwar der zentrale Ort, an den er sich zurückzieht, um nachzudenken. Er sitzt dabei am Grab auf einem Klappstuhl, den er jedes Mal, wenn er wieder geht an eine Astgabel klemmt. Dies wirkt aber nicht kitschig. Er zeigt keinen gebrochenen, heulenden Mann, sondern eine starke Persönlichkeit, die diesen Prozess immer noch verarbeitet. Er sucht zwar ehemals gemeinsame Orte, z. B. die Eislaufhalle auf, wird aber dann durch Paulie in die Schranken gewiesen, nicht mehr in der Vergangenheit zu leben. Paulie macht dies auf die ihm typische Weise: Grob.
Ähnlich behandelt Stallone die Vater-Sohn-Beziehung. Rockys Sohn hat die Stelle in der Bank hauptsächlich durch den berühmten Namen seines Vaters bekommen. Das birgt natürlich ein Konfliktpotential in sich und so kommt es zum Streit. Auch hier werden keine Tränen gemolken und keiner verheddert sich in Gefühlsduseleien. Man erinnere sich mit Schrecken an die Vater-Sohn-Geschichte in Stallones "Over the top". Hier wirkt nichts lächerlich, sondern cool und echt. Gut gemacht.
Rocky lernt auch eine neue Frau kennen. Mehr nicht. Keine Frau, die sich hals über Kopf in ihn verliebt und uns dick eine Romanze vorgespielt wird.
Stallone spielt den Rocky nicht als verbissenen und unrealistisch ehrgeizigen Kämpfer, der nicht begreifen kann, dass seine Zeit vorbei ist. Es ist eher so, dass er es einfach noch Mal wissen will. Ein einziges Mal noch, um mit sich ins Reine zu kommen. Wenn es nicht klappt, auch gut. Diese Vorgehensweise tut dem Film verdammt gut. Ich denke, nur so konnte er funktionieren.
Natürlich kommen auch die altbekannten Themen nicht zu kurz: Burt Young als saufender und nörgelnder Freund/Schwager Paulie. Wie immer toll. Ebenso stark die Musik von Bill Conti und die Trainingssequenzen.
Ganz stark auch, dass Rockys Gegner: der junge Boxer Dixon nicht als böser Bube und Buhmann dargestellt wird. Der Kampf an sich ist gut, aber nicht umwerfend.
Fazit: Kein peinliches Comeback von Stallone/Rocky, sondern ein sehr gelungener und auch humorvoller Film.
9/10