Review

Sly hat Wort gehalten. Ein Film für die Fans sollte es werden, ein Film für die Fans ist es geworden. Und dafür bin ich ihm dankbar. Denn als jemand, der mit seinen Filmen groß wurde, weiß ich so eine späte Rückkehr in seine Paraderolle wirklich sehr zu schätzen. Da braucht man sich auch für feuchte Augen nicht zu schämen, wenn Rocky Balboa ein letztes Mal in den Ring steigt, um es sich selbst und allen anderen noch einmal zu beweisen.
Dabei hatte Sylvester Stallone mit „Rocky Balboa“ von Anfang an einen schweren Stand, weil die Produzenten nicht daran glauben wollten, dass so viele Jahre nach dem misslungenen fünften Teil den in Hollywood ausrangierten, einstigen Actionstar noch einmal jemand boxen sehen wollte. Doch Sly bliebt am Ball, denn für ihn war dieser Film eine Herzenssache und konnte seinen Film doch noch realisieren. Das spürt und genießt man als Zuschauer auch in so ziemlich jeder Einstellung. Der Abschluss der Serie ist ein sehr herzliches, melancholisches Spätwerk, das Stallone wohl nur noch die wenige zugetraut haben. Umso erfreulicher, dass der Film so erfolgreich an den amerikanischen Kinokassen abschneidet.

Als Rocky-Fan geht einem bei diesem Film wirklich das Herz auf. Man saugt jede Szene in sich auf. Denn Sly fasst noch einmal alles Elementare zusammen, was die Franchise einst so stark gemacht hat. Da steckt viel Wehmut drin, wenn Burt Young ein letztes Mal den knorrigen Paulie spielt und sich die beiden mit ihren liebenswerten Streitgesprächen begegnen oder Tony Burton ihn ein letztes Mal auf den entscheidenden Kampf hintrainiert und einschwört. „Rocky Balboa“ verweist dabei sehr gern auf etablierte Rituale der Vorgänger, wie unter anderem Paulies knappe Sätze vor jedem Kampf, die er „Rocco“ mit den auf den Weg in den Ring gibt.
Spätestens aber wenn Bill Contis „Gonna Fly Now“ erklingt und Rocky im Schneegestöber mit seinem Hund Punchy die Stufen zu Philadelphias Museum of Art erklimmt, schmilzt auch der letzte Zuschauer dahin, der auch nur ansatzweise etwas mit dieser Figur anfangen kann.

Dafür kehrt Stallone wieder zu den Anfängen zurück ohne die Fehler von „Rocky V“ erneut zu begehen. Er hat aus ihnen gelernt. Kein Kitsch hält in den Film Einzug, der Film mutet viel mehr so realistisch an, wie die Reihe einst vor 30 Jahren in den Straßen von Philadelphia begann. Alles funktioniert nun wieder genauso gut wie damals.
Sly ist mit den Jahren reifer geworden. Vor 16 Jahren wollte er auf Gedeih und Verderb ein Imagewechsel erzwingen, heute möchte er nur noch die Geschichte endlich so zuende erzählen, wie er es sich wünscht – mit Anstand und Respekt.

Die tollen Nebendarsteller, die unvergessliche Musik, die urbane, atmosphärische Inszenierung Philadelphias und natürlich Sly, der Rockys Gestik nie verlernt hat und nach dem Krebs-Tod seiner Frau Adrian (Talia Shire) ein Restaurant führt, das er nach ihr benannt hat und in dem ausgerechnet Spider Rico (Pedro Lovell) ständig verkehrt, der nie bezahlen kann und sich dafür unbedingt in der Küche als Tellerwäscher sein Essen verdienen möchte, verhelfen dem Film zu einer Vielzahl emotionaler Momente, die am ehesten diejenigen begreifen werden, die diese Figur durch bis dahin fünf Filme begleitet haben.
Besonders die intimen Momente zwischen Rocky und Paulie, an denen beide die Jahre nicht spurlos vorbei gezogen sind, sind von einer unwahrscheinlichen Intensität geprägt. Davon lebt vor allem das erste Drittel des Films, das den traurigen Rocky zeigt, wie er Adrian vermisst, wie er sich nur zu gern an ihre gemeinsame Zeit erinnert und Paulie, der mit seiner knorrigen Art verzweifelt seine harte Schale aufrecht zu erhalten versucht, damit ein schlechtes Gewissen macht. Verloren wankt Rocky durch das nächtliche Milieu Philadelphias, sucht die längst abgerissenen Orte von damals auf, die er mit Adrian verbindet, hat aber immer noch genug Ehre und Anstand im Leib um sich nicht von einer Gruppe pöbelnder Halbstarker einschüchtern zu lassen. Im Umgang mit Fremden immer ein wenig schüchtern und unsicher, aber mit Mumm in den Knochen, seiner eigenen Art von Humor und dem Herzen am rechten Fleck trifft er dabei eine alte Bekannte und ihren Sohn wieder...

In den Film steckt aber noch viel mehr. Zu einem ist da Rockys Sohn Rocky Jr. (Milo Ventimiglia, „Dirty Deeds”, „Stay Alive”), der es nicht schafft aus dem Schatten seines legendären Vaters zu treten und deswegen eine Abneigung gegen ihn entwickelt. Ja, es ist ihm sogar peinlich als Rocky sich dazu entschließt wieder zu boxen. Er versucht sich von seinem Vater so weit wie möglich zu distanzieren und sein eigenes Leben zu leben, was Rocky wiederum schwer enttäuscht, weil er dabei zusehen muss, wie ihm sein Sohn entschwindet. Später soll zwischen den beiden eine Streitgespräch auf offener Straße stattfinden, in dem Rocky seinem Spross die Meinung geigt und er auch einzusehen beginnt.

Immer ein Boxer und ein einfacher Mann haben ihm die vielen Auf und Abs in seinem Leben vor allem Bodenständigkeit und ein bewusstes Leben gelehrt. Trotzdem lebt Rocky in der Vergangenheit. Er trauert um Adrian und gibt Abend für Abend an den Tischen des Restaurants seine Boxanekdoten zum Besten, bis ihn nach einem computergenerierten Boxkampf zwischen ihm und dem amtierenden Weltmeister Mason 'The Line' Dixon (Box-Champ Antonio Tarver) im TV die Leidenschaft doch noch einmal packt. Seine Box-Lizenz erhält er zwar erst nach einem Plädoyer vor dem Ausschuss, aber er fühlt, dass er es sich noch einmal beweisen will. Anstatt gegen lokale Boxer aus seinem Viertel anzutreten, offeriert der Promoter des unbeliebten Champs Dixon ihm die Möglichkeit in einem Schaukampf gegen seinen Schützling anzutreten. Rocky wiegelt ab, nimmt die Herausforderung an und sieht sich der spöttischen Aufmerksamkeit der Presse ausgesetzt. Dixon will dagegen mit dem Kampf unbedingt sein ramponiertes Image aufpolieren...

An seiner Seite findet sich schließlich rechtzeitig nicht nur sein Sohn wieder ein, sondern auch Marie (Geraldine Hughes). Eben dieses inzwischen zur Frau erwachsene Mädchen, das Rocky vor 30 Jahren mit ein paar eindringlichen Worten davor bewahrte auf die schiefe Bahn zu geraten, wird nun seine mentale Stütze, die ihm dazu rät auf sein Inneres, auf sein Herz zu hören, obwohl ihm jeder dieses Comeback ausreden möchte.

Ums Boxen geht es dann auch erst nach einer guten Stunde, wenn sich auf die ein oder andere Weise doch alle in Rockys Ringecke versammeln und ihn zu Höchstleistungen während des Trainings puschen, während Bill Contis Hymne ertönt. Bild und Ton entfachen eine elektrisierende Stimmung wie in den guten alten Tag, während man als Zuschauer schon an sich halten muss, um Rocky nicht mit anzufeuern. Da wird Gewichte gestemmt, gejoggt und wie in den guten alten Zeiten rohe Eier geschlürft bis es zum finalen Kampf in Las Vegas kommt. Diese Trainingsmontagen waren immer ganz besondere Momente in den Rocky-Filmen und genau an diese Tradition knüpft Stallone auch hier an, indem er die Zuschauer noch einmal 30 Jahre zurückversetzt als ein Underdog durch die Straßen lief und auf Rinderhälften eindrosch. Nur dieses Mal hat er seinen Hund dabei.

Den finalen Boxkampf, der die letzten 15 Minuten einnimmt, inszeniert Stallone zunächst realistisch wie einen HBO Event mit vielen bekannten TV-Gesichtern inklusive Kommentatoren und Ringrichter, verfällt dann aber nach ein paar Runden in einen spannenden Fight in bester, adrenalinfördernder Rocky-Tradition, den nur einer gewinnen kann. Die Rollen scheinen anfangs klar verteilt, doch dann wendet sich das Blatt und es entwickelt sich frei nach dem Slogan „Skill vs. Will“ ein Kampf der Titanen.
Schnell feiern die Zuschauer den ewigen Publikumsliebling an, puscht der sich selbst zu Höchstleistungen an und will nicht klein beigeben. Fesselnd und dramatisch boxen die beiden Kontrahenten ohne sich etwas zu schenken von Runde zu Runde bis der letzte Gong ertönt. Der Film klingt danach schneller als erwartet aus, findet aber die letzte richtige Einstellung.


Fazit:
Angesichts der vielen positiven Kritiken und der guten Einspielergebnisse freue ich mich für den Film, dass er das Feedback vom Publikum erhält, das er auch verdient. Sylvester Stallone hat auf seine alten Tage mit viel Leidenschaft noch einmal sein Talent als Regisseur, Drehbuchautor und Hauptdarsteller unter Beweis gestellt, das ihm viel absprechen wollen, das er zugegebenermaßen in seiner Karriere aber auch viel zu selten unter Beweis gestellt hat.
„Rocky Balboa“ ist ein sehr melancholischer, dramatischer Abschluss der Reihe, der nur sekundär das Boxen behandelt, sondern viel mehr die Hauptfigur betrachtet, die sich aus seiner lethargischen Trauer befreit und ein letztes Mal in den Ring steigt, um es sich und allen anderen noch einmal zu beweisen. Erst empfindet man Mitleid mit ihm, dann feuert man ihn an. Eins muss dabei aber klar sein. Wenn man kein Rocky-Fan ist, wird es schwierig sein sich hier mitreißen zu lassen. Zählt man aber dazu, erlebt man hier 100 wunderschöne, emotionelle Filmminuten.
Dass er dafür noch einmal alle Darsteller vor die Kamera bekam und Bill Conti seine legendären Hymnen neu auflegte, ist aller Ehren wert. Großen Respekt meinerseits für ein gelungenes Boxerdrama der alten Schule. Schön Sylvester Stallone in seiner Paraderolle noch einmal im Kino sehen zu dürfen. Hier atmet der Fan pure Nostalgie gepaart mit schönen Erinnerungen. Hoffentlich erreicht der letzte Rambo-Film das selbe Niveau.

Details
Ähnliche Filme