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Ferdinand Weitel (Gerd Polt) ist ein alleinstehender braver Arbeiter, der zur Faschingszeit ungebetenen Besuch erhält: Ein Versicherungsvertreter möchte ihn wortreich gegen alle Widrigkeiten des Lebens schützen. Weitel, rhetorisch nicht sonderlich begabt, läßt sich mehrere Policen aufschwatzen und ist froh, als jener Arno von Mehling (Nikolaus Paryla) endlich wieder verschwunden ist. Noch etwas verwirrt rechnet er die Beträge zusammen und stellt mit Schrecken fest, daß diese fast die Hälfte seines Netto-Lohns betragen. Kurzerhand ruft er bei der betreffenden Fidelitas-Versicherung an, wo er nach langem Warten die Auskunft erhält, persönlich vorsprechen zu müssen an bestimmten Wochentagen zu einer bestimmten Uhrzeit. Weitel nimmt sich frei und erscheint am nächsten Tag, dem Faschingsdienstag (dem nächstmöglichen Termin) wie geheißen im 6. Stock des Hochhauses. Dort jedoch wird er umständlich hingehalten und von der wenig hilfsbereiten Mitarbeiterin Waguscheit (Gisela Schneeberger) von da nach dort geschickt, den betreffenden Versicherungskeiler bekommt er jedoch nie zu Gesicht. Während sich Letzterer vor dem völlig überversicherten Kunden versteckt, gelangt Weitel durch Zufall in eine vertrauliche Vorstandssitzung, in der mittels heimlich aufgenommener Videos gerade weitreichende Personalentscheidungen getroffen werden: Unter anderem wird der komplette 6. Stock aufgelöst, also jene Leute, die ihm gerade übel mitgespielt haben - und den gesuchten Arno von Mehling erkennt er auch auf dem Bildschirm. Weitel, von einem Security rausgeschmissen, probiert es noch einmal im 6. Stock: Doch erneut kann sich von Mehling davonstehlen. Dafür wird Frau Waguscheit hellhörig, als ihr Weitel nebenbei von den Live-Bildern aus der Chefetage erzählt. Zum Dank erhält er einen ausnahmsweise sinnvollen Tip: Am Abend findet ein großer Ball statt, auf dem sich alle Mitarbeiter der Versicherung treffen - auch der Gesuchte. Weitel wird ebenfalls dabei sein...

Kehraus, oftmals als Satire beschrieben, ist vielmehr die Fortsetzung von Polts erfolgreicher Sketch-Serie Fast wia im richtigen Leben, in der er die Bereiche Fasching und Versicherungsvertreter bereits behandelt hatte - hier sind diese Thematiken nun in Spielfilmlänge aufbereitet, eingebettet in einen losen Rahmen aus einer sich langsam aufbauenden Beziehung.
Polt, der sich nie zu schade war, die Personen, deren Verhaltensweisen er schildert, auch selbst dazustellen, schlüpft hier in die Rolle eines nicht sonderlich intelligenten, etwas linkisch auftretenden Otto Normalverbrauchers, der in die Mühlen der Versicherungsbranche geraten ist und mit der Feld-Wald-und-Wiesen-Methode etwas rückgängig zu machen versucht, in das er durch eigene Unbedarftheit hineingetappt ist. SSKM mag sich der eine oder andere Zuschauer denken, und Polt ist in seiner Rolle auch kein Sympathieträger, dennoch gelingt es ihm, Interesse für seine Position zu wecken, vielleicht auch, weil er die Tragweite der beobachteten Kündigungsentscheidung keineswegs ausnutzt, sondern nur mit dem Versicherungskeiler reden will. Im Lauf des Films bekommt er dann allmählich Unterstützung von der wie immer genialen Gisela Schneeberger, die eine füllige Büroangestellte mimt, deren Tagesablauf aus stundenlangem Telefongeschwätz nur durch Essenspausen unterbrochen wird. Durch diese Allianz gelingt es dann schlußendlich, den schmierigen Arno von Mehling zu stellen, einen hoch verschuldeten Mitarbeiter, der sich durch diese Übersollprämien noch etwas über Wasser halten will und keinerlei Reue verspürt, etwas rückgängig zu machen. Glänzend hierbei Nikolaus Paryla, der sich mit billigen Schmähs des hartnäckigen Kunden erwehren will.

Nebenbei schildert Kehraus, der als Realsatire zu betrachten ist, auch den Alltag in Versicherungsbüros und die Eitelkeiten und persönlichen Problemchen der Teilnehmer des Versicherungsballs: Die noch bei ihrer Mutter wohnende Waguscheit, die es nicht schafft, den (älteren) Abteilungsleiter zu einem Tanz zu bewegen, und die in Tränen ausbricht, als sie den wenig Begehrenswerten dann mit jüngeren Frauen flirten sieht; der jüngere Mitarbeiter Wandrey, der rechtsextremen Vorbildern nacheifert und als Zorro mit einer echten Pistole auf den Ball kommt; den Versicherungsvertreter Böhm, dessen Büro-Tätigkeit darin besteht, kopierte Witze miserabelster Qualität im Büro zu verteilen, den Personalchef Dr. Berzelmeier (Dieter Hildebrandt), der diesen Böhm protegieren will und dann dessen höchst defätistische Reden, heimlich mitgeschnitten, anhört und sein Urteil diesbezüglich schnell revidieren muß. Der Vorstandskollege Heinzel (Jochen Busse) dagegen teilt zu vorgerückter Stunde am Ball den gekündigten Mitarbeitern laut lachend deren Rausschmiss mit, während er einer Bardame ungeniert am Busen herumfummelt. Dazwischen ertönt immer wieder die musikalische Erbärmlichkeit des verordneten Frohsinns deutschsprachiger Faschingsschlager: Isch bin äne Wampiehr, isch bin äne Wampiehr, komm her, isch piek da in de Hals, in de Hals, ohne Salz...

Trotz all dieser Peinlichkeiten gleitet Kehraus nie ins Grobe ab, keine Rolle wird überzogen schlecht dargestellt (wie das in einer Satire vielleicht der Fall wäre), stattdessen mag man dem Film eine geradezu erschreckende Normalität attestieren. Somit ergibt sich eine ganz hervorragende, genau beobachtete und wiedergegebene Bestandsaufnahme eines Teils unserer Gesellschaft der Achtziger Jahre - eben fast wie im richtigen Leben. Ein immer wieder sehenswertes kleines Meisterwerk: 10 Punkte.

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