Im Kino weniger erfolgreich (bzw. hierzulande gar nicht erst ins Kino geraten), ist "Donnie Darko" später auf DVD sehr bald zu einem erfolgreichen kleinen Kultfilm avanciert - vor allem zum Kultfilm einer jungen Generation, die über mehrfache Sichtungen auf heimischer Mattscheibe und über Recherche und Austausch im Internet nach möglichen Deutungen und Zugängen suchte; zusätzlich unterstützt durch Interpretationsvorschläge des Regisseurs und eine Menge nicht-filmischen Zusatzmaterials: etwa Auszüge aus dem fiktiven "The Philosophy of Time Travel". (Ein Sichtungsverhalten, das den Status des Films als Kultfilm bekräftigt.)
Mit seiner nebulösen Undurchsichtigkeit (im späteren, reizloseren und ungleich plumperen Director's Cut ein wenig bereinigt) und den vielen inszenierten Zufällen, die einen sinnträchtigen Zusammenhang vermuten lassen, stachelt "Donnie Darko" zu einer Suche nach Deutungsmöglichkeiten geradezu an: "Der Film Donnie Darko zwingt in seinem lynchesken Stil dazu, genau hinzusehen und wirft trotzdem immer wieder neue Fragen auf"[1], heißt es etwa auf der deutschen Fanpage zum Film. Dieser Vergleich mit Lynch wurde (und wird) wieder und wieder herangezogen, um „Donnie Darko" einzuordnen: Versteckte, wertvolle Details, eine rätselhaft aufgebrochene Chronologie der Ereignisse mögen an Lynch und vor allem seine drei Filme "Lost Highway" (1997), "Mulholland Drive" (2001) und "Inland Empire" (2006) gemahnen. Auch das bei Lynch so häufig anzutreffende Kratzen an sauberen Oberflächen und das Spiel mit Filmzitaten durchziehen diesen Film, dessen Unterschiede allerdings dann doch gewichtiger sind als die Gemeinsamkeiten.
Während Lynch vor allem Erinnerungsverarbeitung und Realitätsfluchten, Ängste und Hoffnungen, Träume und Alpträume thematisiert, um Erkenntnisse über die Funktionsweisen von Innenleben zu vermitteln, drehen sich [Achtung: Spoiler!] die Geheimnisse in "Donnie Darko" in erster Linie um Zeitreisen und Parallelwelten, um ein frei ersonnenes Regelwerk. Während man beim Entschlüsseln der Filme Lynchs auch ein wenig über Vorgänge der außerfilmischen, tatsächlichen Realität erfahren kann, bleibt die Geheimniskrämerei in "Donnie Darko" weitestgehend selbstzweckhaft - was man dort aufdeckt, das ist das bloße Sinngefüge der Geschichte selbst. Und während Lynch in der Tradition Robbe-Grillets und Resnais stehend ein Gefüge aus Aktualität und Virtualität konstruiert und damit im Sinne Deleuzes ein zutiefst modernes Kino entwirft, bleibt "Donnie Darko" trotz seiner originellen Wendungen und Geheimnisse geradezu klassisch im Aufbau - vage vergleichbar vielleicht mit den wendungsreicheren und undurchsichtigeren film noirs, ergänzt um Elemente des phantastischen Films... trotz Zeitreisen und möglichen Zeitschlaufen geradezu linear verlaufend.
Dem Konzept nach weniger originell und innovativ, dem Inhalt nach etwas gehaltloser als die Arbeiten Lynchs, liegen die Qualitäten von „Donnie Darko" an ganz anderer Stelle: Die Geschichte des vermeintlich halluzinierenden Donnie Darkos, der - in einer paradoxen Zeitschleife oder (wie es der Director's Cut nahelegt) in parallelen Welten - von einem gewissen Frank im Hasenkostüm (eine Hommage an "Harvey" (1950)), der ihm zu Beginn des Films das Leben rettet und sich schließlich als "Geist" des Mannes herausstellt, den Darko am Ende des Films erschießt, als dieser Darkos Freundin versehentlich überfährt, den Weltuntergang vorhergesagt bekommt - den Untergang der Welt an sich (wie der Director's Cut es nahelegt) oder den Untergang seiner Welt (also: seinen Untergang) - und mit der Hilfe dieser Erscheinung den eventuellen Weltuntergang womöglich verhindert, zumindest aber sein eigenes Leben lässt, zeichnet ein gefühlvolles Bild der Jugendzeit, durch welches jede(r) Zuschauer(in) die Möglichkeit erhält, sich voll und ganz bestätigt zu fühlen. (Die verrätselte Erzählweise, die geschickt konstruiert versucht, das Publikum bei der Stange zu halten, und die mitunter kitschige, aber immer handwerklich herausragende, souveräne Umsetzung - dieses zudem relativ preisgünstigen Films, dem man das vergleichsweise kleine Budget nicht ansieht - tun natürlich ein übriges...)
Sich bestätigt fühlen dürfen, zwei Stunden lang gesagt bekommen können, was man immer schon wusste, sich mit dem zwar etwas verschrobenen, aber insgeheim sonderbegabten, hellsichtigen "Superhelden" und Sympathiebolzen Jake Gyllenhaal identifizieren (oder zumindest: mit ihm mitfühlen) dürfen (auch wenn er oftmals seine kleine Schwester ärgert): es ist eine simple Masche, mit der sich "Donnie Darko" beim Publikum erfolgreich einschmeichelt.
Nicht bloß, dass man eine unverstandene Hauptfigur durch den Film begleitet, von der man im Gegensatz zu den meisten Filmfiguren immer stärker erfährt, dass sie eigentlich vielmehr ein tragischer Held ist, ein von schicksalhaften Mächten auserwählter noch dazu... Nein, der Film rechnet auch genüßlich mit all den stereotypen Schreckschrauben und Heuchlern ab, die einem selbst schon immer schwer im Magen gelegen haben. Ironisch ins Bizarre übersteigert führt er Karikaturen jener Mitmenschen vor, unter denen man selbst leiden musste: die voreingenomme Lehrerin, die nicht mit sich reden lässt und ganz offenbar dümmer ist als man selbst (da darf man selbst dann noch über ihre Bloßstellungen mitlachen, wenn man Graham Greene selbst nicht kennt); der heuchlerische Saubermann, der mit frommen Reden zu Geld und Ansehen kommt und dabei am meisten Dreck am Stecken hat (und dem man auch noch genüßlich bei seinem tiefen Fall zuschauen darf); die typischen Schulrabauken - groß und stark und böse blickend -, die einen mitunter angepöbelt haben und von denen man schon immer ahnte, dass sie auch ansonsten asoziale Verbrechertypen waren; der Schuldirektor, der nach außen gerne freundlich und nett auftritt, aber eigentlich immer nur ein bösartiges Arschloch war. Richard Kelly kennt sie alle und gibt sie mit viel Spaß an der Sache der Lächerlichkeit preis. Dazu gesellt sich noch der Umstand, dass diejenigen, die zu den nettesten zählen, trotzdem vom Schicksal gebeutelt werden: die einzig nette Lehrerin an der ganzen Schule - vom Direktor abgesetzt; der zugeneigte Physik-Lehrer - unter Zwang zum Schweigen verurteilt; eine weise Alte, die alles durchblickt hat - vereinsamt und altersschwachsinnig geworden; die einfühlsame Freundin - Opfer eines tragischen Verkehrsunfalls. Und wieder zurück zum Protagonisten: aufgeschlossen, einfühlsam, und dennoch nicht glücklich mit sich und der Welt - ein etwas versponnener Grübler, stets melancholisch dreinblickend (war die Melancholie nicht von jeher schon ein Zeichen der Klugheit?[2]) oder wissend dahinlächelnd.
Man kann sich schnell wiederfinden in diesem Film (dafür sorgen auch so alltägliche Schulgesprächsalbereien wie die Diskussion über das Sexualleben der Schlümpfe - auch wenn dieser Dialog im Zusammenhang mit dem schon leicht sexbesessenen Donnie noch etwas mehr enthalten könnte), so vertraut scheint einiges zu sein... und trotz (und zum Teil auch wegen) ungerechter Schicksalsschläge (wieviel Trost spendet doch der Gedanke daran, dass Scheitern nicht selbstverschuldet, sondern einfach bloß ungerecht ist) ist der Blick auf die Welt letztlich so beruhigend, dass das Anschauen von "Donnie Darko" Eskapismus pur ist.
Ansprechend verpackt in oftmals idyllische, mitunter phantasievolle, bisweilen kitschige Bilder und harmonische Musik (Mad World, einige Zeit nach dem Film auf Platz 1 der Charts gewandert, verdient besondere Erwähnung), und dabei durchgängig unterhaltsam dank der mysteriösen Geschichte, die bisweilen arg esoterisch auf eine höhere Wahrheit verweist (die man zwar nicht versteht, von der man aber fühlen - ja: wissen - darf, dass es sie gibt), ist "Donnie Darko" ein überaus einschmeichelnder Wohlfühlfilm, der eine ganze Bandbreite von Emotionen bedient: Die "Rückblenden"-Abfolge gegen Ende, wenn man nochmal entscheidende Figuren sieht - dank Überblendungen miteinander verschmolzen, untermalt von Mad World - bevor der (nun womöglich veränderte) Lauf des Schicksals sie kalt erwischt, ist da wohl eine der geschicktesten und wirksamsten Szenen. Und so herzzereißend weinten um den verstorbenen Sohn im Filmjahr 2001 wohl nur noch Nanni Moretti und Schauspielkollegen in Morettis "La Stanza del figlio". Auch der gemeinsame Kinobesuch mit der ersten (?) Freundin zur "The Evil Dead" (1981) Vorführung dürfte beim Publikum angenehme Erinnerungen wecken - wenn nicht an den ersten Kinogang mit der/dem (ersten?) Freund(in), so doch an die erste "The Evil Dead"-Sichtung...
"Donnie Darko" hatte es nicht allzu schwer, sich eine Fan-Gemeinde zuzulegen: hier darf sich nahezu jeder in seiner verkannten Größe bestätigt fühlen und über die ungeliebten Mitmenschen lästern. Diesem Aspekt ist der Erfolg des Films sicherlich ebenso geschuldet wie auch dem Umstand des Verrätselten der Handlung, welches zu Fanforendiskussionen und Bonusmaterial-Sichtungen einlädt, und der sauberen handwerklichen Arbeit.
Damit ist "Donnie Darko" vielleicht weniger ein herausragendes Kunstwerk, als vielmehr eine wirksame, angenehme Schmeichelei; eine guilty pleasure des gefühlvollen Kitschfilms, des mystisch überhöhten Schnulzendramas, der Selbstbeweihräucherung - und als solche auch überaus gelungen, höchst wirksam und fesselnd, affizierend... ein Wohlfühlfilm zum wieder und wieder gucken.
Mit dem völlig zerfahrenen "Southland Tales" (2006) und dem etwas überkonstruierten "The Box" (2009) - sowie mit der Director's Cut Version von "Donnie Darko" - erweckt Kelly dann auch letztlich den Anschein, mit seinem Debut-Spielfilm bloß einen Glückstreffer gelandet zu haben und kein generell vielversprechender Autor und Regisseur zu sein: die späteren Arbeiten leiden - ein wenig wie bei M. Night Shyamalan - unter dem Drang, möglichst ungewöhnliche Geschichten vorzusetzen (die formal jedoch relativ konventionell bleiben). Für Jake Gyllenhaal dürfte sich Donnie Darko jedoch als wichtiges Karriere-Sprungbrett erwiesen haben.
8,5/10 für einen erbaulichen, ungemein gefühlvollen, interessanten, äußerst solide umgesetzten Film - wenn er auch ein leichtes Spiel hat, ein Publikum für sich einzunehmen, und letztlich kaum mehr mitzuteilen weiß als den Verdacht, dass hinter der sauberen Oberfläche manch Schlechtes verborgen liegt, und die Erkenntnis, dass sich das Leben nicht in einer eindimensionalen Skala fassen lässt.
1.) http://www.donnie-darko.de/story.htm
2.) Vgl. etwa den Abschnitt "Was Klugheit, Verstand und Weisheit betrifft" der vermutlich von Theophrast stammenden, lange Zeit aber Aristoteles zugeordneten "Problemata Physica" (3. Jh. v. Chr.). Und ebenfalls Marsilio Ficinos Abhandlung "De vita libri tres" (1489).