Warnung: Diese Filmkritik beinhaltet massive Spoiler, ohne die es mir nicht möglich erschien, den Film angemessen zu beschreiben. Das beste dürfte sein, mit so wenig Informationen wie möglich an „Bug“ heranzutreten. Wer ihn noch nicht kennt, ihn aber gern sehen möchte, sollte also besser nicht weiterlesen.
US-Regisseur William Friedkin („Der Exorzist“) meldete sich im Jahre 2006 mit dem Psycho-Thriller „Bug“, der Adaption eines Theaterstücks, zurück, sein erster Film seit „Die Stunde des Jägers“ (2003).
„Tote Rauchmelder bringen kein Unglück!“
Agnes (Ashley Judd, „Heat“) lebt zurückgezogen in einer Art Behelfswohnung irgendwo in einer wüstenartigen Gegend der USA. Dort lernt sie eines Tages den mysteriösen Peter (Michael Shannon, „Vanilla Sky“) kennen. Beide verlieben sich ineinander, zum Missfallen von Agnes‘ just aus dem Knast entlassenen Ex-Freunds Jerry (Harry Connick jr., „Das Wunderkind Tate“). Peter erzählt, er wäre Kriegsveteran, an dem die US-Armee geheime Experimente durchgeführt hätte. Er klagt über Ungeziefer an und in seinem Körper und schottet sich mit Agnes nach und nach komplett von der Außenwelt ab…
„Bug“ ist über weite Strecken zunächst einmal ein Unterschichtsdrama: Vom Leben benachteiligte Nachtclubarbeiterin, deren einziger Sohn seit langer Zeit spurlos verschwunden ist und die unter den Attacken ihres gewalttätigen Ex-Freunds leidet, trifft auf scheinbar fürsorglichen, schüchternen und verständnisvollen Desperado. Es kommt zu einer sehr erotisch gefilmten Sexszene, beide Hauptdarsteller geben sich freizügig und es macht Spaß, zuzusehen, wie beide sich näher kommen, meist leicht verpeilte Dialoge versehen den Film mit einer subtil-witzigen Note. Verwunderlich ist, dass Agnes vor zehn Jahren einen sechsjährigen Sohn gehabt haben soll, aber tatsächlich kommt das mit dem Alter der unheimlich jung aussehenden Ashley Judd hin.
„Denk nach: Wovon weißt du gar nichts?!“ – „Ich weiß es nicht!“
In schwül-sommerlicher Atmosphäre wird „Bug“ zum Kammerspiel – in dem sich nach 55 Minuten die Ereignisse zu überschlagen beginnen und ein unerwarteter Weg eingeschlagen wird. Die im Subtext des Films fest verankerten Verlustängste, die Paranoia, Hypochondrie und Isolation der Protagonisten befruchten sich gegenseitig und schrauben sich in ungeahnte Höhen. Die Kritik an Menschenversuchen der Armee und der Manipulation von Soldaten entpuppt sich als ausgesprochener Verfolgungswahn zweier psychisch derangierter Charaktere, von denen der eine einen Sog entwickelt, in den sich der andere aus Einsamkeit und Liebe in Selbstaufgabe bereitwillig hineinstürzt. Zwei mit dem normalen Leben abschließende Menschen, die beginnen, sich selbst zu verstümmeln – psychisch wie physisch. Eine erschreckende, explizite Szene einer selbst durchgeführten Zahnziehung ist vorläufiger Höhepunkt des zunehmenden körperlichen Verfalls Agnes‘ und Peters, die – nicht frei von Komik – irgendwann nur noch eine Verschwörungstheorie nach der anderen herunterrattern, sich in Rage und damit endgültig um den Verstand plappern. „Bug“ wird zu einer absurden Farce – und dies in seiner Eindeutigkeit zu einer, wenn man so will, kleinen Schwäche des Films. Die Königsdisziplin wäre gewesen, bis zum Ende offen zu lassen, ob sich das Paar in einem Wahnzustand befindet oder es sich um die tatsächliche Realität handelt. Ein negativer Aspekt ist, dass bewiesene, aber unfassbare Fakten wie Nazis, die nach dem zweiten Weltkrieg in US-Geheimdiensten unterkamen, Militärexperimente an Menschen etc. zum Teil der Verschwörungstheorien und damit unglaubwürdig gemacht werden.
„Ich bin die Supermutterwanze!“
Das letzte Drittel des Films wird komplett in blaues Licht getaucht, strahlt eine Eiseskälte aus und sieht aus wie im Iglu gedreht – der Kontrast zur Schwüle des Beginns ist perfekt, die aufgestaute Hitze fand ihre Entladung und mündet in einem desaströsen, vernichtenden Finale. „Bug“ entpuppt sich als zunächst subtile, später umso plakativere Psycho-Studie der Paranoia im Zweierkollektiv, als Kulturreport einer selbstmörderischen Parallelwelt, als Porträt der hässlichen Fratze des Wahnsinns, das im wahrsten Sinne des Wortes unter die Haut geht. Voll erschreckender Intensität spielen sich Shannon und Judd durch diesen wenig beachteten, unterbewerteten Film, der so gut in eine schnelllebige, komplexe, Orientierungslosigkeit provozierende Ära passt, deren Tribut immer mehr Menschen mit dem Verlust ihrer geistigen Gesundheit zollen. Angesichts eines Films, an den ich mit keinerlei Erwartungen heranging, blieb mir glatt die Spucke weg. Wer sich an harten, konsequenten Psycho-Thrill, der die Grenze zum Horror mehr als einmal übertritt, herantraut, kann auf „Bug“ einen Ritt in die manische Schizophrenie unternehmen und nur hoffen, anschließend nicht auch plötzlich so ein eigenartiges Kribbeln unter der Haut zu spüren...
Fazit: 8 von 10 Koksmücken.