Deutsche Filme über den Zweiten Weltkrieg sind selten, doch anno 1993 nahm sich Joseph Vilsmaier des Themas an: Mit „Stalingrad“ verfilmte er die empfindlichste Niederlage der deutschen Wehrmacht, die oft als eine Art Wendepunkt des Zweiten Weltkriegs zählt.
Den Beginn inszeniert Vilsmaier bewusst als Gegenentwurf zu den Schneeweiten des winterlichen Russlands: Die Sturmpioniere sind vom Afrikafeldzug zurückgekehrt und haben Urlaub in Italien. Man schreibt das Jahr 1942 und vor allem Fritz Reiser (Dominique Horwitz) und Manfred ‘Rollo‘ Rohleder (Jochen Nickel) stechen hervor: Sie helfen einem Kameraden im Rollstuhl, kommen daher zu spät zum Antritt, wo der sich durch Großmäuligkeit um eine Auszeichnung bringt, der andere sich dagegen fügt und die Auszeichnung daher erhält. (Vermeintlicher) Gegenpol zu den einfachen Soldaten ist ihr neuer Vorgesetzter Leutnant Hans von Witzland (Thomas Kretschmann), der auf Prinzipien besteht, aber noch grün hinter den Ohren ist: Als die Sturmpioniere zum Sturm auf Stalingrad beordert werden, stellt sich heraus, dass dies sein erster Fronteinsatz ist.
An der Front stellt sich von Witzland dann allerdings doch als fähiger Befehlshaber heraus. Doch die Bedingungen des Feldzugs sind hart bis unerträglich, weshalb die Soldaten mehr und mehr an ihrem Ziel zweifeln, während manche Befehlshaber immer noch berauscht von großdeutschen Phantasien und dem Glauben an den zunehmend unwahrscheinlichen Sieg sind…
Erzählerisch kann man „Stalingrad“ gut mit „The Big Red One“ vergleichen: In beiden Filmen wird episodenhaft ein Kriegsverlauf dargestellt, in dem einzelne Soldaten als Orientierungshilfe dienen, wenn sie diese verschiedenen Stationen durchmachen. Neben Reiser, Rollo und von Witzland sind es in diesem Falle GeGe Müller (Sebastian Rudolph), dessen Spitzname für der Gemeingefährliche steht, und Otto (Sylvester Groth). Sie verkörpern verschiedenen Typen: Vom Frontschwein zum Soldaten aus Tradition, vom Querkopf zu demjenigen, die sich unterordnet und/oder mitläuft. Das driftet gelegentlich ins Thesenhafte, wenn anhand dieser Figuren verschiedene Positionen durchgespielt werden, aber trotzdem füllt Regisseur und Co-Autor Vilsmaier sie zusammen mit den Drehbuchautoren Jürgen Büscher und Johannes Heide mit Leben, bringt sie dem Zuschauer näher, obwohl dieser sie mitten im Krieg kennenlernt, erst später oder vielleicht auch gar nicht etwas über ihr Vorleben erfährt. Manchmal geben Briefe von daheim Aufschluss über ihr Vorleben, aber oft sind die Nachrichten nicht gut, wie etwa jene, dass ein Soldat von seiner Frau für einen französischen Kriegsgefangenen verlassen wird.
Die Episoden, die sie durchleben, decken alle Facetten des Stalingrad-Feldzugs ab: Häuserkampf, Strafarbeit, Besuche im überfüllten Lazarett, Fluchtversuche aus der ausweglosen Situation usw. Nicht immer markieren Regie und Schnitt die Zeitsprünge bei den Szenenwechseln sauber, jedoch ergibt sich ein umfassendes Potpourri dessen, was die Soldaten erleben und erleiden mussten. Dabei setzt Vilsmaier nicht auf allzu ausgiebige Gefechtsszenen, wenngleich die vorhandenen sich durchaus sehen lassen können: Gerade der Häuserkampf sowie ein Gefecht, in dem die Sturmpioniere sich trotz unterlegener Bewaffnung gegen mehrere T34-Panzer durchsetzen, sind technisch stark umgesetzt und vermitteln die Atmosphäre von Gefechten, die nur noch mit dem Mut der Verzweiflung geführt. Denn, so macht „Stalingrad“ klar, der anfängliche Enthusiasmus der Soldaten, die glauben, dass sie Stalingrad innerhalb weniger Tage einnehmen, weicht bald der Resignation.
Dabei macht sich „Stalingrad“ den Blickwinkel der einfachen Soldaten zu eigen, denen von Witzland näher steht als jenen Generälen und Hauptmännern, die selbst im Angesicht der Realität immer noch an den Endsieg glaubt. Hier schwächelt „Stalingrad“ dann auch ein wenig, da er manchmal vielleicht sogar zu viel Empathie für die Soldaten hat und diese manchmal etwas reinwäscht: Die hochgestellten Offiziere sind Knallchargen, Phantasten und Sadisten, die SS erschießt wehrlose Kriegsgefangene, während die einfachen Soldaten nur unter Zwang mitmachen. Das mag durchaus einen wahren Kern haben, aber es wird sicher auch einfach Soldaten gegen haben, die diese Gewalttaten aus Überzeugung mitgemacht haben, selbst wenn die Masse es anders sah.
Das ist etwas schade, da der Film sonst recht differenziert ist: Es werden Gewalttaten gegen die russische Zivilbevölkerung und die Erschießung deutscher Deserteure gezeigt, womit vor Kriegsverbrechen, sowohl gegen den Gegner als auch gegen die eigenen Leute, nicht die Augen verschlossen wird. Anhand einer russischen Soldatin und eines russischen Jungen, der auch in die Kampfhandlungen hingezogen wird, bekommt die Gegenseite zwei Gesichter, an denen der Film klar macht, dass hier Menschen und Menschen treffen, keine Schießbudenfiguren oder Unmenschen teilnehmen. Es wird gezeigt wie das Misstrauen eines deutschen Soldaten eine Waffenruhe zerstört. Und das pessimistische Ende verdeutlich in seiner tragischen Konsequenz die Sinnlosigkeit des Russlandfeldzugs, noch ehe eine eingeblendete Statistik die menschlichen Verluste vorrechnet.
Zum Gelingen tragen die damals noch eher unbekannten Darsteller bei. Vilsmaier setzte nicht auf Starpower, sondern auf unverbrauchte Gesichter. Vor allem Thomas Kretschmann beweist hier seine schauspielerischen Qualitäten, die ihm zu einer internationalen Karriere verhalfen, aber auch Fritz Reiser ist sehr stark. Eigentlich liefert das Ensemble aber durch die Bank weg Überzeugendes ab, wobei das Casting von Sylvester Groth im Nachhinein leichtes Amüsement bereitet. Nicht weil er schlecht spielt, im Gegenteil. Aber hier ist er noch der einfache Soldat, der unter der Nazi-Ideologie leidet und schlussendlich zugrunde geht, während er in „Mein Führer“ und „Inglorious Basterds“ anderthalb Dekaden später dann Josef Goebbels spielte.
Die episoden- und leicht sprunghafte Erzählung und eine manchmal vielleicht etwas zu unkritische Betrachtung der einfachen Wehrmachtssoldaten mögen „Stalingrad“ schmälern, doch sonst ist Vilsmaiers Film ein willkommenes Gegenstück zu all den amerikanischen Erzählungen über den Zweiten Weltkrieg: Ein Film, der mal die deutsche Perspektive in den Blick nimmt, den Blick vor deutschen Kriegsverbrechen nicht verschließt, aber die Soldaten des Russlandfeldzugs als Menschen mit Geschichten, Zielen und Fehlern zeigt. Auf Schlachten wird wenig gesetzt, aber die gebotenen Szenen sind technisch stark umgesetzt.