Über den im Alter von 55 Jahren 1999 verstorbenen französischen Regisseur und Drehbuchautor Jacques Scandelari lassen sich nur wenige Informationen finden, obwohl seine Vita einige bemerkenswerte Details aufweist. Die gesellschaftliche Umbruchsphase der 60er Jahre - das Aufbegehren gegen verkrustete Strukturen und die damit einhergehende sexuelle Revolution - wurde zur Initialzündung seines filmischen Werks, das innerhalb weniger Jahre zwischen 1971 und 1978 entstand und dessen erotische Ausrichtung bis zur Pornografie - 1977 und 1978 drehte er unter dem Pseudonym Marvin Merkens drei Schwulen-Pornos in New York – signifikant für seinen Stil wurde.
Auch der Einfluss des 20 Jahre älteren Erotikfilm-Pioniers José Bénazéraf lässt sich unschwer feststellen. Bénazéraf produzierte Scandelaris frühen Kurzfilm "Models International" (1966) und schrieb das Drehbuch dazu, dass sich thematisch an seinen Film "Cover-Girls" (Cover Girls - die ganz teuren Mädchen, 1964) anlehnte. Zudem wirkte Scandelari gemeinsam mit Jean-Pierre Deloux am Drehbuch zu Bénazérafs Film "Joë Caligula - Du suif chez les dabes" (Joe Caligula, 1966) mit, eine Zusammenarbeit, die sie beim Drehbuch zu "La philosophie dans le boudoir" wiederholten. Der deutsche Titel "Das Paradies" verschweigt, dass sie sich damit konkret auf einen Text Marquis de Sades bezogen, der auch unter dem Titel "Die lasterhaften Lehrmeister" als Grundlage zur Erziehung junger Damen von De Sade erdacht wurde.
Wichtiger war für Scandelari die darin enthaltene Aufforderung "Franzosen, noch eine Anstrengung, wenn ihr Republikaner sein wollt", womit De Sade die sittlich-moralische Befreiung nach der französischen Revolution forcieren wollte - der Bürger sollte seinen aggressiven Trieben frei nachgehen dürfen. Die Parallelen zur Phase des tief greifenden gesellschaftlichen Wandels Ende der 60er Jahre waren offensichtlich, weshalb Scandelari in seinem Drehbuch eine Kombination aus den sado-masochistischen Ideen De Sades und den gesellschaftspolitischen Forderungen der Protestbewegung herzustellen versuchte. Filme über freie Liebe und die Ablehnung jeden Besitzdenkens - emotional wie materiell - hatten zu dieser Zeit Konjunktur, aber Scandelari entwickelte daraus ein Szenario, dass nur innerhalb eines begrenzten Raumes stattfand und dank seiner erotischen Bildsprache zum Voyeurismus einlud.
Damit verabschiedete sich der Film von De Sades generalistischem Ansatz und schuf eine Welt von wenigen Wissenden unter der Leitung ihres charismatischen Anführers Yald (Fred Saint-James), nach dessen Philosophie die Gemeinschaft in einem pompösen Schloss, umgeben von einem riesigen Park, ihren individuellen, nur der eigenen Lust gehorchenden Lebensvorstellungen nachgeht. Scandelari bemühte sich gar nicht erst, diese Ausgangssituation als Keimzelle für eine umfassende Metamorphose zu postulieren, sondern betonte die Abgrenzung zur Außenwelt. Wer gegen das Gesetz der absoluten Freiheit verstößt, bekommt die Möglichkeit, sich durch eine Flucht aus dem Gelände der Strafe zu entziehen, aber keiner der Delinquenten nimmt diese Chance wahr, sondern unterzieht sich lieber Yalds Urteil.
Der junge Mann Zenoff (Lucas de Chabaneix) tritt von Außen in diesen abgeschlossenen Zirkel und übernimmt damit die Position des Skeptikers, der Yalds Philosophie für verlogen und egoistisch hält. Er ist nur gekommen, um seine Geliebte Xenia (Souchka) zu sich zu holen, muss aber feststellen, dass diese sich völlig den Vorstellungen Yalds verschrieben hat und ihm nicht folgen will. Der Film erzählt keine typische Story, sondern schildert die Konfrontation zwischen bürgerlichen Vorstellungen und einer Gesellschaft, die sich nur ihrer Lust und ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten unterordnet. Scandelari setzte sich damit zwischen alle Stühle, denn für ein anti-bürgerliches Statement ist Yalds Gegenentwurf zu dekadent und auf einen Anführer zugeschnitten, aber auch der in seiner Kleingeistigkeit verharrende Zenoff, dessen Liebe zu Xenia genau die egoistischen Züge annimmt, die Yald zuvor kritisierte, eignet sich nicht zur Identifikation.
"La philosophie dans le boudoir" ist in seiner Kombination aus Provokation, Extravaganz, Erotik und Utopie ein Kind seiner Zeit, aber der Film hat seine Kraft nicht verloren. Die erotischen Darstellungen, auch hinsichtlich einiger ungewöhnlicher sexueller Vorlieben, verfügen nicht mehr über ihre damalige Wirkung, aber Scandelaris Bildsprache, die extremen Kamerawinkel, Hell-Dunkel- und Spiegeleffekte verweisen auf die Schule Bénazérafs und können in ihrer optischen Opulenz nach wie vor überzeugen. Auch der philosophische Ansatz befeuert bis heute den Diskurs, da er sich weder einer Seite anbiederte, noch Realität behauptete, sondern die Widersprüche zwischen Macht und Freiheit, Lust und Schmerz zuließ.(8/10)