Ok, es ist soweit.
Ich bin ja von meinen Gewohnheiten wie dem Reviewschreiben über die Jahre genauso abgerückt wie in meinem Filmgeschmack, irgendwann hat man dann doch eben jede Großproduktion, die noch wertig war, besprochen und will dem Kanon nicht noch eine 43.Kritik ins gleiche Horn gestoßen beifügen.
Aber da das nun mal mein 3000.Review ist und ich nicht sicher bin, ob ich Nr. 4000 noch erleben werde, greife ich doch noch mal in das Königsdisziplin und bespreche einen meiner Lieblinge, mit dem mal irgendwann alles angefangen hatte: Billy Wilders „Eins, Zwei, Drei“.
Natürlich hat nicht alles damit angefangen, das war keineswegs mein erster Film im Kino (das war Disneys „Schneewittchen“, meine Eltern war da voll das Klischee), aber es war der erste Film, bei dem ich meine Erzeuger so um 1987/88 offiziell bat, sie mir auf VHS-Tape aufzunehmen, als diese „Mode“ auch in unserem Haushalt begeisterte Aufnahme fand. Bis zum eigenen Rekorder waren es dann auch höchstens noch zwei Monate.
Heute wundert man sich sicherlich, dass man als Kenner nicht wie die halbe Zivilbevölkerung des Planeten sofort „Manche mögens heiß“ von Wilder verfallen ist, den heute anerkannten Klassiker der Komödie aus seinem Oeuvre (den ich tatsächlich erst fünf Jahre später erstmals sah und damals gar nicht mochte), aber wenn ich von einem Film so richtig gestrahlt und mitgerissen wurde, dann war es dieser Nachfolger, der kein glückliches Leben an der Kinokasse hatte.
Wilder hatte ein damals, anno 1961 innerhalb von vier Jahren ein glorioses Triple hingelegt, dass seinesgleichen suchte, erst „Zeugin der Anklage“, dann „Some like it hot“ und danach den Oscar-Abräumer „The Apartment“ und so suchte er mit seiner rasanten Satire der Nachkriegszeit noch einmal seine eigenen deutschen Wurzeln auf, indem er einen Film drehte, der wirklich niemanden gut und sauber zurückließ, weder die Deutschen, noch die Russen, noch die Amis, aber jeden irgendwie sympathisch zeichnete, so dass man die ganze Säure besser verdauen konnte.
Wilder griff sich einen Einakter von Ferenc Molnar aus den späten 20ern, reicherte ihn mit einigen Ideen aus „Ninotchka“ an und arbeitete mit seinem Dauerautor I.A.L. Diamond ein Skript aus, welches rückwirkend ein Hochrisikospiel war: eine temporeiche Farce ohne richtige Helden, ohne echte Bösewichte, welche sich in alles verbiss, was sowieso global Thema war, denn der Kalte Krieg war dabei hoch- und überzukochen, die Supermächte standen bald kurz vor dem atomaren Krieg und in Wilders alter Heimat feierte man den Wohlstand und Wiederaufbau nach dem Krieg mit einer bewusst gewählten Geschichtsvergessenheit (oder -verweigerung), die die Kinos mit Heile-Welt-Geschichten aus den Alpen und dem Schwarzwald fluteten und die bissigeren Beiträge ein Nischendasein führen ließ.
West und Ost waren durch Zonengrenzen voneinander geteilt, der Umgang war schwierig, das Misstrauen war groß. Auf die jeweils andere Seite blickte man global wie auch deutsch mit halber Geringschätzung und nicht zuletzt mit übertriebener Angst oder sogar Hassgefühlen.
Wer da glaubt, man müsse nun mit mit dem feinjustierten Skalpell an die Sache herangehen, der irrt, denn Wilder wählte eine Streitaxt, aber so fein geschliffen wie besagtes chirurgisches Instrument.
Was er damit anstellte, kann man mögen oder nicht, aber es gibt und gab keinen Film, den ich mit „Eins, Zwei, Drei“ vergleichen könnte und der dennoch durchgehend so wahnwitzig wäre.
Wer ihn noch nicht gesehen hat: die Handlung ist genau auf der Zonengrenze platziert. Und nicht nur die zwischen West und Ost, sondern zentral in Berlin auf der Grenze zwischen den Stadthälften.
Und als sei das noch nicht genug, drehte er persönlich vor Ort – als dort plötzlich die Regierung der DDR entgegen ihrer Versicherung, dass niemand die Absicht habe, eine Mauer zu errichten, wirklich eine Mauer in der Stadt errichtete.
Leider hatte Wilder genau dort ein Set errichtet, da einige Szenen quasi eine Flucht in den Westsektor thematisierten und nun wurde es nötig, die Szenen mit Archivmaterial in München nachzudrehen.
Derlei zufällige Aktualität zieht sich durch den ganzen Film, sei es nun die Erwähnung der Beziehungen zwischen der Sowjetunion und Kuba, den Witzen über Raketentechnik, den Wettlauf zum Mond, der Versorgungsschwierigkeiten im östlichen Deutschland, die Arroganz der Amerikaner und eben die Konflikten zwischen Demokraten und Republikanern, ergänzt durch einige augenzwinkernde Zoten, bei denen sowohl der deutsche Adel sein Fett weg bekommt, wie auch einzelne Rollen entlarvt werden, eine Rolle im Nationalsozialismus gespielt zu haben, wovon sie natürlich jetzt nichts mehr wissen wollen.
Erzählerisch ist der Film reinstes Boulevard auf einem genialen Untergrund des Kapitalismus: James Cagney, der selbst nur noch sporadisch drehte (und sich nach dem Misserfolg tatsächlich in einen zwanzig Jahre dauernden Filmruhestand verabschieden sollte) spielt C.R. „Mac“ MacNamara, den Leiter der Produktionsfiliale von Coca-Cola in West-Berlin. Er ist laut, schnell, leutselig und hat seine Leute gut im Griff – wobei es sich bei den Angestellten um brav arbeitende Deutsche handelt, die stets unisono aufstehen, wenn er den Raum betritt, als wäre es eine Mischung aus Klassenzimmer und Kasernenhof. MacNamara quittiert das ständig mit seiner gebellten Catchphrase „Sitzen…machen!“, die sich durch den ganzen Film zieht.
Er hat einen guten Job, wäre aber lieber daheim in Atlanta (Südstaaten, Republikaner, jaja…) und seine Frau und die beiden Kinder wären auch lieber mal wieder in good old USA. Aber da sind eben auch die Dienste von Fräulein Ingeborg (oder „Fraulein“, denn der Umlaut macht hier immer mal wieder Probleme), die MacNamara schätzt, denn Ingeborg, die von Liselotte Pulver in der Rolle ihres Lebens gespielt wird, ist eben eine ebenso verführerische wie launige Kopie von Marilyn Monroe, wie gleichzeitig ein typisches Mädel, das nach oben will und auch weiß, wie. (Eine sexuelle Beziehung zu ihrem Chef ist zumindest angedeutet.). Da seine Frau Phyllis die Winkelzüge ihres Gatten zwar duldet, aber satt hat (und ihn gern mal mit „Mein Führer“ tituliert), wächst die Sprengkraft des Geschehens.
Auslöser der wirklichen Krisen ist dann die Entsendung von Scarlett P.Hazeltine, der flirtigen Tochter von Macs Vorgesetzten in Atlanta, um die er sich kümmern. Nur ist Scarlett an Sightseeing wenig interessiert, Pamela Tiffin spielt das begeisterungsfähige und Männer begeisternde Quietschgirl mit nervtötender Intensität, sondern lacht sich alsbald einen Freund an.
Das ginge natürlich noch so halb, wäre der Galan nicht Otto Ludwig Piffl, ein stramm kommunistisch indoktrinierter junger Ostberliner, der die Propagandasprüche der Rückseite des eisernen Vorhangs nur so auf die Geldkapitalisten niederhageln lässt.
Als Kontrast zu Scarletts Eleganz, spielt Horst Buchholz, frisch zurück von den Glorreichen Sieben, den Jungkommunisten mit wütendem Aplomb gegen MacNamaras Überzeugtheit, auf der richtigen Seite zu stehen. Die beiden mochten sich während der Dreharbeiten wohl wirklich nicht (angeblich versuchte Buchholz „scene stealing“, was bei Cagney Schnellfeuertexten wirklich eine Leistung war) und die Abneigung macht die Wirkung mancher Diskussionen quasi noch besser.
Natürlich muss der junge Mann weg und mit ein wenig Hilfe von seinem überservilen Assistenten Schlemmer, landet Otto bald in den Fängen der inhumanen östlichen Behörden (die ihn mit „Itsy bitsy teeny weeny, yellow polka dot bikini“ in verschiedenen Geschwindigkeiten foltern). Leider ist nur Scarlett dann ganz schnell ein wenig schwanger – und der unfeine, ungekämmte, ungewaschene und sockenlose Kerl muss wieder her, zurück in den Westen.
Was natürlich burlesk noch besser funktionert, wenn die Eltern der Holden sich ebenfalls auf den Weg nach Europa gemacht haben, um ihre Tochter zu besuchen, denn jetzt stehen alle unter Zeitdruck.
Ist die erste Hälfte des Films schon ein Schnellfeuergefecht von Dialogen, stellt der Film in der zweiten Hälfte auf Hypermodus oder wahnwitzige Geschwindigkeit, denn es braucht schon zwei Sichtungen, um wirklich alle Gags mitzubekommen, wenn Mac versucht, mit Hilfe seiner Angestellten, erst den „kapitalistischen Spion“ aus Ostberlin freizukaufen und ihn dann binnen weniger Stunden von einem Kommunisten in einen Vorzeigekapitalisten zu verwandeln und zwar mit allen Mitteln, vorzugsweise Geld und allen edlen Gaben der Kapitalismus, die so verführerisch sind.
Angereichert wird das durch eine Vielzahl von Nebenhandlungen und Figuren, die tatsächlich – und das ist eine seltene Leistung – alle für den Plot von realistischer Bedeutung sind: die Reaktionen von Macs Familie, die Absichten Ingeborgs, der Einsatz Schlemmers, dazu das wiederholte Auftauchen einer dreiköpfigen russischen Handelsdelegation (die sich gegenseitig ausspionieren), die das Coca-Cola-Rezept oder zumindest einen Liefervertrag abschließen wollen (mit absurden Gegenleistungen), aber eigentlich nur an die Blondine wollen.
Ergänzt wird das alles durch eine beachtliche Reihe an Gästen, Händlern, Verkäufern, Reporter (die sich als ehemalige Nazis herausstellen) und einem fashionable cameo von Hubert von Meyerinck als Graf von Droste Schattenburg, der jetzt in einer Herrentoilette arbeitet und dabei seine Würde nicht verloren hat, wenn er dafür bezahlt wird.
Das Beeindruckende an dem Film ist sein Tempo – es ist irrwitzig und es wird mit jeder Minute irrwitziger, noch angefeuert durch den wiederholten Einsatz des bekannten „Säbeltanzes“, der das absurde Finale (der final touch an Otto wird während der Fahrt zum Flughafen festgemacht, sein Anzug genäht, sein Hut ausgesucht und das Auto noch bemalt und gebrieft wird er auch noch derweil).
Zum Durchatmen kommt an selten, denn wirklich jede Rolle, sogar die stummen, sind treffend besetzt. Neben Pulvers 1A-Turn als Monroe-Kopie (aber mit mehr Hirn) schafft der selige Hanns Lothar (der viel zu früh starb) den Herkulesakt als hackenknallender Assistentenstiefellecker „Schlemmer“, gegen Cagney Stakkatomonologe zu bestehen und sogar die entscheidenden Kontrapunkte zu setzen. Karl Lieffen spielt einen ebenfalls servillen Hackenknaller-Chauffeur namens Fritz (wie sonst?) und Henning Schlüter krönt seinen Auftritt als Arzt, indem stetig Wagners "Walkürenritt" summt. Den Vogel schießen sonst auch noch Leon Askin, Ralf Wolter und Peter Capell als russische Delegation ab, deren Auftritte genauso komisch wie absurd sind.
Wilder entlarvt die gegensätzlichen Leben- und Gesellschaftsmodelle und ihre Ideologien alle nur als Fassade, um eigene Vorteile daraus zu ziehen. Zwar gibt bezüglich eines HappyEnds am Ende ein wenig nach (Scarlett und Otto enden glücklich im Kapitalismus, Mac versöhnt sich wieder mit seiner Familie), aber darin liegt ja auch der satirische Gehalt, wie leicht am Ende der aufrechte Kommunist wörtlich verführt wird, wenn es darum geht, ein Vater zu sein, dass es nicht das Erstrebenswerteste ist, halbnackt ohne Schuhe den blonden Weizen der Ukraine zu schneiden und nachts den Sputniks zuzusehen, wie sie über den Himmel ziehen.
All das ist bitter, aber gleichzeitig bittersüß und nie offensichtlich verletztend, aber niemand hier ist ohne Schuld. Am offensichtlichsten wird das sicher in der Szene, in der Schlemmer in dem Reporter seinen ehemaligen Obersturmbandführer aus der SS wiedererkennt (und im Affekt mit dem Hitlergruß begrüßt), um dann im Anschluss sofort zu relativieren, er sei ja damals nur Konditor in der Offizierkantine gewesen.
Es gibt einen Moment, in dem Cagney die deutsche Erinnerung triggert, indem er schwadroniert, „…und von Adolf habt ihr natürlich auch alle nichts gewusst!“- worauf von Schlemmer ein absolut porentief unschuldiges „Welcher Adolf?“ als Replik zurückkommt.
Die Wirkung beruht in diesem Fall auch auf einer sehr einfallsreichen Synchronisation, die natürlich die Dreisprachlichkeit des Originals aufgibt (hier sprechen jetzt alle deutsch), aber bisweilen sehr schönen Ersatz für die Verbalinjurien findet. In einem Fall bspw. kündigt Mac dem untröstlichen Schlemmer an, er sei von nun an wieder in der „SS“ – small salary, während er in der deutschen Fassung wieder in die HJ versetzt wird „Honorar jekürzt“. Als die Russen Fräulein Ingeborg den Po tätscheln wollen, kann man bspw. in der deutschen Fassung hören: „Nanana, Genosse, ich sagte „Towaritsch“, nicht „Millowitsch“!
Dennoch ist es durchaus ein Erlebnis, beide Fassungen zu kennen, gerade weil sich alle so launig verausgabt haben und sich Cagney darstellerisch auf einem Karrierehoch hier verabschiedet, seine Figur ist unvergleichlich magnetisch und hält alles zusammen.
An den Kinokassen war dem quasi hysterischen Unternehmen aber wenig Glück beschieden, in Deutschland fühlte man sich wohl ertappt und die Produktion fiel an der Kasse durch, um erst spät Mitte der 80er wiederentdeckt zu werden und zu einem Kulthit zu mutieren. Auch in Amerika war das wohl zu nah an der Realität, denn der Film machte zwar Geld, aber bei weitem nicht genug, um in die Gewinnzone zu kommen und endete als Verlustgeschäft. Möglicherweise war der Film auch einfach zu schnell, um wirklich lustig zu sein, aber gerade diese Geschwindigkeit hat ihn niemals altern lassen, wie ein Nachkomme der bissigen Pre-Code-Filme, mariniert in bissigen Verbalhäppchen der Screwball-Ära und in Sachen Erzählhysterie Hollywood Jahre voraus, mit der Gagquote eines Tex-Avery-Cartoons.
„Eins, Zwei, Drei“ ist einer der wirklich wenigen Filme, die nie an Wirkung für mich verloren haben, die eine gewisse Zeitlosigkeit mit sich führen, weil die dargestellten menschlichen, politischen und gesellschaftlichen Schwächen immer noch aktuell sind. Und obwohl ich es nicht geglaubt habe, sogar meine Frau wurde mitgerissen, als sie ihn vor zwei Jahren entdeckte.
Die VHS hab ich übrigens immer noch.
Sitzen! Machen! Schauen!(10/10)