Südamerika, 1560: Auf der Suche nach dem Goldland von El Dorado schleppt sich das Heer von Gonzalo Pizzaro über die Anden und steigt in den dichten Urwald des Amazonasgebietes hinab. Die Männer sind erschöpft, die Indianer-Sklaven sterben wie die Fliegen und die Vorräte gehen zu Neige. In dieser Situation sendet Pizzaro eine Vortrupp los, welche auf Flössen die Flüsse hinab schwimmen, die Gegend erkunden und Nahrung finden soll. Zum Kommandanten dieser Truppe ernennt er Don Pedro de Ursua, dessen Stellvertreter wird Don Lope de Aguirre (Klaus Kinski).
Herbe Verluste durch den reissenden Fluss und feindliche Indianer im Laufe der folgenden Tage bringen Ursua dazu, die Rückkehr zu befehlen, doch unter der Führung von Aguirre lehnen sich seine Männer gegen ihn auf und setzen ihn ab. An seiner Stelle lässt Aguirre Don Fernando de Guzman, einen Vertreter des spanischen Königshauses, zum neuen Anführer ernennen. Diesen überzeugt er erst davon, Ursua in einem Schauprozess als Verräter zu verurteilen, und überredet ihn dann dazu, sich vom spanischen König loszusagen und sich zum Kaiser vom Lande El Dorados zu erklären.
Die Reise geht also immer weiter den Fluss hinab, trotz aller Gefahren, welche die Männer mehr und mehr dezimieren, allen voran die Indianer, welche die spanischen Eroberer kaum zu Gesicht bekommen (und wenn, dann meist nur als verkleidete, schemenartige Gestalten in der Ferne), mit ihren Giftpfeilen und Speeren, gegen welche die Gewehre und die Kanone der Eindringlinge nichts auszurichten vermögen (die Ausnahme ist ein Pärchen, das sich im Kanu nähert und an Bord des spanischen Flosses geht – viel weniger verheerend ist diese Begegnung aber auch nicht, denn der männliche Part trägt ein goldenes Amulett um den Hals, das die Spanier erst recht von Gedanken an eine Rückkehr abbringt). Und als ob das noch nicht genug wäre, müssen Guzmans Männer bei einem Landgang, der sie in ein verlassenes, brennendes Dorf führt, dass die Eingeborenen anscheinend Kannibalen sind…
Werner Herzog (JEDER FÜR SICH UND GOTT GEGEN ALLE, NOSFERATU: PHANTOM DER NACHT, RESCUE DAWN) gehört mit Leuten wie Wim Wenders, Volker Schlöndorff und natürlich Rainer Werner Fassbinder zu einer Generation junger Filmemacher, die in den Sechzigern und Siebzigern das deutsche Kino prägten mit ihren Filmen, die sich von althergebrachtem Hollywoodstandard abwenden sollten, folglich spricht man da auch vom Neuen oder Jungen Deutschen Film. Auch AGUIRRE, DER ZORN GOTTES fügt sich in diese Schule ein.
Entstanden ist der Streifen unter schwierigen Umständen: Ein niedriges Budget (Herzog musste mit einer Kamera drehen, die er von seiner Filmschule geklaut hatte), ein schwieriger Drehort (Überschwemmungen und das unwegsame Gelände hielten die Filmcrew immer wieder auf) und natürlich die legendären Streitereien zwischen Herzog und Kinski, die teils bis hin zu Morddrohungen gegangen sein sollen (der Legende nach hielt hier Herzog Kinski mit vorgehaltener Waffe davon ab, das Set zu verlassen und zurück nach Hause abzureisen).
Das Ergebnis orientiert sich (wie Francis Ford Coppolas APOCALYPSE NOW von 1979) ein bisschen an Joseph Conrads Novelle HEART OF DARKNESS und kann unter anderem als Kommentar zum Vietnamkrieg gesehen werden, wo ja ebenfalls die angeblich überlegenen „Eroberer“ von der einheimischen, sich im Urwald versteckenden und nur punktuell attackierenden Bevölkerung bezwungen worden sind. Überhaupt ist der Film äusserst zivilisationskritisch, wie er da die Angesichts der übermächtigen Natur lächerlichen Rituale und Intrigen der Spanier zeigt, die in Verkennung jeglicher Tatsachen riesige Landflächen für sich beanspruchen und sich dabei doch kaum einmal an Land trauen. Und schon in der ersten Szene, die Pizarros erschöpftes Heer mit seinen abgemergelten Soldaten zeigt, die sich über dünne Pfade und durch tiefen Schlamm kämpfen, ist klar, dass die Spanier hier versagen werden. Einen bitteren Beigeschmack bekommt der Film aber, wenn man sich vor Augen führt, dass der Urwald schlussendlich doch noch erobert und ausgequetscht werden würde, sei es durch internationale Firmen, sozialistische Regimes, etc.
Der Film wendet sich auch gegen grössenwahnsinnige Führerfiguren, hier personifiziert durch Klaus Kinski (LEICHEN PFLASTERTEN SEINEN WEG; NACHTS, WENN DRACULA ERWACHT; NOSFERATU: PHANTOM DER NACHT, PAGANINI) als Aguirre: Ein machtgieriger und intriganter Egomane, der seine Männer mit falschen Versprechungen ins Verderben führt, jeden aus dem Weg räumen lässt, der sich gegen ihn stellt und sich selbst noch im Angesicht des sicheren Todes in göttlichen Allmachtsfantasien ergeht. Der Wahnsinn steht ihm ins Gesicht geschrieben und sowohl in seinen Wutausbrüchen als auch in seinen stillen Momenten ist er eine beängstigende Figur. Ursua (Ruy Guerra), der weitaus vernünftigere und realistischere Anführer, hat da keine Chance.
Nichts anderes als seine Marionette ist der dümmliche, fette Adelige Guzman (gespielt von Peter Berling, bekannt aus THEO GEGEN DEN REST DER WELT, TEXAS – DOC SNYDER HÄLT DIE WELT IN ATEM oder PRAXIS DR. HASENBEIN und zu sehen in Bit-Parts in Filmen wie LIEBE IST KÄLTER ALS DER TOD, FITZCARRALDO, DER NAME DER ROSE oder GANGS OF NEW YORK. Er hat übrigens auch am Drehbuch von MALADOLESCENZA mitgeschrieben), der immer noch frisst wie ein König, während seine Männer die Maiskörner zählen, und das letzte Pferd vom Floss schmeissen lässt, weil es ihn stört (dabei hätte das Tier Fleisch für Wochen liefern können).
Auch die Kirche bekommt ihr Fett weg durch Del Negro als Mönch Carvajal (der die Reise übrigens in seinem Tagebuch festhält und so zum Film einen Voice-over beisteuert): So wie die anderen durch die Gier nach Gold getrieben werden, hat er nichts anderes im Kopf, als die „Wilden“ zum Christentum zu bekehren. Und als Inez (Helena Rojo, die zu sehen ist in MARY, MARY, BLOODY MARY oder FOXTROT), die Geliebte Ursuas, ihn um Beistand gegen Aguirre bittet, erklärt er ihr, dass die Kirche sich zum Wohle Gottes immer schon an die Starken gehalten habe. Der religiöse Fanatismus der Eroberer zeigt sich, als der oben erwähnte indianische Gesandte mit dem Goldamulett die Bibel, die er von Carvajal geschenkt bekommt, nicht zu würdigen weiss und auf den Boden schmeisst: Sie richten ihn hin.
So mehr die Geschichte und die verbliebenen, ausgezehrten Spanier ihrem Ende entgegen gehen, umso mehr gerät auch die Inszenierung in ein Delirium: Die Charaktere verhalten sich zunehmend absonderlich, die Kamera kreist in schwindelerregend Geschwindigkeit um das letzte Floss und der Film hebt endgültig in Surrealität ab, als die letzten Überlebenden auf dem Gipfel eines Baumes ein Segelschiff entdecken oder sich Slapstick-Einlagen einfinden: So beendet der abgetrennte Kopf eines von Aguirres rechter Hand Perucho hinterrücks mit dem Schwert hingerichteten Verräters einen angefangenen Satz oder reagiert ein von den Indianern getroffener Spanier mit den Worten „Die langen Pfeile kommen in Mode“, bevor er tot ins Wasser stürzt.
Dass AGUIRRE, DER ZORN GOTTES eher eine Allegorie als ein Historienfilm ist, erklärt vielleicht, dass der Film den geschichtlichen Fakten nicht immer entspricht: So basieren zum Beispiel sowohl Pizarro als auch Aguirre auf Persönlichkeiten, die tatsächlich gelebt haben, aber während erster in der Realität schon mehr als zehn Jahre vor den Ereignissen in diesem Streifen gestorben ist, ist der echte Aguirre ganz anders geendet, als es hier gezeigt wird; die indianischen Sklaven hingegen tragen Kleider, die es in der Form erst ab dem 19. Jahrhundert gibt. Ansonsten wirkt der Film aber fast wie ein Dokumentarfilm, mit der Kamera, die sich immer nahe bei den Protagonisten und mitten im Geschehen befindet (so wird das Objektiv beispielsweise schon mal nass) sowie unbeabsichtigten Blicken und Ausrutschern der Schauspieler in den und vor dem Filmapparat. Liegt natürlich auch in den schwierigen Drehbedingungen begründet und der Tatsache, das vieles sehr spontan gefilmt wurde (so wurden auch Überschwemmungen oder überhängende Äste, die das Dach des Flosses zerstören, gleich in die Handlung eingebaut).
Aber schliesslich fügt sich alles schlüssig zusammen zu einem (auch dank der sphärischen Musik der deutschen Band Popol Vuh) manchmal beinahe schon hypnotischen Film, der trotz seiner oft gemächlichen Gangart nie langweilig wird, sei es dank den hervorragenden Leistungen der Schauspieler, der drückenden und bedrohlichen Stimmung oder der eindrücklichen Landschaft (unvergesslich der Anblick des nebligen Gebirge vom Anfang, aber auch der undurchdringliche, lebensfeindliche Urwald). AGUIRRE, DER ZORN GOTTES beweist, dass der Neue Deutsche Film nicht nur langatmiges, gestelztes und selbstverliebtes Kunstkino sein muss, sondern auch zutiefst faszinieren kann.