Review

Zuerst ein paar Worte über den (im positiven Sinne) wahnwitzigen Macher dieses Films:
Werner Herzog ist für mich mehr als nur ein genialer Regisseur der wie kaum ein Anderer das Neue Deutsche Kino verkörpert und doch in Deutschland kaum Beachtung gefunden hat. Er ist ein Abenteurer, der sich hinaus in die unbekannte, geheimnisvolle und mitunter auch gefährliche Welt wagt um sie auf Film zu bannen. Einer, der bereit ist fast jedes Wagnis für einen guten Film auf sich zu nehmen. Er ist einer der letzten deutschen Filmemacher, der sich traut "große" Geschichten zu erzählen, die einem den Atem rauben und gleichzeitig bleibt er ein Do-it-yourself-Independentfilmer im ursprünglichen Sinne. Er verbindet großangelegte Abenteuerdramen mit hintersinniger Zivilsationskritik (obwohl er das nie zugeben würde, er "erzählt einfach nur Geschichten"), versteht es aus seinen Schauspielern und der Crew stets das Maximum an Leistung herauszuholen und überschreitet dabei auch mal die Belastungsgrenze. Inwieweit hier eine mythische Selbstinszenierung nachgeholfen hat, ist für mich relativ unerheblich - auf die Ergebnisse, sprich: die Filme kommt es an und die sind schlicht genial. Obwohl seine übrigen Streifen alle sehr sehenswert sein sollen, werden sie nie die Bedeutung seiner Zusammenarbeiten mit einem der größten deutschen Schauspieler aller Zeiten erreichen - Herzogs "liebster Feind", Klaus Kinski.

Neben FITZCARRALDO ist AGUIRRE, DER ZORN GOTTES sicherlich der Höhepunkt im Werk dieses Duo infernale. Mit diesem Film hat Herzog meiner Meinung nach einen völlig neuen Stil kreiert, der die Produktionsweise von z. B. APOCALYPSE NOW sieben Jahre später schon vorweg genommen hat: In bester Guerilla-Manier macht sich ein Haufen exzentrischer Filmemacher auf in eine unwirtliche Umgebung um auf Biegen und Brechen einen Film zu realisieren. Dadurch wird der fertige Spielfilm fast schon zu einer Dokumentation über seinen eigenen Entstehungsprozess (wenn das immer so wäre, könnten wir endlich auf diese nichtssagende Making-ofs verzichten!), was den Film auf ein höheres, weil selbstreflexives Niveau hebt. Fiktion und Realität vermischen sich - nicht umsonst bezeichnet Herzog den unter ähnlichen Umständen entstandenen FITZCARRALDO ironisch als die beste Doku, die er je gedreht hat.Obwohl der "Monsterfilm" von 1982 eine weitaus größere Reputation erfahren hat, ist AGUIRRE doch mindestens gleichwertig, zumal das Budget deutlich kleiner war (Herzog stand noch am Beginn seiner Karriere) aber der Film auch radikaler als sein "großer Bruder" ist.

Das Scheitern von großen Visionen war schon immer Herzogs Steckenpferd - und hier ist es nichts Geringeres als der westliche Imperialismus und Kolonialismus, der auf fast schon boshafte Art und Weise vorgeführt, entlarvt und schließlich zu Fall gebracht wird. Genau das macht den Film trotz seines exakt definierten historischen Rahmens zu einem zeitlosen Klassiker, der sich zum Zeitpunkt seiner Entstehung auf den Vietnamkrieg (was Herzog natürlich auch nie zugeben würde, sich aber durch den unwirtlichen Dschungel geradezu aufzwingt) und heute auf den Größenwahn der Regierung Bush anwenden lässt. Obwohl die Figur des Aguirre eher wie ein Antagonist zu den anderen Charakteren wirkt - ständig ist er im Konflikt mit ihnen - verkörpert er doch nur die Radikalisierung seiner Gefährten. Im Grunde haben alle das selbe Ziel, nämlich das sagenhafte Goldland El Dorado zu finden, doch wo die Anführer des Expeditionstrupps zuerst Pläne schmieden, wie man wohl am bequemsten eine der unwirtlichsten Gegenden der Welt durchquert, stürmt Aguirre furchtlos voran. Das ist kein Mut, es ist blanker Selbstmord und das offenbart sich dem Zuschauer schon von erster Sekunde an: Es gibt natürlich kein El Dorado, das gefunden werden kann und den Allmachtstraum erfüllen könnte. Als sich ein Erkundungstrupp unter Aguirres Führung vom Hauptzug löst und der wahnsinnige Eroberer auf eigene Faust El Dorado finden will, ist der Untergang endgültig besiegelt.

Aguirre wird in einer der göttlichsten Schauspielleistungen der Nachkriegsfilmgeschichte von Klaus Kinski verkörpert ... nein: gelebt! Wieder vermischen sich Realität und Fiktion: Kinski war mindestens so wahnsinnig wie die von ihm dargestellte Figur - seine legendären Tobsuchtsanfälle kann man in der Herzog-Doku "Mein liebster Feind" zumindest erahnen. Regisseur und Hauptdarsteller zerfleischten sich verbal gegenseitig so, dass sie sogar Mordpläne gegen den Anderen schmiedeten. Gleichzeitig war beiden bewusst, dass der Film ohne die Genialität des Anderen keinen Pfifferling wert war - Herzog konnte als Erster die wahnwitzige Schauspielkunst Kinskis voll ausschöpfen und Kinski fand in Herzog endlich einen Drehbuchautor und Regisseur, der ihn adäquat in Szene zu setzen verstand.

Herzog setzt mit AGUIRRE auch ein Zeichen gegen das egalisierte Bombastkino Hollywoods: Obwohl die Story kaum epischer sein könnte, gibt es so gut wie keine spektakuläre Panoramaaufnahmen oder große Schlachtengemälde. Die gelegentlichen Indianerangriffe sind kurz und fast unsichtbar. Der Dschungel wird nicht romantisiert, sondern als "realer Ort" gefilmt, wo hinter jedem Baum der Tod lauern kann, es dominieren verwackelte Handkameras, alles sieht hand-made aus und genau darin liegt auch die Authentizität des Films: Man ist mittendrin statt nur dabei. Dass dabei trotzdem großartige Naturaufnahmen entstehen ist in einer solchen Umgebung fast unvermeidlich, schließlich geht es ja auch um den Kampf zwischen Mensch und Natur - ein weiteres Lieblingsthema des Autorenfilmers.

Mit diesem Themenkomplex, seiner Bereitschaft für einen Film unglaubliche Strapazen auf sich zu nehmen und die Fähigkeiten eines jeden Beteiligten bis aufs Äußerste auszureizen, ist Herzog für mich einer der innovativsten Regisseure überhaupt. Fast schon im Kontrast dazu steht sein Inszenierungsstil, der sich auf lange Einstellungen stützt, die so manchem Mainstream-Kinogänger vielleicht langweilig erscheinen mögen. Mit der genialen Untermalung der ambient-artigen Synthiemusik von "Popol Vuh" (Florian Fricke) entsteht aber ein einzigartiges Erlebnis, das schließlich in der zum Klassiker avancierten Schlussszene gipfelt, wo Aguirre im Fiebertraum mit seiner bereits toten Mannschaft auf seinem zerstörten Floß den Fluss hinuntertreibt und einer Horde Affen (die Herzog übrigens am Flughafen geklaut hatte ...) seine Eroberungs- und Dynastiepläne verkündet (der Blick, als er den Affen wegwirft ist definitiv Oscar-reif!). Dabei dreht sich die Kamera zur psychedelischen Musik immer wieder um das Floß: Es gibt kein Weiterkommen mehr, alles dreht sich im Kreis. Gleichzeitig dreht sich die ganze Welt um ihn und er hält sich für den größten Herrscher aller Zeiten. Hier kommt wieder deutlich Herzogs zivilisationskritischer Ansatz durch: Der Imperialismus ist absurd, weil er versucht, die Natur zu bändigen und dem Menschen unterzuordnen, dabei ist der Mensch Teil der Natur und muss zwangsläufig an sich selbst zu Grunde gehen.

Fazit: Gott sei Dank hat sich das Scheitern von Aguirre und seinen Leuten nicht auch auf den Dreh des Films übertragen (wie so Manches andere), obwohl es zeitweise wohl so ausgesehen haben muss. AGUIRRE ist ganz bestimmt kein Streifen für einen entspannten Filmeabend mit ein paar Kumpels und 'nem Kasten Bier. Dafür bekommt der aufmerksame Betrachter ein großes Meisterwerk der Filmkunst zu Gesicht, das neben seinen tiefschürenden Interpretationen und der Spiegelung seiner eigenen Entstehung auch einfach als tragische Abenteuergeschichte "genossen" werden kann. Ein Film wie ein meditativer Trip, dessen Musik alleine schon so mitreißt, dass man noch Minuten nach dem "Finale" wie betäubt ist. Wohl einer der besten deutschen Filme überhaupt, unbedingt ansehen!

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