LA PASSION DE JEANNE D’ARC behandelt den Prozess gegen die spätere französische Nationalheldin und Heilige, bei dem sie der Ketzerei angeklagt wird, unter anderem, weil sie die Autorität der Kirche nicht anerkennt und sich nur vor Gott verantwortlich fühlt. Sie soll ihre Ansichten widerrufen, ansonsten droht ihr der Tod durch das Feuer. Aber weder die Androhung von Folter noch die Verwehrung einer Messe bringen sie dazu, erst angesichts des Scheiterhaufens gibt sie nach, widerruft aber das Geständnis wenig später wieder und wird hingerichtet.
Die Geschichte fusst auf der Überlieferung (die wurde allerdings sehr stark verkürzt, so dass alles in einen einzelnen Tag passt, was eigentlich Wochen gedauert hat), die Dialoge wurden teils direkt aus den Prozessakten übernommen. Der Film konzentriert sich auf die Glaubenszweifel der Heldin und das Leiden, welches aus der Behandlung durch die Kirchenvertreter erfolgt (wobei der Höhepunkt körperlicher Misshandlung – mal abgesehen von der Verbrennung – das Scheren des Kopfes darstellt; das Leiden gründet eher auf psychologischer Ebene). Die Aussage dreht sich um den „wahren“ und starken Glauben von Jeanne, die nur Gott und nicht die Vertreter der Kirche anerkennt (selbstverständlich sind die Kuttenträger davon nicht besonders angetan). Auffällig sind dabei die Parallelen zur Leidensgeschichte Jesu: Jeanne bezeichnet sich als Tochter Gottes, in einer Szene machen sich die Wächter über sie lustig und setzen ihr eine geflochtene Krone auf, etc. Die religiösen Inhalte stehen meiner Meinung nach allerdings nicht einmal so sehr im Vordergrund, mehr Beachtung wird dem dem psychischen Ringen und Konflikt der Hauptperson geschenkt. Die politische Komponente, welche beim historischen Prozess sicher mitgespielt hat, wird aussen vor gelassen.
Die Schauspieler erfüllen ihre Aufgabe mit Bravour: Maria Falconetti in der Titelrolle spielt sehr intensiv, mit oft weit aufgerissenen Augen das Opferlamm, teils in völliger Verzweiflung, teils geradezu in religiöser Verblendung. Auch die Ankläger sind hervorragend besetzt; alles Charakterköpfe, die zudem nicht einfach nur als böse dargestellt werden: Zum einen sind sie natürlich empört über dies ketzerischen Ansichten der Angeklagten und spuken Gift und Galle, andere schleimen sich manipulativ bei ihr ein, aber sie alle werden differenziert dargestellt und gegen Ende auch von Zweifeln geplagt; andere sympathisieren von Anfang an offen mit ihr, können aber nichts am Fortgang der Ereignisse ändern.
Dass die Charaktere so überzeugend und emotional packend rüber kommen, liegt aber nicht nur an der Kunst der Schauspieler: Zum einen hat man hier auf die ansonsten für Stummfilme übliche starke Schminkung verzichtet, so dass die Leute „natürlich“ wirken. Ausserdem bleibt die Kamera den Darstellern sehr nah auf den Fersen; die meiste Zeit über sehen wir Gesichter und Menschen in Grossaufnahme, so dass keine noch so winzige mimische und gestische Regung verborgen bleibt.
Auch sonst ist die Kameraführung ausgeklügelt: Es gibt so gut wie keine Totalen oder establishing shots und oft werden Personen „angeschnitten“, so dass eine klaustrophobische, sehr intime Stimmung entsteht; durch eine Vielzahl an kurzen, präzisen Schwenks und Fahrten wird aber dennoch eine unglaubliche visuelle Dynamik erreicht, die unter anderem auch der Tatsache entgegensteuert, dass wir es mit wenigen und unspektakulären, sehr schlichten Kulissen (was die Konzentration auf das Spiel der Darsteller unterstützt) zu tun haben. Dazu kommen noch ungewöhnliche Winkel und Perspektiven (die Kamera stellt sich manchmal sogar auf den Kopf), eine oft rasante Montage, beeindruckende Bildkompositionen, gewitzte Symbolik und die kunstvolle s/w-Fotografie. Alles in allem wirkt der Film durch diese furiose Art der Inszenierung und der Schauspielführung unglaublich modern; wäre er nicht stumm, könnte man manchmal glatt meinen, er sei erst gestern entstanden. Und die wahnsinnige Detailversessenheit, bei der jede einzelne Einstellung, jede Bewegung und jede Geste offensichtlich bis ins Letzte genau geplant ist, ringt mir riesigen Respekt ab. Für 1928 ist das eine geradezu unvergleichliche Leistung, gegen die auch heute noch kaum ein Film ankommt.
Schade ist allerdings, dass es sich um einen Stummfilm handelt: Aufgrund des Aufhängers ist das Ding sehr dialoglastig, so dass es viele Zwischentitel gibt. Hält dem visuellen Fluss natürlich auf, ausserdem hätte ich die wunderbaren Schauspieler gerne auch gehört. (Und dabei wollte Dreyer angeblich sogar eigentlich eine Tonfassung drehen, bloss kam die nötige Finanzierung nicht zustande. Ewig schade.)
Gesehen hab ich die restaurierte Version auf der Criterion Collection-DVD, die musikalisch unterlegt ist mit Richard Einhorns „Voices of Light“ von 1994, ein klassischer Score mit sakralen lateinischen Texten. Die Musik trägt manchmal vielleicht etwas dick auf, sorgt aber für Gänsehaut, unterstützt das Geschehen meist perfekt und trägt ihren eigenen Anteil an der Dynamik des Ganzen mit.
Fazit: LA PASSION DE JEANNE D’ARC ist ganz grosses Kino, seine visuelle Darstellung atemberaubend und die schauspielerische Darbietung genial; Richard Einhorns musikalische Unterfütterung sorgt für das Tüpfelchen auf dem „i“. Ein Film, der auch heute noch packt und keinen Vergleich zu scheuen braucht. Was Dreyer da geschafft hat, macht ihm so leicht kein anderer Regisseur nach.