„My Cadaver wants something from me – and I better figure out what it is before she kills me too!“
…aaahhh, solche Aussagen erfreuen das Herz eines jeden Horror-Fans – besonders, wenn diese im Rahmen von Situationen auftreten, die in keiner Weise irgendwelche Anflüge unfreiwilliger Komik mit sich bringen, sondern einfach nur eine unheilschwangere Stimmung erzeugen, unterstreichen oder charakterisieren. „Unrest“, einer der „8 Films to die for“ des (ersten) „After Dark Horror Festivals“, stellt genau so einen Fall dar: Regisseur Jason Todd Ipson schuf mit seinem ersten Abend-füllenden Spielfilm einen ernsten, atmosphärischen Genre-Beitrag, bei dessen Hauptschauplatz es sich um einen der gruseligsten realen Orte überhaupt handelt – einem kalten, sterilen Leichenschauhaus…
Im Vorfeld gehört die „Gross Anatomy Class” wohl zu den schlimmsten Albträumen der meisten angehenden Mediziner im Anfangsjahr ihres Studiums, denn in jenem Kurs geht es darum, aus erster Hand Erfahrungen im Umgang mit sowie über den Aufbau von menschlichen Körpern zu erlangen. Alison Blanchard (Corri English), welche aufgrund ihrer angespannten finanziellen Lage zunächst einmal ein kleines Zimmer direkt innerhalb des Lehrkrankenhauses zugeteilt erhalten hat, steht diese Erfahrung nun unmittelbar bevor: Unter der Leitung des erfahrenen Dr.Blackwell (Derrick O´Connor) werden die Teilnehmer in Vierergruppen aufgeteilt, deren Hauptaufgabe es in den nächsten Tagen sein wird, jeweils eine der Institution zur Verfügung gestellte Leiche zu sezieren. Beim ersten Anblick ihres „Forschungsobjekts“, einer jungen Frau, deren Haut zahlreiche (offenbar selbst zugefügte) Schnittwunden aufweist, wird Alison von ihren Empfindungen überwältigt – sie muss sich übergeben und sinkt bewusstlos zu Boden. Diese ungewollte Reaktion ist nicht sonderlich dienlich, den Respekt ihrer allesamt männlichen Partner – Brian (Scot Davis), Rick (Jay Jablonski) und Carlos (Joshua Alba) – zu gewinnen, doch sie reißt sich zusammen, versucht die Späße und Sticheleien ihrer Kommilitonen (soweit möglich) zu ignorieren. Trotzdem lässt sie das Gefühl nicht los, dass etwas nicht stimmt: Von „Norma“, so der neue Spitzname der Dahingeschiedenen, scheint eine unheimliche Präsenz auszugehen, was zwangsläufig allgemein als Unsinn abgestempelt wird – bis merkwürdige Dinge in ihrer Umgebung zu geschehen beginnen. Komische Geräusche und Vorahnungen führen schon bald zum Entdecken des ersten Opfers: Ricky´s Verlobte wird, kurz nachdem er ihr den Körper gezeigt hat, tot aufgefunden – ausgeblutet in einem Korridor der Einrichtung liegend. Sie soll nicht der einzige Todesfall bleiben, denn schon bald verlieren weitere Personen, die allesamt mit Norma in Kontakt kamen, unter merkwürdigen Umständen ihre Leben. Der rationale Blackwell schenkt Alison´s Annahmen bezüglich einer eventuell übernatürlichen Ursache selbstverständlich keinen Glauben – die Psychologin Dr.Saltz (Reb Fleming) entpuppt sich hingegen als eine weitaus interessiertere Zuhörerin. Denkbar, dass des Rätsels Lösung in der Identität und/oder Geschichte des Kadavers liegt, weshalb sie und Brian Nachforschungen in verschiedene Richtungen anstellen – allmählich fängt sich in Folge dessen an abzuzeichnen, dass (und warum) Norma´s Seele noch keinen Frieden finden konnte…
„Unrest“ erzählt eine größtenteils in einer Morgue angesiedelte Geister-Story: In meinen Augen eine geradezu perfekte Kombination, denn schon die Location, mitsamt aller Faktoren (wie die keimfreie Umgebung, der Formaldehyd-Geruch, die toten, zum „Zerlegen“ aufgereihten Körper etc), mutet von sich aus bereits extrem creepy an – die Hinzugabe einer übernatürlichen Komponente verstärkt diesen Effekt nur zusätzlich, zumal dies in einer weitestgehend subtilen Form geschah, also ohne einem gezielten Nutzen vordergründiger Schock-Effekte oder CGI-Einstellungen jeglicher Art. Es gelang Ipson, ein überzeugend authentisches Setting zu erschaffen, da er genau weiß, was er uns da präsentiert und somit wie die betreffenden Details auszusehen haben: Als ausgebildeter Chirurg durchlief er selbst alle „Med School“-Stationen, konnte seinen Akteuren demnach die korrekten Verhaltensweisen erklären und alles sehr nahe an der Realität in Szene setzen. Interessante Fakten finden Erwähnung – etwa dass in den USA pro Jahr mehr als 12.000 Körper der medizinischen Forschung zur Verfügung gestellt werden oder dass jene nicht aus der unmittelbaren Umgebung der erhaltenden Institution stammen dürfen, sondern mindestens 500 Meilen Entfernung die Gefahr verringern sollen, dass ein Student die betreffende Person eventuell (er-)kennen könnte. Nachstehende Tatsache bildet jedoch den eigentlichen Knaller: Ipson´s fachlicher Hintergrund ermöglichte es ihm, die Genehmigung zu erhalten, vorort in den Räumlichkeiten einer Klinik in Salt Lake City zu drehen – inklusive einem Einbinden der dort verwendeten Leichname! Natürlich nicht „Norma“, an der unsere Hauptprotagonisten herumschnippeln (jene ist eine Kreation der „Optic Nerve”-Schmiede), allerdings einige andere Exemplare, die ab und an zu sehen sind. Geschmacklos? Darüber lässt sich gewiss streiten. Ich sehe es nicht so, die meisten Zuschauer werden den feinen Unterschied ohnehin nicht merken – aber allein dieses Wissen markierte für mich das i-Tüpfelchen der sowieso überzeugend dichten Atmosphäre des Films.
Die Besetzung besteht nahezu ausschließlich aus unbekannten Gesichtern, welche passable Leistungen abliefern und insgesamt besser wegkommen als die meisten „gesichtslosen Opfer-Teens“ in artverwandten Werken. Corri English („Killer Pad“/„House of Fears“), welche mich permanent an Rachel Leigh Cook erinnerte, verkörpert Alison absolut perfekt: Sie ist charismatisch, sympathisch, süß und sieht (nicht nur in Unterwäsche) ziemlich attraktiv aus. Man nimmt ihr die innere Wandlung von einer atheistischen, nüchtern-realistischen Grundeinstellung hin zu einer Person, welche schon bald aufgrund der Umstände an paranormale Kräfte um sich herum zu glauben beginnt, sehr gut ab, weshalb man sich leicht in ihre Lage hineinversetzen kann und einem die Begebenheiten nicht egal sind. Scot Davis („the Ride“) spielt ihren „soon to be“-Freund Brian annehmbar, was gleichwohl für Jay Jablonski („Fashion Victim“) und Joshua Alba („the Dead Undead“) gilt. Rick versucht die ganze Sache humorvoll aufzulockern, was sich selbstverständlich nicht so prima mit einer unruhigen Seele verträgt, deren menschliche Hülle man in diesem Zusammenhang respektlos behandelt – ihn erwischt es dementsprechend am schlimmsten. Carlos ist ein spiritueller Mensch, weshalb er die Konsequenzen als erster der Gruppe vollends begreift – Joshua Alba mag zwar ein mäßiger Schauspieler sein, beweist so aber zumindest, dass er seiner Schwester auf diesem (qualitativen) Level dennoch ein ganzes Stück voraus ist. Derrick O´Connor könnten einige noch aus „End of Days“ oder „Deep Rising“ kennen – seine Auftritte als erfahrener, für die Ausbildung zuständiger Arzt erfüllen ihren Zweck, ohne tiefgreifende Eindrücke zu hinterlassen. Die Interaktionen zwischen den einzelnen Charakteren sind glaubwürdig, so dass selbst die aufblühende, nicht unbedingt reichhaltige Liebesbeziehung der zwei Leads nicht weiter negativ ins Gewicht fällt. In sich fassend kann ich mir vorstellen, dass eine schwächere Hauptdarstellerin dem Gesamteindruck stark geschadet hätte, denn Corri/Alison steht unentwegt im Mittelpunkt aller Geschehnisse und meistert diese Aufgabe ohne Tadel.
Das Skript aus der Feder von Ipson und Newcomer Chris Billett fügt etliche reizvolle Überlegungen und Ansätze (u.a. die Folgen einer gestörten Totenruhe oder was mit einer Seele nach dem Exitus passiert) auf inspirierte Weise in den Kontext ein – sie werden primär innerhalb der Dialoge thematisiert bzw dargelegt (also keine Flashbacks, aufklärende Expertenstimmen etc). Manche Gesprächszeilen muten geringfügig aufgesetzt an, besonders im Zuge der Diskussionen zwischen Alison und Dr.Saltz, nur gehören derartig empfundene Augenblicke zum Glück zu den Ausnahmen. Was ich als schade empfand, das war die zu oberflächlich erscheinende Backstory um eine aztekische Fruchtbarkeitsgöttin, deren Eigenschaft als „Sin-Eater“ die grausigen Ereignisse erst in Gang setzt. Die aufgeführten Zusammenhänge kamen mir, im Hinblick auf ihren Umfang, nicht reichhaltig genug vor – ferner wirkte die geographische Irritation, dass der Ursprung dieses Azteken-Fluches aus Brasilien stammen soll, der Plausibilität auf diesem Sektor etwas entgegen. Passend dazu entschied man sich für eine Musikuntermalung, die (u.a.) aus traditionellen Trommeln und Stammes-Sprachgesängen besteht – nur wird dieser Score (gerade gegen Ende) überreizt, wodurch der unheilvolle Effekt der Klänge verloren geht. Michael Fimognari´s Kameraarbeit verleiht dem Film einen der Stimmung angepassten Look, indem vornehmlich kühle, blasse Farbtöne Verwendung finden sowie die grobe Auflösung roh anmutende Bilder erzeugt. Leere, düstere, weitläufige Flure werden klassisch im Sinne des Genres in Szene gesetzt – außerordentlich gefiel mir in diesem Zusammenhang die Idee, die Lichter in den spät-nächtlichen Stunden auf Bewegungen reagieren zu lassen, um so Strom zu sparen, weshalb die umherlaufenden Personen zwar immer im Hellen sind, nur die anderen Abschnitte der Korridore in pechschwarzer Dunkelheit verbleiben, was gezwungenermaßen Spannung erzeugt, da man nie genau weiß, was in jenen Bereichen wohl lauert…
So sehr bei „Unrest“ auch die Rahmenbedingungen und handwerklichen Leistungen stimmen mögen, bleibt der Gesamteindruck letzten Endes im Mittelmaß stecken, was an verschiedenen gravierenden Faktoren liegt: Einige Logik-Patzer bzw arg unterentwickelte Handlungs-Elemente fallen negativ ins Auge (der Krankenhaus-Betrieb läuft erstaunlich normal weiter, obwohl ständig irgendwelche Leute sterben, ein angerissener Sub-Plot um einen ermittelnden Polizisten führt geradewegs ins Nichts etc), der Verlauf entfaltet sich im Prinzip erstaunlich linear, ganz ohne Twist oder einer schockierenden Offenbarung, was unglücklicherweise bewirkt, dass Anflüge von Vorhersehbarkeit aufkeimen. Parallel dazu tritt der Streifen im zentralen Mittelstück einfach zu beträchtlich auf der Stelle: Die Sequenz vor den Anfangs-Credits, welche übrigens nachträglich gedreht und eingefügt wurde, setzt genau den richtigen unheimlichen Ton, bevor die Geschichte im ersten Drittel sorgfältig eingeführt wird – bloß verliert sie nach knapp einer halben Stunde zunehmend an Kraft und lässt, im Einklang mit dem relativ gemächlichen Tempo, die eingangs gewonnenen Pluspunkte weitestgehend verblassen. Das Finale hingegen ist schlichtweg brillant, selbst wenn der Realismus auf der Strecke bleibt – es spielt nämlich innerhalb eines zwei Meter hohen, mit Formaldehyd, diversen Körpern und amputieren Gliedmaßen gefüllten Kadaver-Tanks, in welchen unsere beiden Leads gar hineintauchen müssen, während um sie herum das totale Chaos ausbricht…hell-yes! Diese 10 Minuten haben mich begeistert, gepackt und aufgerüttelt, so dass ich, erfüllt von morbider Faszination, gebannt auf die Mattscheibe starrte – allein dafür hat sich das Anschauen definitiv gelohnt! Zu meinem Bedauern folgt darauf noch ein 08/15-Ausklang, welcher meine abschließende, durchschnittliche Wertung leider endgültig festigte – angesichts der Tatsache, dass die Verantwortlichen weder auf verbrauchte Klischees noch formelhafte (Sound- oder Editing-) Jump-Scares zurückgreifen mussten, um einen funktionierenden Horror-Film zu erschaffen, eine echte Schande.
Das gesamte Setting vermittelt den Eindruck wahrer Authentizität, die Atmosphäre ist zum Schneiden dicht – nur trüben Tempo-Probleme und andere (kleinere wie größere) Makel das Gesamtbild. Eventuell wäre das Projekt als ein „Masters of Horror“-Beitrag besser aufgehoben gewesen. Regisseur, Co-Autor und Co-Produzent Jason Todd Ipson lieferte ein interessantes Debüt ab, das bewusst auf die zur Zeit gängigen Einflüsse (wie Videoclip-Optik oder blutige Grausamkeiten) verzichtet sowie sein zweifellos vorhandenes Talent offenkundig zur Schau stellt. Mal sehen, was er uns als nächstes vorlegen wird – dann hoffentlich mit einem ausgewogeneren, substanzhaltigeren Drehbuch als Basis…
„5 von 10“