Review

-- Shake and bake --

Wer hier einen konventionellen Historienfilm mit pflichtbewusster Abarbeitung geschichtlicher Ereignisse erwartet, wird das Filmtheater sicherlich mit einem Gefühl der Enttäuschung verlassen, denn Sofia Coppola unterwandert alle gängigen Genrekonventionen und serviert mit “Marie-Antoinette” eine derart schrille Pink Punk Extravaganza, dass manch konservativem Bildungsbürger sein Stock noch einige Zentimeter mehr hineinrutschen dürfte. Von der Gestaltung der Titelsequenz, über die Musikauswahl, die moderne Bilddramaturgie bis hin zu Maries kontemporärer amerikanischer Sprechweise sowie ihrem Girlie-Habitus schmeißt Frau Coppola alle Erwartungen des Zuschauers schlagartig über Board. Ferner blendet die Regisseurin alles historisch Relevante einfach aus -- Politik, Not, Hunger, Revolution -- beziehungsweise lässt es zu Randerscheinungen ihrer Erzählung verkommen und konzentriert sich anstatt dessen voll und ganz auf das Heiteitei am Versailler Hofe und die Befindlichkeiten der exzentrischen Königin. Eine Banalisierung? Im Gegenteil. Coppolas Umsturz der üblichen Historienfilm-Schemata hat seine guten Gründe.

Gerade die Einbeziehung moderner Elemente und Stilmittel ermöglicht diesem an Originalschauplätzen gedrehten Kostümfilm Paralellen zu unserer heutigen Zeit zu ziehen und einen Kommentar zu gewissen Phänomenen unserer Pop-Kultur abzugeben. Und freilich ist diese Marie Antoinette in Sofia Coppolas Interpretation nichts weiter als eine spät-barocke Nikki Hilton mit Hündchen auf dem Arm als lebendes Accessoir, all ihren Oberflächlichkeiten, grotesken Eskapaden, ihrer geistigen Unreife sowie der Hassliebe, die ihr seitens der Öffentlichkeit entgegenschlägt. Zwar wird sie von den Menschen nicht gemocht und man tuschelt hinter ihrem Rücken, ja, man degradiert sie gedanklich gar zu einer bloßen Gebährmaschine (interessant auch die im Filmverlauf mehrfach zweideutig gebrauchten Vokabeln “produce” und “product”). Gleichwohl aber ist man ihrbezüglich sensationslüstern und möchte keine Facette dieser Person verpassen. Und so versammelt man sich allmorgendlich in großen Gruppen an ihrem Bett, beobachtet sie beim Aufstehen, beim ehelichen Beischlaf, beim Essen, geradezu bei allem was sie tut. Eigentlich vergleichbar mit uns heute, wenn wie wir abends vor den RTL II News sitzen, um uns den neuesten banalen Scheiß aus dem Leben von “Bennifer”, Angelina Jolie und den Hilton-Schwestern auftischen zu lassen. Zwar finden wir sowohl die RTL II News als auch die in dieser Sendung “betratschte” B-Prominenz scheußlich, aber dennoch saugen wir - heimlich dafür dankbar - jede banale, halbwahre Information über das Leben dieser Leute auf. Weil wir gewisse Prominente als Reality-Entertainer begreifen, die uns mit den imbezilen Eskapaden ihres Privatleben unterhalten sollen? Weil wir sensationslüstern, schadenfroh und simpel zu unterhalten sind? Weil wir jemanden brauchen, über den wir mit Freunden und Bekannten tratschen können? Starke Paralellen zwischen Coppolas “Marie-Antoinette” und gewissen Phänomenen der heutigen Popkultur sind also nicht von der Hand zu weisen. Daher ist es ein cleverer Schachzug der Regisseurin, ihren historischen Film mit modernen, pop-kulturellen Elementen “aufzufrischen”, um eben diese Paralellen überhaupt erst aufbauen zu können.

Ein weiterer cleverer Schachzug ist die starke Reduzierung der filmischen Handlung auf die Befindlichkeiten der Diva-Queen und die daraus resultierende Ausblendung des notleidenden französischen Volkes und der Revolution. Der von manchen Kritikern beobachteten Banalisierung kann ich allerdings nicht folgen, ist Coppolas Darstellung doch von zwingender Konsequenz geprägt: Das junge Königspaar lebt quasi in einem Luftschloss, führt einen extravaganten, fast schon unwirklichen Lebensstil abseits der Welt “da draußen’. Sie sind “detached” von ihrem Volke und dessen Problemen, sie sind “detached” von sozialen und politischen Ereignissen (die ihnen nur kurz via Hörensagen zugetragen werden). Sie haben nicht das geringste Bild von den Ereignissen da draußen und den Funktionsweisen der von ihnen (quasi lapidar und nur nebenbei zwischen Müßiggang und dem Spielen höfischer Spielchen) regierten französischen Gesellschaft -- verlassen die Beiden doch ihren Versailler Hof so gut wie nie. Sie sehen nicht (und wollen auch gar nicht sehen), was außerhalb ihres Elfenbeintürmchens vor sich geht, weil sie zu sehr mit sich selbst und ihrem extravaganten Treiben beschäftigt sind. Folglich sehen wir Zuschauer auch nichts vom Frankreich der damaligen Zeit. Umso härter fällt dann natürlich das schlagartige Zerplatzen der unwirklichen Seifenblase aus, als gegen Ende des Films plötzlich der Lynchmob bis nach Versailles vordringt und das unreife Königspaar sich nicht mehr länger vor den Problemen der wahren Welt verschließen kann. Erst bei ihrer Fahrt zur Guillotine zeigen die Gesichter von Kirsten Dunst und Jason Schwartzman, dass Marie und Louis endlich aus ihrer träumerischen Scheinexistenz erwacht sind, ja, regelrecht hochgeschreckt sind und endlich begriffen haben. Doch da ist es zu spät. Nebenbei bemerkt ist es auch sehr gelungen, wie nach den verträumten Aufnahmen in der Filmmitte am Ende plötzlich dunkle oder verblasste Farben (z. B. bei der Kutschfahrt zur Guillotine im Morgengrauen) dominieren, was das plötzliche Zerplatzen der königlichen Seifenblase/des königlichen Traums auch filmisch auf brillante Weise ausdrückt. Dies alles gefiel mir in seiner unausweichlichen Konsequenz sehr, weshalb ich es als intelligentes Stilmittel erachte, dass Frau Coppola den Fokus ihrer Erzählung derart stark auf das scheinbar “Banale”, auf die Unreife-Mädchen-Befindlichkeiten der Protagonistin legt.

“Marie-Antoinette” verfolgt in erster Linie aber natürlich den Ansatz, uns eine einzelne Person menschlich näher zu bringen: Das Mädchen im goldenen Käfig; ein Motiv, welches sich von “Lick the Star” über “The Virgin Suicides” bis hin zu “Lost in Translation” durch sämtliche Werke der Sofia Coppola zieht. Weil diese Tochter eines Meisterregisseurs sich früher selbst wie ein Mädchen im goldenen Käfig gefühlt hat und dieses vermeintliche Trauma nun anhand der Hauptprotagonistinnen ihrer Filme abarbeitet? Mag sein, doch da habe ich kein Problem mit; finde Frau Coppola eher auf durchaus sympathische Weise beknackt (oder wie Truman Copote seine Holly Holightly einst beschrieb: “She’s a phony, but a real phony.”). Um dem Zuschauer eine filmische Figur menschlich näher zu bringen, muss man sie mit irgendwelchen Attributen ausstatten, die eine Verbindung zwischen Zuschauern und dieser Figur ermöglichen. Das weiß auch Frau Coppola, weshalb es durchaus Sinn macht, Marie-Antoinette hier mit modernem amerikanischen Akzent sprechen zu lassen, ihr einen uns begreiflichen Habitus zu verpassen und sie auf exzessive Shopping- und Amusement-Touren zu schicken wie eine beliebige Girlie-Protagonistin in einem aktuellen Hollywood Chick Flick. Coppolas modernisierte, geschichtsrevisionistische Inszenierung der Person Marie-Antoinette ermöglicht es uns erst, diese Person menschlich zu verstehen, ihre Befindlichkeiten zu begreifen. Wider den verstaubten Historienfilmkonventionen inszeniert die Regisseurin hier eine Marie-Antoinette für das 21. Jahrhundert. Das hat mir sehr gefallen, weil es gleichermaßen sinnvoll und cool ist, allerdings ohne dass dem Ganzen eine “Mein Geschichtsfilm soll unbedingt andersartig sein”-Attitüde oder gar ein schaler Beigeschmack des bloßen Selbstzweckes anhaften würde. Nein, das nun wirklich nicht.

Sofia Coppolas Vision von Marie-Antoinette ist die eines unreifen Mädchens, welches einer Welt ausgesetzt wird, in der sie wie ein Fremdkörper wirkt. Alles, was sie ausmacht, muss sie ablegen (geniale Szene: der Gang durch das Zelt und das Ablegen der Kleider), sie muss sich unterordnen, wird letztendlich zum Produkt ihrer Umwelt. Doch nicht nur Sympathie und Mitleid hat Sofia Coppola für ihre Hauptprotagonistin übrig: Es gibt Szenen, in denen die Regisseurin ihr Unverständnis ausdrückt, sogar Szenen des Lustigmachens über Marie. Die junge Königin ist eben nicht nur ein Produkt ihrer Umwelt, sie ist auch eine auf sich selbst fixierte, oberflächliche Person, die keinerlei Anstrengungen unternimmt, über ihren eigenen Horizont zu schauen. Diese ambivalente Darstellung, diese Mischung aus Szenen des Mitleids und Szenen der Kritik gefiel mir ausgezeichnet.

Vieles an “Marie-Antoinette” ist typisch Frau Coppola (auch wenn dieser Film niemals die emotionale Wucht und Relevanz von “Lost in Translation” oder die atmosphärische Dichte von “The Virgin Suicides” erreicht): Wieder einmal offenbart die junge Regisseurin und Drehbuchautorin ihr unvergleichliches Talent für das Kreieren von Stimmungen. Man kann sich in jede einzelne Szene einfühlen. Ob nun die verträumten Shots in der Filmmitte, das hektische und befremdliche Treiben am Hofe, die erdrückenden Blicke die Marie durchbohren, die Monotonie des höfischen Lebens, die nerven-zerrende Rekapitulation gewisser Rituale, der auf Marie lastende starke Druck, der langweilig gewordene Müßiggang im letzten Filmdrittel (wo der Film sich gewollt (!) im Kreise dreht und scheinbar nicht von der Stelle kommt), das kalte Zerplatzen der Scheinwelt am Ende -- alles kann man als Zuschauer nachfühlen. Frau Coppola inszeniert wieder einmal meisterlich. Sie hat diesen bestimmten Blick. Sie zeigt mir die Dinge so, wie es mir gefällig ist. Ich mag ihren Stil, ihre Bilder, ihre Erzählweise. Weil ich leicht einen Zugang zu ihren Werken bekomme.

Besonders hervorheben möchte ich noch den krassen, teil wirklich bitter-bösen Humor in der ersten Filmhälfte.

Manche mögen “Marie-Antoinette” banal und exzentrisch und formverliebt finden. Aber ich fühlte mich bestens unterhalten und noch viel mehr. Sofia Coppola hat mich mal wieder voll erwischt. 


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