Die Themen, die Alejandro Gonzalez Inarritus "Babel" anschneidet, sind mannigfaltig: Fremdenangst und Vorurteile, amerikanische Ausländerpolitik, Anonymität in der Großstadt, Schuld und Sühne, Ursache und Wirkung....die Liste ließe sich sicherlich noch um einige Punkte ergänzen. Doch "Babel" verhebt sich an der Fülle seiner Aussagen, die der Film so gern treffen möchte. Einzelne Thematiken werden nur oberflächlich gestreift.
In dem Gefühlskonglomerat der bedauernswerten Figuren - die allesamt von guten bis sehr guten Schauspielern gemimt werden - geht leider auch die Mär vom Schmetterlingseffekt flöten. Nur zwei Handlungstränge sind auch wirklich miteinander verknüpft: Die Verkettung unglücklicher Umstände, die das Schicksal der zwei marokkanischen Jungs und des US-Touristenpaares (Brad Pitt und Cate Blanchett) verknüpft, ist tragisch und hat durch aus Potenzial. Aber wo ist den der Sturm, den der Flügelschlag des Schmetterlings auslösen soll? Von den belasteten Beziehungen zwischen den USA, die der Tat einen terroristischen Hintergrund beimessen, und Marokko, erfährt der Zuschauer nur am Rande.
Oder soll der Fakt, dass die mexikanische Haushälterin des verzweifelt in Marakko festsitzenden Paares, deren Kinder jetzt mit zur Hochzeit ihres Sohnes nach Mexiko müssen und Probleme bei der Rückreise bekommen, einen Sturm darstellen? Klar, diese Episode endet beinahe noch tragischer als die vom Schuß in der nordafrikanischen Einöde (auch wenn die Abschiebung der Haushälterin an sich schon tragisch genug ist), aber irgendwie ist das, was wir zu sehen bekommen, mehr eine Mischung aus persönlichem Schicksal und eigenverantwortlicher Dummheit als denn eine zwingende Folge aus den Ereignissen in Nordafrika. Schließlich hätte die Haushälterin die Kinder bei Freunden des Paares oder einer Tagesmutter lassen können, stattdessen fragt sie nur bei ihren mexikanischen Landsleuten nach. Auch blöd, wichtige Dokumente, die Bestätigung ihrer Aufsichtspflicht für die Kinder nicht mit sich zu führen - was aber der Umstand, dass sie illegal in den USA beschäftigt ist, erklären dürfte. Die größte Dummheit ist allerdings, dass sie sich von ihrem stinkbesoffenen Neffen über die Grenze zurück eskortieren lassen will...Klingt doch alles irgendwie sehr arg konstruiert, das Ganze...
Noch aufgesetzter wirkt die Japan-Episode, die den letzten Baustein des Puzzles liefern soll. Die Auflösung verursacht zwar noch ein kleines, nachdenkliches Kopfschütteln, aber irgendwie beschleicht einem das Gefühl, dass diese Episode nicht mehr als nur bloßes Beiwerk gewesen ist. Japan ist zwar mit den Ereignissen in Marakko verknüpft, behandelt wird aber im Wesentlichen nur die Geschichte eines taubstummen Mädchens auf der Suche nach Geborgeheit und dem ersten Mal. An sich eine schöne Geschichte, zumal die Episode technisch grandios in Szene gesetzt wurde (Stichwort: Perspektive einer Taubstummen), aber irgendwie schrammt das Ganze doch am Thema bzw. Plot vorbei.
Es gibt also eine Reihe von Unstimmigkeiten, die "Babel" das vorschnell vergebene Miesterwerk-Prädikat verwehren. An der Machart des Streifens selbst gibt es indes kaum etwas auszusetzen; schöne Bilder, stimmungsvolle und dezente Musik und gute Schauspieler erreichen zumindest in technischer Hinsicht Meisterwerk-Niveau. Doch die Komposition der vier Episoden ist keineswegs so raffiniert gewählt, wie immer behauptet. Hinzu kommt etwas Füllmaterial, nicht unbedingt, weil der Film eine sehr bedächtige Erzählweise an den Tag legt, sondern weil es schlichtweg Szenen gibt, die hinsichtlicht des Plots überflüssig erscheinen (siehe Japan-Episode). Einige der 144 Minuten ziehen sich enorm.
Fazit: Ambitionierter, aber doch etwas überschätzter Film. Der gute Wille ist da, die gut gemeinten und nachdenklich stimmenden Aussagen ebenso, doch "Babel" scheitert an seinem zu sehr konstruierten Wesen. 6/10 Punkte