In dem kleinen Örtchen Hainburg im Badischen geht das Grauen um: Ein Mörder, der in nebligen Nächten einsamen Spaziergängern hinterherschleicht und diese kaltblütig mit einem Messer tötet. Die Kriminalpolizei in Gestalt von Kommissar Hauser tappt vollkommen im Dunklen, denn der einschlägig vorbestrafte Komarek hat ein wasserdichtes Alibi. Was aber Hauser nicht daran hindert, diesen erneut unter dem gleichen Tatverdacht festzunehmen, weil das Alibi soll doch bitteschön endlich widerrufen werden! Nur ganz allmählich realisiert die Dampfwalze Hauser, dass in dem beschaulichen Ort noch ganz andere Dinge passieren: Rund um die Clique der Oberprimaner Heinz und Franziska hat es Vorkommnisse, die zwar eine Mordkommission normalerweise eigentlich nicht interessieren, aber könnten die Aufsässigkeiten der Jugendlichen nicht vielleicht doch mit den Morden in Zusammenhang stehen?
Die menschliche Dampfwalze Hauser habe ich den Kommissar genannt, denn mit dem Einfühlungsvermögen einer Dampfwalze brettert er über Alibis, mögliche Tatverdächtige und Spurensicherungen hinweg als ob es kein Morgen gibt. Da fällt das Messer dem Mörder aus der Hand, direkt vor die Füße einer Kriminalassistentin, aber eine Untersuchung auf Fingerabdrücke? Pustekuchen! Viel wichtiger ist es, diese Assistentin nach Hause zu schicken, damit sie ihr Leben nicht mehr als Lockvogel aufs Spiel setzen muss. Ein psychisch nicht ganz vollwertiger Arbeitsloser der bei Mama lebt und Groschenromane liest? Schuldig! Ein Vorbestrafter mit Alibi? Schuldig!! Ein Verdächtiger im Verhör? Dem muss gefühlt hundertmal ein „Gestehe“ ins Ohr geblasen werden, bis er dann entnervt aufgibt und gesteht. Polizeimethoden wie im Frankreich der 70er-Jahre. Oder im Deutschland der 30er-Jahre – Bruno Lüdke anyone?
Das war die nicht so gute Nachricht. Als Krimi auf Edgar Wallace-Spuren taugt NEBELMÖRDER nur sehr bedingt, gar zu schlicht ist die Kriminalhandlung und gar zu einfältig sind die Ermittler, die das Ergebnis auf Teufel komm raus an ihre Vermutungen anpassen möchten, von der oft etwas sprunghaft erzählten Geschichte gleich ganz zu schweigen.
Aber da ist noch ein Handlungsstrang rund um die Jugendlichen, und der hat es gehörig in sich. Heinz und Franziska sind ein beliebtes und bewundertes Paar, und zusammen mit Ulla, Willi, Robert und Bert bilden sie eine Clique, die hohes Ansehen an der Schule genießt. Roberts Vater hat ihm die alte Scheune zur Disco umgebaut (quasi zum Beat-Schuppen, höhö), und da trifft man sich regelmäßig zum Tanzen und Trinken. Na ja, klar, und natürlich auch zum Schmusen. Erwin, der Klassenprimus, passt da gar nicht rein. Erwin ist korrekt, Erwin ist mürrisch, Erwin ist misogyn, und Erwin findet das neunmalkluge Geschwätz von Heinz sichtlich nervig, und deswegen bekommt Erwin auch immer wieder Stunk mit der Gruppe. Als Erwin das Wissen, dass Heinz während der Tatzeit eines Mordes ein Loch von einer halben Stunde in seinem Alibi hat, an die Polizei weitergibt, reagiert die Clique auf eine Art und Weise, die mit Klassenkeile nichts mehr zu tun hat. Eher mit Lynchjustiz.
Und dieser Handlungsstrang, der macht den eigentlichen Kern des Films aus. Hier die beliebten und gutaussehenden Teenager, dort der Außenseiter und Watschenmann, dessen einziger Freund ein Arbeitsloser ist, der geistig nicht so hundertprozentig auf der Höhe ist. Die Unterprivilegierten halten halt zusammen, aber die Bessergestellten eben auch. Der Arbeitslose liest Groschenromane! Mein Gott, das geht ja gar nicht!! Wie kann man nur?! Die Meinung, dass dem Mann alleine schon aus diesem Grund absolut jedes Verbrechen zuzutrauen ist, teilen nicht nur die Teenager, sondern auch die Polizisten. Und wahrscheinlich auch der Rest der Gesellschaft: Mein Vater, der ab den frühen 60er-Jahren in einer Bank arbeitete, war nach Erscheinen damals an den PERRY RHODAN-Heften sehr interessiert, traute sich aber nicht diese Hefte am Kiosk zu kaufen. Es hätte ihn ja jemand dabei sehen können …
Filme wie IL RAGAZZI DEL MASSACRO kommen einem bei dieser Handlung in Erinnerung, und ein Begriff wie Gruppenzwang bekommt da eine, durchaus bekannte, Dynamik, die erschauern lässt, erst recht 19 Jahre nach Kriegsende. Ich bin sicher, dass Regisseur Eugen York dies gar nicht so recht beabsichtigt hat, meine persönliche Meinung über den Herrn Regisseur ist nicht wirklich die Beste. Aber beim NEBELMÖRDER ist dieser Teil der deutlich starke und fesselnde Teil –Die Psychogramme von Jugendlichen, die alle aus gutem Hause kommen und denken, sie können sich alles erlauben, vor allem gegen die „Anderen“. Denjenigen, die das Aufspießen von Maikäfern vielleicht nicht so lustig finden …
Die Krimihandlung ist nicht unspannend, trotz ihrer Poltrigkeit, aber diese „Nebenhandlung“ ist ein starker und packender Thriller mit Blicken in Abgründe, die man eigentlich gar nicht sehen möchte. NEBELMÖRDER ist absolut sehenswert, vor allem wegen dieses psychologischen Teils, und wenn man sich dann noch von dem Krimi ein wenig mitreißen lässt, dann kann eigentlich nicht mehr viel schiefgehen …