So, nach etlichen Umbesetzungen hat die „X-Men“ – Franchise also doch zu einem zufriedenstellenden Abschluss gefunden, dem man nach den vielen Querelen schon mit reichlich Skepsis entgegenblicken musste.
Weil 20th Century Fox Bryan Singer, der mit den ersten beiden Filmen der Reihe die perfekte Ausgewogenheit zwischen actionreicher Kurzweil und nachdenklichen Messages fand, für den dritten Teil so lange zappeln ließ, bis er frustriert für Warners „Superman Returns” unterschrieb und die Exekutiven von 20th Century Fox schließlich nicht darauf warten wollten, bis Singer den bis dato teuersten Film aller Zeiten realisiert hatte, verpflichteten sie ausgerechnet Brett Ratner („Rush Hour“, „Red Dragon“), der wiederum das Superman-Projekt verlassen hatte.
Ihn auf den Regiestuhl zu verfrachten war insofern ein geschickter Schachzug, weil der Filmemacher keinen eigenen Stil besetzt, außer den anderer zu kopieren. Und genau das macht er bei „X-Men: The Last Stand“: Er kopiert Singer – aber ohne dessen Feingefühl für die Figuren.
Singer, der gleich die halbe Crew der beiden Vorgänger mitnahm, weswegen der hier besprochene Abschluss fast komplett mit einer anderen Truppe realisiert wurde, fehlt an allen Ecken und Enden. Denn letztlich ist daraus nur eine temporeiche, actionreiche Effektorgie geworden, der die Seele abhanden gekommen ist. Ein Umstand. Der Singer als Drehbuchautor und Regisseur der ersten beiden Abenteuer auszeichnete.
Nichtsdestotrotz ist es ein solides Franchise-Finale geworden – wenn auch der schlechteste Teil der Reihe. Insofern hat Ratner auftragsgemäß seine Sache also ordentlich gemacht, aber auch nicht mehr. Kollege Singer hätte diese Geschichte vermutlich episch in 2,5 Stunden erzählt, wesentlich reifer konstruiert und dabei jeder wichtigen Figur ihre Zeit gewidmet, aber man muss sich nun damit zufrieden geben, was man bekommt.
Und das ist nicht wenig. Denn die Story ist verzwickt und sie lässt einige Mutanten über die Klinge springen, mit deren Abschied man nicht rechnet – auch wirklich liebgewonnene. Nur leider vermag weder Ratner noch das maximal durchschnittlich begabte Autorengespann Simon Kinberg („xXx: State of the Union“, „Mr. & Mrs. Smith“) / Zak Penn („Behind Enemy Lines”, „Elektra”) jemals so etwas wie Leidenschaft für die Comicvorlage zu entwickeln.
Als Fans der X-men outen sie sich wirklich nicht gerade und so werden hier Charaktere gnadenlos und unspektakulär ausradiert, ohne dass großartig mit ihrem Schicksal gehadert wird und das verärgert einen, wenn man bereits zwei Filme zusammen mit diesen gescholtenen Helden durch Dick und Dünn ging.
Brett Ratner ist also weniger an seinen Figuren gelegen. Er will es krachen lassen und da spielt ihm die natürlich das Drehbuch in die Hände:
Ein Pharmakonzern hat aus dem jungen Mutanten Leech (Cameron Bright, „Running Scared“, „Ultraviolet“) ein Serum gewonnen, dass die Mutationen für immer unterdrücken kann. Sie nennen es die Heilung.
Innerhalb der Mutanten-Gemeinde wird diese „Medizin“ zwiespältig aufgenommen. Die einen sehen sie in Aussicht auf ein normales Leben als ein Geschenk und die anderen als Bedrohung, die sie ihrer Natur berauben will. Der ideale Nährboden für Magneto (Ian McKellen, „Apt Pupil“, „The Lord of the Rings“), um eine Revolution zu starten, eine Armee zu organisieren und der Menschheit den Krieg zu erklären.
Professor Charles Xavier entdeckt die drohende Gefahr erst reichlich spät, sind er und seine Vertrauten doch sehr mit der Rückkehr von Jean Grey (in ihren beiden Momenten richtig beeindruckend: Famke Janssen, „Deep Rising“, „Hide and Seek“), die nun von ihrem unterbewussten Ich, der hochaggressiven Phoenix gesteuert wird, beschäftigt. Als mächtigste Mutantin überhaupt droht sie außer Kontrolle und als Werkzeug in den Händen von Magneto die Nemesis der Menschheit zu werden.
Das Tempo ist also verdammt hoch und großartige Pausen gönnt Ratner dem Zuschauer auch nicht, weil er sich ganz schön sputen muss, um die Geschichte in 100 Minuten zuende zu erzählen.
Dabei bleibt viel unterentwickelt oder einfach auf der Strecke. Der überflüssige Angel (Ben Foster, „The Punisher“, „Hostage“) erhält nur so viele Szenen wie notwendig, die interessante Rolle des politisch aktiven Beast (Kelsey Grammer, „15 Minutes“, „Even Money“) wäre ausbaufähig und der Teen-Nachwuchs (Rogue, Iceman, Pyro) wird auf ein paar alibihaft anmutende Szenen reduziert, in denen sie sich schnell mit den bekannten Problemen herumschlagen müssen. Andere werden gleich ganz verheizt (u.a. Mystique).
Besser erwischt es neben den beiden Anführern Magneto und Professor Xavier da auch nur Storm, weil Halle Berry („Monster's Ball“, „Catwoman“) ihre Rolle in einem wichtigeren Kontext haben wollte und tatsächlich ungeahnte Leader-Qualitäten entwickelt, was man von Wolverine (Hugh Jackman, „Swordfish“, „Van Helsing“) weniger sagen kann. Der ist zwar immer noch die coolste Sau, die neben dem Punisher das Marvel-Universum durchstreift, leidet aber merklich unter seiner Beziehung zu der sich verändernden Jean Grey und hat deswegen weniger Oneliner auf den Lippen. Sein Humor passt dennoch jedes Mal wie die Faust aufs Auge. Der geplante Spin-Off darf kommen. Trotzdem schade, dass alle Beteiligten, bis auf Phoenix, in ihrem Stadium verharren ohne sich weiterzuentwickeln.
Zielstrebig marschiert „X-Men: The Last Stand“ dabei auf den finalen Konflikt zu, der in San Francisco, genauer auf Alcatraz stattfinden soll, wo Leech, den Magneto töten will, versteckt wird. Phoenix kommt bis dahin nur einmal zum Einsatz und hält sich auch im Finale vornehm zurück, was letztlich auch etwas verwundert.
Auf dem Weg dorthin setzt sich der Film vornehmlich aus Actionbombast zusammen, dem man das stattliche Budget von 150 Millionen Dollar schon ansieht. Insbesondere das Finale, in dem dann Golden Gate Bridge aus den Verankerungen gerissen und umfunktioniert wird, sieht sehr imposant aus. Dasselbe gilt auch für den Überfall eines Fahrzeugkonvois durch Magneto. Ratner kleckert nicht, sondern klotzt und so sehr seinen Bildern das Einmalige fehlt, es beeindruckt schon, wenn Wellen von Mutanten auf die Soldaten, bewaffnet mit Plastikgewehren und Serumgeschossen, zurennen. Audiovisuell also betäubend volle Pulle ohne dass ein begnadeter Kameramann wie Dante Spinotti gefordert wird. Nahkämpfe, Explosionen, Mutanten-Fähigkeiten in Aktion und ringsherum das regierende Chaos, weil der Kampf nun so oder so entschieden werden muss.
So ganz zufrieden kann man mit „X-Men: The Last Stand“ also letztlich nicht sein. Ich vermisste doch stark das zu spürende Herzblut der Verantwortlichen hinter diesem Projekt. Es ist immer noch einordentlicher Film dabei herausgekommen, aber nichts, was sich mehr als das Prädikat Sommerblockbuster verdienen würde und das ist insofern schade, weil die beiden Vorgänger so viel mehr waren.
Persönliche Probleme, die das Mutantensein mit sich bringen, werden auf ein Minimum zurückgefahren und auch die politischen Hintergründe hätten gern mehr Erwähnung bedurft, ist der Präsident doch leider nur in ganz wenigen Momenten präsent. Selbst charismatischere Charaktere wie Professor Xavier, Magneto und natürlich Wolverine verblassen unter Ratner, während sie unter Singer noch so sorgfältig aufgebaut wurden. Dessen gefühlvoller Umgang mit Figuren, die aufgrund ihrer Andersartigkeit von der Gesellschaft ausgeschlossen worden sind und nun eine neue Gemeinschaft suchten, die sie bei den X-Men auch meist fanden, war ohnehin ein Gewinn, den Ratner nie vorhatte fortzusetzen.
Fazit:
„X-Men: The Last Stand“ ist ziemlich teures, oberflächliches und leider auch nur durchschnittlich spannendes Bombastkino geworden, dem man sein stattliches Budget insbesondere im Finale auch schon deutlich ansieht und mich angesichts Brett Ratners auf dem Regiestuhl zufrieden zurücklässt. Ich hatte es mir schlimmer ausgemalt und einen so konsequenten Umgang mit den Figuren gar nicht erwartet.
Zwar kommt dabei nur ein Schaulaufen von Mutanten (u.a. auch Vinnie Jones als Juggernaut) mit einer Maximalzahl von Kämpfen und schwachen Dialogen heraus, das sein Potential nie ausschöpft, obwohl einige bekannte Gesichter eliminiert werden, aber zumindest für Kurzweiligkeit ist immerhin gesorgt. Dafür spielen die vorher unterschwellig gepflegten Themen wie Rassismus, Eigenverantwortung, Toleranz und Diskriminierung keine Rolle mehr und dienen nur noch der Prämisse selbst.
Leidenschaft und Emotionen, unter Singer noch ein wichtiger Bestandteil, bleiben zugunsten einer simplen Dramaturgie und selbstverliebter Effektschau ebenfalls auf der Strecke. Die Situationskomik passt soweit auch. Ratner ist sich mit diesem Film treu geblieben. Immerhin etwas, aber ein guter Regisseur wird aus ihm nicht mehr. Um den tollen Cast ist es auch deswegen schade.
P.S.: Bis nach dem Abspann sitzen bleiben!