Es gibt Filme, die sind wie Momentaufnahmen - sie fangen mitten in einem Geschehen an und enden ebenso unvermittelt. Der Moment, den sie erzählen, ist meist ein Kulminationspunkt - entweder eine dramatische Wendung oder eine Explosion, die sich schon lange angedeutet hat. Dem Betrachter bleiben die vorhergehenden Ereignisse verborgen, ebenso lernt er die Protagonisten nur durch ihr Verhalten kennen. Niemand macht sich die Mühe, Hintergründe zu erklären und irgendwelche Zusammenhänge herzustellen. Erst wenn der Film in eine unbekannte Zukunft abbiegt, hat man ein vollständiges Bild der Situation.
Eine solches Storytelling hat einen hohen Reiz, denn es erfordert vom Betrachter, daß er sich voll in das Geschehen integriert, die Atmosphäre aufsaugt und sämtliche Darsteller in einer Art versucht zu begreifen, als wäre er selbst Teil des Geschehens. Die Spannung ,die sich daraus ergibt, liegt in dem Unbekannten, auf das er sich einläßt. Es ist also ein bißchen wie im wirklichen Leben. Doch um eine solche Verbindung mit dem Zuschauer herzustellen, muß auch der Film einiges bieten. Eine atemberaubende Atmosphäre, dramatische Ereignisse und vor allem Darsteller, die keine Abziehbilder sind, sondern nachvollziehbare Charaktere.
"Journey to the End of the Night" beginnt am späten Abend in Sao Paulo und es ist schon von Beginn an klar, daß wir hier nur diese eine Nacht erleben werden. Wenn die Kamera über die Häuserschluchten der brasilianischen Metropole streicht, bekommt man einen Eindruck von der Härte, die man mitbringen muß, um in diesem Moloch zurecht zu kommen. Doch für den Ersten endet diese Nacht schon nach wenigen Momenten. Er hatte sich mit einem Transvestiten auf ein Zimmer zurück gezogen und klappt einfach nach dem Sex tot um. Der Film erklärt das weder in diesem Moment noch später, aber er verdeutlicht damit, daß hier jederzeit etwas Unerwartetes geschehen kann.
Die Kamera fängt die Atmosphäre sehr realistisch ein. Der gesamte Film ist im Dunklen gehalten, die vielen elektrischen Lichter tauchen das manchmal grobkörnige Bild in künstlich wirkende Farben. Die dezent bewegte Handkamera , die manchmal subjektiv den Blickwinkel der Agierenden einnimmt, unterstützt noch zusätzlich die realistische Anmutung - trotzdem vermeidet "Journey to the End of the Night" eine übertrieben künstlerische oder innovative Optik, alles ist der realistischen Intention untergeordnet.
Wir begegnen dem Amerikaner Paul (Brendan Fraser) im Gespräch mit Angie (Catalina Moreno), einer sehr hübschen Brasilianerin. Er ist voller Pläne und will in dieser Nacht einen Deal gemeinsam mit seinem Vater (Scott Glenn) abwickeln, der ihn endlich aus dieser Stadt bringen soll. Offensichtlich steht er unter großem Druck, da er hohe Spielschulden hat und so ist er auch nicht mehr in der Lage, Angie zuzuhören, als sie ihm noch etwas sagen möchte...
Im Gegenteil - es gibt Probleme, da der als Kurier auserkorene Afrikaner genau der ist, der kurz vorher beim Sex starb. Zufällig war Pauls Vater, der einen Puff betreibt, in den Besitz eines Koffers mit großen Mengen Kokain gekommen und da lag es nahe sich mit dem Verkauf dieser Ware, endgültig gesund zu stoßen und das bisherige Leben hinter sich zu lassen. Schnell findet sich unter den Mitarbeitern im Bordell ein eingewanderter Afrikaner, der den erforderlichen Dialekt sprechen kann. Wemba (Mos Def) erhält den Koffer und begibt sich auf eine Reise in die Nacht.
Der Film verfolgt im Lauf der Nacht zwei Storylines, die parallel ablaufen. Zum Einen beobachten wir Wemba bei seinen Problemen erst den Stoff zu verkaufen und dann das Geld wieder zurück zu bringen. Diese Ereignisse sind spannend und mit schnellem Tempo erzählt. Interessanter ist aber noch das Psychogramm von Vater Sinatra und Sohn Paul, denen Glenn und Fraser überzeugend Kontur geben. Bruchstückhaft vervollständigen sich ihre Charaktere und man erfährt immer mehr über ihre Vergangenheit und erkennt, daß es in dieser Nacht nur zur Explosion kommen kann.
Fazit : Sehr ernstes und realistisch wirkendes Drama mit einem überragenden Brendan Fraser, der hier einem psychisch anfälligen, zwischen Verzweiflung und Arroganz driftenden Charakter Gestalt gibt. Auch Scott Glenn ist sehr überzeugend als inzwischen altersweiser Zuhälter mit einer finsteren Vergangenheit. Man kann dem Film, der trotz aller Tiefe und Tragik unterhaltend und spannend ist, nur vorwerfen, daß er etwas fanatisch darin wirkt, in einer abschließenden Abrechnung Gerechtigkeit walten zu lassen.
Unabhängig davon wirken die Gewaltdarstellungen immer homogen mit der düsteren Atmosphäre in der brasilianischen Metropole, die kongenial optisch herüber gebracht wird. Ein kleiner, schmutziger Film, der nicht in unsere Kinos kam, weil er zwar ähnliche Gewalt- und Schicksalsverstrickungen zeigt wie sie momentan modern sind, dabei aber auf jegliche Stilisierungen und Künstlichkeit verzichtet und fast dokumentarisch die Schicksalsfügungen beobachtet - allerdings nicht ohne einen Funken Hoffnung in tiefer Nacht.
Für Jeden der sich darauf einlassen mag, ein sehr lohnenswerter Film (8/10).