Review

Bei Hamlet, der Prinz von Jütland handelt es sich die Verfilmung der dänischen Sage Amlethus, welche Shakespeare bereits als Handlungsgerüst für sein Meisterwerk "Hamlet" verwendete und im dritten und vierten Buch der Gesta Danorum (Die Geschichte Dänemarks) von Saxo Grammaticus (1150-1216) niedergeschrieben wurde. Diese wird auch im Vorspann als Vorlage genannt und ich nehme mir daher die Freiheit, den Film mit eben derselben zu vergleichen.

Gabriel Byrne spielt hier den neidischen Bruder- und Königsmörder Fenge (bei Shakespeare Claudius / Saxo: Fengo) und man merkt ihm an, dass er mit den Schwächen des Drehbuchs zu kämpfen hat. Aber er holt alles aus sich heraus und gibt einen wirklich hervorragend schleimigen, vor Heuchelei nur so triefenden Schurken ab und auch Christian Bale (Amled, bei Shakespeare: Hamlet) hat einen Heidenspaß daran, den Verrückten zu spielen. Helen Mirren wird in ihrer Rolle als Geruth (Gertrud) kaum gefordert, aber ein Torwart, der keine Bälle aufs Tor bekommt, kann sich auch nicht auszeichnen. Ein routinierter Brian Cox (König Aethlewine) lässt sich ausschließlich von seinem Charisma tragen und Kate Beckinsale hat es nicht schwer in ihrer Rolle, einfach nur hübsch zu sein. Die restlichen Darsteller spielen hölzern, verschüchtert und scheinen sich völlig deplaziert zu fühlen, aber das ist wohl kein Wunder in solcher Gesellschaft. Die Kulissen und Kostüme sind recht sparsam gehalten, woraus sich schließen lässt, dass das Budget zu weiten Teilen für die durchaus prominente Besetzung draufgegangen sein muss. Ein Kostümschinken ist hier also nicht zu erwarten, doch das soll für mich kein Kriterium sein, immerhin wurde vor schöner Naturkulisse gedreht und die Nebendarsteller (so mies sie auch spielen mögen) muten angenehm ungeschminkt und natürlich an und obwohl permanent die Sonne scheint, hat man immer das Gefühl, sich im rauen Dänemark zu befinden.

Leider verzichtet der Film gleich zu Beginn auf den Zweikampf Hardwendels (Saxo: Oerwendel, Amleds Vater, gespielt von Tom Wilkinson) mit dem norwegischen König Koller, welcher zwar für den Handlungsablauf nicht relevant ist, wohl aber die Würde und Tapferkeit des rechtmäßigen Königs deutlicher hervorgehoben und damit auch den Motiven Amleds mehr Kraft gegeben hätte. Das Duell Amleds am Ende mit dem Anführer der Asmäer kann wohl kaum als "Ersatz" dafür herhalten. Hier macht der König am Anfang also einen eher gemütlichen und harmlosen Eindruck und der Vorwurf des Müßiggangs, den der neidische Fenge ihm macht, erscheint unfreiwillig glaubwürdig. Fenges lüstern nachstellenden Blicke auf Geruth und die Skrupellosigkeit, mit welcher er seine Widersacher aus dem Weg räumt, lassen keinen Zweifel an dessen Entschlossenheit aufkommen, den Thron samt Königin an sich zu reißen. In der Art und Weise, wie der Königsmord vonstatten geht und woraus Hamlet seine Gewissheit bezieht, dass sein Vater dem Komplott seines Onkels zum Opfer fiel, lässt die Grammaticus-Vorlage einiges an Interpretations-Spielraum und damit den Drehbuchschreibern die Gelegenheit, eigene Ideen umzusetzen. Leider wird diese Steilvorlage nicht annähernd ausgenutzt, ganz im Gegenteil. Während Shakespeare diese Lücke zu schließen weiß, indem er kurzerhand den Geist von Hamlets ermordetem Vater aus dem Grabe steigen lässt, handhabt es Regisseur und Drehbuchautor Gabriel Axel folgendermaßen:

So reitet Amled also im Glauben, dass ein Dieb gehängt würde, zusammen mit seinem jüngerem Bruder zu einer Exekutionsstelle, wo er Zeuge der Hinrichtung seines Vaters wird. Dem so auf frischer Tat ertappten Fenge bleibt nichts anderes übrig, alle Zeugen aus dem Weg zu räumen. Nachdem Amleds Bruder sogleich dahingemetzelt wird, stellt er sich prompt wahnsinnig, woraufhin ihn Fengo für ungefährlich hält und ihn verschont. Aufgrund der skrupellosen "Sorgfältigkeit" Fenges, mit der er sonst mögliche Gefahrenherde aus dem Weg zu räumen pflegt, erscheint dieses Verhalten entsprechend inkonsequent und daher unlogisch und so bleibt dem Zuschauer nichts anderes übrig, dieses als Fahrlässigkeit und "Schlamperei" zu deuten. Hier hätten sich mehr filmische Möglichkeiten angeboten, den verstellten Wahnsinn Amleds zu erklären und es wird von vornherein klar, dass es im Interesse Fenges sein muss, diesen unschädlich zu machen. Während sich Saxos Amlethus mit Hilfe von vorgetäuschtem Wahnsinn dem Argwohn Fengos unter Todesangst zu entziehen versucht, so zieht er im Film diesen grade auf sich, in dem er z. B. öffentlich zornig herumschreit, dass "die Krone gestohlen wurde". Ironischerweise im krassen Gegensatz übrigens zu Shakespeares Interpretation, dessen Hamlet sich an dieser Stelle ein Schweigegelübde auferlegt, aber das nur nebenbei. Zwar übt sich Saxos Amlethus auch in der Gratwanderung zwischen verstelltem Wahnsinn und aufrichtigem Aussprechen seiner Gedanken, doch geschieht das um Längen pfiffiger, kalkulierter und bei weitem nicht so offenkundig und plump, als es der Drehbuchautor ihm zugedacht hat.

Hamlets Verhalten macht Fengo unruhig und so setzt dieser alles daran, herauszufinden, ob seine Verrücktheit gespielt ist oder nicht. Hier verwebt der Film einige Umstände auf eigenwillige Weise miteinander, verändert und kürzt hier munter offensichtlich zum Wohle einer gemäßigten Filmlänge. Was schade ist, denn gerade in diesen Details finden sich viele kleine Parallelen in Bezug auf Shakespeares Hamlet, z. B. das Pendant zu Ophelia (?) und Horatio. Immerhin die Unterredung mit seiner Mutter inklusive der Ermordung des lauschenden Ribold (Sh.: Polonius) wurde dagegen unter Entleihung einiger Shakespeare-Zitat-Fragmente a lá "Hier ist doch irgendwo eine Ratte" im Schnelldurchlauf durchexerziert. Ansonsten gehen die meisten Versuche, sich anhand alternativer Metaphern ("es werden Ratten kommen und an deinem verdammten Herzen nagen") mit Shakespeares Dichtkunst anzulegen, gründlich in die Hose (es sei denn, ich habe sie nur nicht verstanden). Die Liebesgeschichte mit dem Mädchen, welches ihn einst zwecks Enttarnung verführen sollte, wurde wohlwollend nachträglich eingestreut, da Amleds Verhältnis zu ihr bei Saxo für heutige Maßstäbe eindeutig zu sexistisch rübergekommen wäre. Das wäre für den Drehbuchautor allerdings beinah nach hinten losgegangen, da er sonst Amleds folgender Beziehung zu Ethel, der Tochter des englischen Königs Aethelwine, den unsympathischen Geschmack der Untreue beigemischt und somit unfreiwilligerweise die Moralpredigt Hamlets, welche dieser seiner eigenen Mütter hält, nachträglich der Heuchelei überführt hätte. Also improvisiert der Regisseur/Drehbuchautor und erfindet kurzerhand die Ermordung des holden Fräuleins dazu (ziemlich plump, hastig und zusammenhanglos inszeniert), mit welcher er komfortablerweise den Rachedurst Hamlets auch noch mal zusätzlich aufzufrischen vermag (was aber wirklich nicht nötig gewesen wäre).

Unter dem Vorwand, dass er dort seine Geisteskrankheit kurieren möge, wird Amled nach England geschickt um aber tatsächlich dort ermordet zu werden. Als Amleds Begleiter Aslak und Torsten (bei Shakespeare Rosencrantz & Güldenstern) ihn dem englischen König ausliefern und im Begriff sind, diesem die Notwendigkeit von Amleds Ermordung zu erläutern, hat der Film auch endlich mal einen lustigen und originellen Augenblick zu bieten, der so bei Saxo nicht vorkommt. Denn als Torsten & Aslak Amled der Unzurechnungsfähigkeit zu überführen trachten, dreht dieser es geschickt so, die beiden ihrerseits wie Geistesgestörte aussehen zu lassen, was sogar die (auch von Shakespeare bekannte) "Brief-Austausch"-List beinahe überflüssig gemacht hätte. Spätestens ab hier beginnt der Film dann ein Eigenleben und löst sich fast vollständig von der Saxo-Vorlage. So werden leider viele relevante Umstände, z. B. wie er die Hand der Königstochter (Kate Beckinsale) gewinnt, im Kern verändert. Amled rettet das von den Asmäern bedrohte England mit einer List, welche in ihrer Ausführung durchaus, wenn auch unter völlig verdrehten Tatsachen (tatsächlich überlistet Amled die Engländer und bei den "Asmäern" handelt es sich um eine Erfindung der Filmemacher), Saxos Beschreibung entspricht, Aber erneut wartet der Film hier mit unfreiwillig komischen Dialogen auf ("Unsere Pferde sind weg! - Was sollen wir tun? - Wir gehen nach Hause!"). Einige bei Saxo vorkommende Szenen werden im Film völlig sinnentleert wiedergegeben, so dass man sie besser gleich hätte weglassen sollen, z. B. wie Amleds Schwert in der Scheide festgenagelt wird. War es bei Saxo noch eine von Amled eigens erdachte List, mit welcher er anschließend Fengo zur Strecke bringt, so wird diese hier zu einem misslungenen Schurkenstreich der Handlanger Fenges, die sowohl unlogisch wie überflüssig erscheint. Ebenso, wie sich die besagten Schergen ohne Gegenwehr von Amled betrunken machen lassen, obwohl sich diese sichtbar von ihm bedroht fühlen, ist wenig plausibel und wird in keiner Weise der pfiffigen Pointe der Vorlage gerecht.

Einerseits ist die nun drastisch veränderte Handlung nachvollziehbar, da sich die Saxo-Vorlage im letzten Drittel genüsslich in schwülstigem Pathos und Helden-Beweihräucherung suhlt. Auch wäre eine ausnahmslos detailgetreue Verfilmung angesichts der Blutrünstigkeit (eine Fundgrube für jeden Splatter/Gore-Filmemacher) sowie der zum Schluss von Amled praktizierten "Vielweiberei" unter heutigen moralischen Ansprüchen kaum zu rechtfertigen gewesen. Andererseits wurden dagegen viele, sowohl politisch als auch unterhaltungstechnisch interessante Aspekte, welche sich mühelos von einem talentierten Drehbuchautor zu einer spannungsgeladenen Handlung hätten ausbauen lassen, großzügig verschenkt. In Unkenntnis Shakespeares und Saxos hätte mir der Film sicher besser gefallen, doch so bleibt der Film für mich letztendlich der Versuch, eine längst überfällige "Amlethus"-Verfilmung anhand leicht verdaulichen Mainstream-Einsprengslern unter die Leute zu bringen. Die Idee verdient einen Oscar, die Umsetzung jedoch eine Überarbeitung.../ 5 von 10 Punkten.

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