„Barfly“ gehört zu den ungewöhnlichsten Cannon-Produktionen, wäre jedoch beinahe nicht entstanden: Das Studio, damals schon hoch verschuldet und kurz vor dem Ende, wollte die Produktion einstellen, doch durch die Hilfe von Gönnern wie Francis Ford Coppola und eine Verzweiflungstat von Regisseur Barbet Schroeder, der drohte sich einen Finger abzuschneiden, kam die Charles-Bukowski-Adaption doch noch zustande.
„Szenen eines wüsten Lebens“ lautet der deutsche Untertitel und liefert damit eine ziemlich treffende Beschreibung des Daseins von Charles Bukowskis Alter Ego Henry Chinaski (Mickey Rourke). Dieser tauchte in mehreren literarischen Werken des Autors auf und schaffte es 1987 auf die Leinwand, wobei Bukowski die Regie nur Barbet Schroeder überlassen wollte, weil er mit diesem bereits gedreht hatte und dem Filmemacher vertraute. Henry jedenfalls ist chronisch pleite und chronisch besoffen, für die Miete ist kein Geld da, für Sprit auch nur im Einzelfall, weshalb Henry vom guten Willen der Kneipenbesitzer abhängt, was ihn jedoch nicht davon abhält den Barmann Eddie (Frank Stallone) von oben herab zu behandeln und bis aufs Blut zu reizen. Das endet regelmäßig mit einer Schlägerei im Hinterhof, bei der Henry in der Regel die Hucke vollbekommt.
Als Henry gerade mal wieder ein bisschen Knete hat, wegen Stress mit Eddie aber die Tränke wechseln muss, trifft er in einer anderen Bar Wanda Wilcox (Faye Dunaway), Alkoholikerin wie er, Seelenverwandte, Liebhaberin. Der Lebemann quartiert sich bei ihr ein und von da an wird gemeinsam in den Tag gelebt und gesoffen…
„Barfly“ ist als Trinkerdrama nicht mit Filmen wie „Leaving Las Vegas“ zu vergleichen. Es gibt keine große Handlung, keine Charakterentwicklung, auch keine Moral von der Geschichte. Das Publikum darf einem Abschnitt von Henrys Leben beiwohnen, der sich nicht verändert und nichts lernt, dies sowieso ablehnt. Tatsächlich beginnt der Film wie er angefangen hat, mit einer Wemmserei zwischen Henry und Eddie im Hinterhof. Als der Bukowski-Wiedergänger, der Geschichten schreibt und bei Magazinen einreicht, mal 500 Dollar für eine Story bekommt, wird das Geld schnell mit Kneipenrunden für die Saufkumpane und Trinkgeldern für den eigentlich verhassten Eddie verprasst – Henry wird also auch nach Ende des Abspanns weiter schnorren, betrügen und Kurzzeitjobs annehmen, die er schnell wieder verliert. Auch die Beziehung zu Wanda ist eine Angelegenheit, von der man nicht weiß, wie lange sie Bestand haben wird. Beide sind Süchtige, impulsiv und auf der Suche nach dem nächsten Schluck. Beide haben keinerlei Skrupel fremdzugehen, sind andrerseits aber tödlich beleidigt, wenn der andere dasselbe tut.
Das mag eine adäquate Beschreibung von Trinkerexistenzen sein, aber „Barfly“ gewinnt dem Hustler-Dasein seines Protagonisten auch komische Seiten ab. Henry reißt das Maul auf, wenn er es besser geschlossen halten sollte, klaut den Kühlschrank in einer fremden Wohnung leer, als er sich in der Tür irrt, und sieht das Dasein als Straßenköter als essentiell für seine Rolle als Gossenpoet. Da kommt natürlich Charles Bukowski überdeutlich durch, der sich als Drehbuchautor des Films ordentlich selbst stilisiert und dabei gelegentlich etwas eitel wird, etwa wenn sich Wanda und die Verlegerin Tully (Alice Krige), die dem Säufer-Dichter in Windeseile verfällt, sich um Henry prügeln. Seinem Alter Ego legt er jede Menge flotte Sprüche in den Mund, etwa wenn sich Henry Tullys Auto ausleiht, an einer Nutte vorbeifährt und deren Blowjob-Offerte mit einem „I know a classy lady when I see one“ kommentiert.
So ist „Barfly“ dann letzten Endes auch ein Film, der in erster Linie beobachtet, nicht wertet. Nach Filmende lässt sich das Gesehene sowohl als auch tragische Beschreibung der Trinkerexistenz als auch als Zelebrierung eines irgendwie kaputten, aber dennoch glücklichen Lebens lesen. „Barfly“ gibt sich dabei dezidiert unglamourös. Die Wohnungen sind runtergerockte Buden mit speckigen Tapeten, die Kneipen meist abgeranzte Löcher kurz vor der Pleite, die Nebenfiguren schräge Verlierer, von der cholerischen Säuferin an der Theke über die altgediente Prostituierte, die ihre Dienste auf dem Kneipenklo verrichtet, bis hin zu dem streitenden und prügelnden Ehepaar, das neben Wanda wohnt. Dass die Polizisten schon beim unerlaubten Pflücken von Mais mit der Schusswaffe drohen und die dauernd gerufenen Notfallsanitäter nur eine Unterschrift und dann möglichst schnell wegwollen, passt wunderbar in Bukowskis Kosmos mit amüsiert-fertiger Weltsicht.
Was der Autor von seiner Darstellung im Film hielt, ist nicht ganz klar, weil sich Bukowski zu unterschiedlichen Zeiten mal lobend, mal abwertend über Mickey Rourke und dessen Performance äußerte. Der Star, damals selbstzerstörerisch auf Alkohol und Drogen unterwegs, dürfte jedenfalls ein gewisses Einfühlungsvermögen gehabt haben. So changiert sein Henry Chinaski zwischen lässig und lächerlich. Er läuft leicht gebückt, als habe er sich in die Hose gemacht, strahlt aber trotzdem eine unvergleichliche Selbstzufriedenheit aus, selbst wenn er Wasser aus einem Hydranten trinkt oder eine blutende Kopfwunde notdürftig und wenig fachmännisch versorgt. Ihm zur Seite steht Faye Dunaway, die Wanda als labile Person anlegt, die um ihre Reize weiß und nicht ganz so heruntergekommen wie Henry ist, aber wesentlich fragiler ist und auf Sicherheiten pocht – und wenn es nur eine Pseudobeziehung zu einem alten Knacker ist, auf dessen Rechnung sie im Laden anschreiben kann. Alice Krige in der drittgrößten Rolle kann da nicht mithalten, dafür gibt es einige Charakterfressen in Kleinrollen, darunter Frank Stallone als Barmann, David-Lynch-Regular Jack Nance als Privatdetektiv und Pruitt Taylor Vince. In einer Szene hat Bukowski selbst einen Cameo – natürlich als Gast in einer Bar.
Bukowski und wie er die Welt sah – „Barfly“ liefert das Lebensgefühl seines Drehbuchautors und Quasi-Protagonisten quasi frei Haus, verzichtet auf eine klassische Handlung oder Charakterentwicklung und reiht einzelne Vignetten aneinander, ohne dabei zu werten oder einzuordnen. Dank seiner starken Hauptdarsteller hat das durchaus Reiz, lässt das Publikum in seiner Interpretationsoffenheit auch ein wenig ungesättigt zurück.