"Ai no korîda" ist ein sehr japanischer und sehr französischer Film zugleich und damit ein recht ungewöhnliches Hybrid, dem auch aufgrund seiner Radikalität in der Filmgeschichte kein anderer Film entspricht. Wegen seiner expliziten pornographischen Sequenzen - die sich vom heutigen Porno freilich ideologisch, dramaturgisch und inszenatorisch unterscheiden - hatte der Film in zahlreichen Ländern Probleme mit der Zensur; so auch hierzulande, wo er wie "Salò o le 120 giornate di Sodoma" (1975) einen noch größeren Skandalfilm als etwa Ferreris "La Grande bouffe" (1974) abgab und noch während der Berlinale von der Staatsanwaltschaft eingezogen wurde.
Mit diesen - und anderen zeitgenössischen Skandalfilmen - hat "Ai no korîda" freilich nur den Umstand des Skandalons selbst gemeinsam, beschreitet aber inhaltlich und/oder formal ganz andere Wege. Auch die späteren - oftmals französischen - Werke, die in den letzten 1½ Jahrzehnten mit ungestellten Sexakten ihrer Darsteller (oder deren body doubles) Aufmerksamkeit auf sich zogen, eignen sich kaum zum Vergleich: Lars von Triers "Idioterne" (1998) ist eine Satire im Dogma-Stil, Catherine Breillats "Romance" (1999) & "Anatomie de l'enfer" (2004) präsentieren sich viel deutlicher als Thesenfilme zum Gender-Diskurs, Patrice Chéreaus "Intimacy" (2001) ist ein dramaturgisch viel konventionelleres, inszenatorisch weniger geschlossenes Drama, Gaspar Noès "Irreversible" (2002) beschränkte das Ausmaß seiner geplanten pornographischen Sequenzen nach den allmählich einsetzenden Bedenken seiner liierten Hauptdarsteller letztlich auf flüchtige Eindrücke im Nachtclub-Prolog und leistet sich enorme formale Extravaganzen, in Larry Clarks "Ken Park" (2002) nimmt die Sexualität trotz offensiver Darstellung bloß eine rudimentäre Stellung ein, John Cameron Mitchells "Shortbus" (2006) ist eine ungewöhnlich frivole, aber letztlich doch eher harmlose & heitere Tragikomödie, Alain Guiraudies "L'inconnu du lac" (2013) ist eher ein gesellschaftskritischer Erotik-Thriller (während Virginie Despentes' & Coralies "Baise moi" (2000) als geradezu pornographischer Thriller verstanden worden ist) und von Triers "Nymphomaniac" (2013) blickt viel pessimistischer auf den Sexus und setzt auf eine teils betont artifizielle Inszenierung.
"Ai no korîda" ist weder Thriller, noch Komödie, als Drama meilenweit von allen Konventionen entfernt, als Thesenfilm - wenn man überhaupt einen solchen in ihm zu sehen wünscht, was ihn nur unzulänglich charaktersieren würde! - unmerklich und zurückhaltend vorgehend. Und im Gegensatz zu anderen ambitionierten & mit explizit pornoraphischen Bildern arbeitenden Filmen begreift er die Sexualität nicht - wie so oft kolportiert! - als zerstörerische Kraft, aber auch nicht als befreiende Kraft. Darin liegt sicherlich die herausragende Qualität des Films: In "Ai no korîda" ist die Sexualität befreiend und zerstörerisch zugleich - und das sogar, ohne einen Widerspruch zu erzeugen, da Zerstörung und Befreiung hier dasselbe bedeuten.
Das macht "Ai no korîda" auch zu einem ausgesprochen französischen Film. Er ist nicht nur einfach deshalb so französisch, wie er (wegen seiner gelegentlich an Ozu gemahnenden Kamera, seinen Kulissen & Akteuren, seiner Anlehnung an den historischen Abe Sada-Fall, seiner Musik) japanisch ist, weil es sich - aufgrund der in Japan strikten Zensur explizit abgefilmter Intimbereiche! - um eine französisch-japanische Koproduktion handelt, deren Filmmaterial in Frankreich entwickelt & montiert worden ist und für die Ôshima in Anlehnung an Roland Barthes' nach einer Japanreise entstandenem "L'Empire des signes" (1970) einen französischen Titel wählte, der aus der Corrida der Liebe ein weniger irritierendes Reich der Sinne werden ließ; sondern er ist so französisch, weil diese Corrida der Liebe - die Assoziationen an Spanien erwecken mag, zumal Pedro Almodovar mit "Matador" (1986) später ebenfalls eine Beziehung von Eros und Thanatos inszenierte, die allerdings stärker im Zeichen des (Erotik-)Thrillers steht - im schriftstellerischen & philosophischen Werk Batailles ebenso eine zentrale Stellung einnimmt, wie auch als petite mort im alltäglichen Sprachgebrauch.[1] Und gerade Batailles obszöne Erzählung "Histoire de l'œil" (1928) ähnelt in ihrer provozierenden, pornographischen Radikalität Ôshimas Skandalfilm nicht unerheblich mit ihrem exhibitionistischen, miteinander allerlei Perversionen durchspielenden, jugendlichen Pärchen, dessen weiblicher Part sich im Rahmen des erotischen Spiels Eier in Vulva und Anus stopft, welche der männliche Part im Anschluss teilweise verspeist; ein anderer junger Mann wird seinerseits gebeten, beim Analverkehr in seine Partnerin zu urinieren. Viele dieser wahrhaft schamlos ausgebreiteten Variationen des erotischen Spiels tauchen auch in Ôshimas Film auf und selbst der im japanischen Titel auftauchende Stierkampf könnte direkt aus "Histoire de l'œil" stammen: denn die Eier, die sich die junge Frau mehrfach eingeführt hat, besaßen im Grunde bloß eine Stellvertreter-Funktion - auf die 1962 auch Roland Barthes ausdrücklich hingewiesen hat, die aber bereits in Batailles Text selbst ziemlich deutlich betont wird! - und während einer Madrid-Reise erbittet sie dann auch von einem Stierkämpfer die rohen Hoden eines Stieres, von denen sie während eines erneuten Stierkampfes einen zerbeißt, einen in ihre Vulva einführt und dabei zum Orgasmus kommt, während gleichzeitig ein ekstatischer Aufschrei durch das Publikum geht, da der Stierkämpfer vom wütenden Tier, das dem Matador mit seinen Hörnern ein Auge aus dem Schädel quetscht, getötet wird. Und das herausgerissene Auge eines Priesters - den man verführt, vergewaltigt und dem die junge Frau im Rahmen einer obszönen Parodie einer Messe beim Geschlechtsverkehr die Kehle zudrückt - stellt dann die letzte Metamorphose der Eier dar und findet ebenfalls einen Platz zwischen den Beinen der Frau.[2]
Batailles Aktionsreichtum findet bei Ôshima keinerlei Nachhall, doch zahlreiche Motive kehren in "Ai no korîda" unübersehbar wieder. So verwundert es auch nicht, dass Batailles theoretisches Konzept von der grundsätzlichen Ähnlichkeit von sexueller Ekstase und Todeserfahrung den Rahmen des Films absteckt: Wenn Sada, die Bedienstete und Prostituierte des Geisha-Haus-Besitzers Kichizô, mit diesem eine immer intensivere Liebesbeziehung eingeht, an deren Ende die Strangulation des Mannes steht, dessen Gemächt Sada abschneidet, um nach der mit Blut geschriebenen Botschaft "Sada und Kichi - auf immer vereint" mit Penis & Hoden durch Tokio zu irren, dann wird das dementsprechend nicht als Katastrophe inszeniert, sondern als anrührender Höhepunkt, der die Grenzüberschreitung der Verschmelzung mit dem Partner mit der Grenzüberschreitung des Getötetwerdens und der endgültigen Aneignung (des abgetrennten Andenkens) verbindet.
Die Transgressionstheorie Batailles, die Zuspruch unter anderem durch Barthes oder Foucault erfahren hat, gibt also einen hervorragenden Rahmen ab für einen wahren Fall, der sich 1936 in Japan ereignet hat und auf den "Ai no korîda" sich in allererster Linie bezieht: Die tatsächliche Abe Sada, deren Gefängnisstrafe von sechs auf vier Jahre herabgesetzt worden war, wehrte sich nach ihrer Entlassung entschieden gegen die - sie als Perverse betrachtende - Außenperspektive, erklärte sich in ihrer Autobiographie als intensiv Liebende und wurde im Laufe der Zeit zu einer lebenden Legende. Die eigentümliche Anziehungskraft der Abe Sada, die in diversen Büchern und Filmen Niederschlag gefunden hat, erklärt Georg Bense in "Sterben im Reich der Lust" (2006) nur teilweise überzeugend mit einem vermeintlichen Interesse an morbider oder gewaltsamer Erotik in Japan. Doch was im Ero guro oder im Pinku eiga häufig als sadomasochistische Phantasie zwischen Sex und Crime auftritt und bizarren Nervenkitzel bietet, wird bei Ôshima aus einer Bataille geschuldeten Innenperspektive entwickelt, die kaum noch auf Schock und Reiz ausgerichtet ist, sondern voll und ganz zum Nachvollziehen dieser radikalsten Amour fou anstiftet.
Dementsprechend verzichtet Ôshima auf die Vor- & Nachgeschichten der Amour fou, auf die ganzen biographischen Details, die in der - mit dokumentarischen Kurzauftritten der realen Abe Sada ausgestatteten - Episode "Abe Sada jiken" des Episodenfilms "Meiji, Taish?, Sh?wa: Ry?ki Onna Hanzaishi" (1969) Teruo Ishiis und dem Roman porno "Jitsuroku Abe Sada" (1975) Noboru Tanakas durchaus auftauchen. Auf den Handlungszeitraum verweist am ehesten noch eine recht kurze Außenszene, die Beziehung der Figuren zueinander und die Existenz der Ehefrau Kichizôs werden zu Beginn sehr schnell abgehandelt; aber schon nach zehn Minuten wird der Film dominiert von den intimen Zusammenkünften Sadas und Kichizôs - kurz unterbrochen bloß durch das Auftauchen der von Sada eifersüchtig betrachteten Gattin Kichizôs, der Zusammenkunft Sadas mit einem intellektuellen Kunden (welche später zwischen ihr und Kichizô nachgespielt wird, wobei er ihre Rolle übernimmt!) und einem Spiel Sadas mit zwei jungen, nackten Kindern, welches mit ihrem schmerzhaften Griff an den Penis des Knaben endet. All diese Einschübe präsentieren Sada als Frau, die sich durchzusetzen gewillt ist, was sich vor allem natürlich auch in ihrer Beziehung zum hierarchisch höherstehenden Kichizô äußert, der ihr ebenso verfällt, wie sie ihm verfällt.
Ôshimas Kniff, Szenen außerhalb ihrer intimen Zweisamkeit weitestgehend auszuschließen, geht einher mit einer ruhigen Kameraarbeit, die sich zum Großteil in langsamen (oder gar nicht erst vorhandenen) Bewegungen dem Liebespaar und ihren jeweils in Beschlag genommenen Innenräumen widmet. Hektik & Dynamik schlagen sich kaum jemals nieder, alles ruht ganz und gar bei sich selbst wie das Liebespaar, das in kein Dreiecksbeziehungs-Melodram, in keine Thriller-Strukturen, in keinen Historienfilm-Rahmen, in keine Sozialstudie mehr eingebunden ist - gleichwohl die Rolle der Frau einen interessanten Aspekt des Films darstellt! -, sondern bloß der schleichenden Bewegung von der aufkeimenden Liebe bis hin zum Liebestod folgt, der Bewegung des vom Wasser reflektierten Lichtscheins auf der hauchdünnen Zimmerwand des Vorspanns bis zur in Dunkelheit getauchten Wand des Abspanns.
Sada, die in den ersten Minuten als am Phallischen interessierte Frau eingeführt wird, die den Avancen einer anderen Prostituierten keineswegs zugeneigt ist, aber auf das Flehen eines alten, schmutzigen, verspotteten Bettlers - womöglich ein ehemaliger Kunde! - eingeht und ihm ein paar Intimitäten zu bieten bereit ist, ehe sie an dem Mann, als dieser sich als impotent erweist, das Interesse verliert, macht Kichizô mehr und mehr klar, dass sie seinen Penis nicht zu teilen bereit ist. Immer wieder kopulieren sie - allein, vor Zeugen oder mit anderen Geishas! -, zwischendurch zieht sie ihn am Penis hinter sich her, umklammert oder lutscht sein erschlafftes Geschlecht, möchte ihn selbst zum Urinieren nicht gehen lassen und kündigt später immer deutlicher ihr Vorhaben, ihn zu kastrieren, an... Beide verlassen sie ihre Schlafstätte für mehrere Tage nicht mehr und fühlen sich sichtlich wohl in ihrem sich offenbar ausbreitenden Körpergeruch, verbinden gelegentlich sogar die Nahrungsaufnahme mit dem Geschmack der Körpersekrete oder dem Verspeisen der Schamhaare.
Im letzten Drittel des Films bemerkt Kichizô eher zufällig, dass die Strangulation das Gefühl der Erregung zu intensivieren imstande ist. Sada, der klar ist, dass man das Vergnügen bis zum Exzess steigern müsse, lässt sich daraufhin von Kichizô würgen, der in diesem aktiven Part jedoch keine Erfüllung findet, woraufhin sie fortan diese Rollen dauerhaft tauschen. Immer radikaler gerät das Spiel der Strangulation und zuletzt würgt sie ihren Geliebten - der genau weiß, dass die immer heftigere Strangulation nach dem Akt zu schmerzen beginnt - zu Tode.
Diese Nähe zu den Figuren noch im intimsten Moment, dieser Vezicht auf ablenkende Nebenstränge, bewirkt - ein (un)gesundes Maß an Einfühlungsvermögen vorausgesetzt! - eine ungeheuerliche Sogwirkung, in deren Verlauf Sada und Kichizô tatsächlich den Anschein erwecken, als wären sie unzertrennlich: schlicht und ergreifend deshalb, weil man sie kaum jemals getrennt sieht; und wenn man sie getrennt sieht, beäugt einmal Sada den Geliebten beim Sex mit seiner Frau, vollzieht Sada an einem Kunden und an einem Knaben das, was Kichizô kurz darauf mit ihr, was sie selbst regelmäßig mit Kichizô macht. Obwohl ihre Affäre einen überschaubaren Zeitraum innerhalb weniger Monate eines einzigen Jahres ausfüllt, obwohl der Film bloß knapp hundert Minuten läuft, scheinen beide Figuren letztlich so unzertrennlich zu sein, wie Philemon und Baucis. Am Ende steht dann konsequent die Assimilation: Kichizôs Penis gerät zur totalen Personifikation seiner selbst und Sada hat ihn sich vollständig angeeignet. "Kichi und Sada - für immer vereint."
Diese durchweg angestrebte, letztlich vollständig erreichte Harmonie fängt Ôshima dabei nicht bloß mit der ruhig geführten oder völlig statischen Kamera ein, sondern auch mit sorgsam geplanten Bildkompositionen, in denen auch die niemals grellen, niemals schrillen Farben beruhigend aufeinander abgestimmt worden sind - wenn auch gelegentlich ein hochsymbolisches Rot das Bild markiert: als Reizfarbe der Corrida, als Farbe der Liebe und Farbe der Gewalt & des Blutes.
Vor allem aber trägt die - keinesfalls selbstzweckhafte, wenngleich durchaus als Provokation einkalkulierte, aber nie die Zärtlichkeit & Zuneigung der Figuren überdeckende - Sexualität (und Körperlichkeit) in ihrer expliziten Schilderung zur Wirkung des Films bei. Ôshima übertrumpft den Roman porno durch den Einfluss des ganz besonders seit "Deep Throat" (1972) losgetretenen porno chic auf den Autorenfilm und das Mainstreamkino: zu einer Zeit, in der Gerard Depardieu mit Kleinkind auf dem Arm ungeniert vor der Kamera masturbierte ("La dernière femme" (1976)), in der Rutger Hauer mit den (unechten) Körperausscheidungen seiner Filmpartnerin in Kontakt kam ("Turks fruit" (1973)), in der Marlon Brando von Maria Schneider verlangte, sie möge ihm ihre Finger in den Anus schieben, um später ihren Anus mit Butter für den Analverkehr vorzubereiten ("Ultimo tango a Parigi" (1972)), in der John Waters einen veritablen Independent-Hit vorlegte, indem er Divine vor laufender Kamera echte Hundescheiße verspeisen und Schwänze lutschen ließ ("Pink Flamingos" (1972)), in der Rüdiger Vogler für Wim Wenders sein großes Geschäft gut sichtbar verrichtete ("Im Lauf der Zeit" (1976)), in der Julie Christie und Donald Sutherland mit simuliertem Sex Aufmerksamkeit erregten ("Don't Look Now" (1973)), in der Pasolini unterkühlt Vergewaltigungen nach de Sade inszenierte und in der Fellini, Bergman und Kurosawa darüber nachdachten, gemeinsam einen (nie entstandenen) Episoden-Pornofilm zu bewerkstelligen, kam ein Film wie "Ai no korîda" genau richtig: der Zeitpunkt, an dem solche Direktheit einem großen Publikum zugemutet werden konnte, war erreicht, zugleich war solche Direktheit noch neuartig genug, um Interesse zu wecken.
Dass "Ai no korîda" auch heute nichts von seiner Wirkung eingebüßt hat, liegt daran, dass nicht die Erregung des Skandals, sondern die Kunst, ebendiesen beim Schauen des Films vergessen zu lassen, ausschlaggebend ist. Nicht die erigierten Schwänze, nicht das aus Eiko Matsudas Mund laufende Sperma ihres Partners, nicht die blutige Kastration, sondern die begehrenden Blicke, das Lächeln und Lachen, die Zärtlichkeiten und die bedingungslose Zuneigung bis ins Extrem machen die Qualität des Films aus, erfahren durch die unverschleierte Körperlichkeit allerdings eine Wirkung, die zahmeren Liebesfilmen abgeht. Die permanente Nacktheit, Körperlichkeit und Sexualität bewirkt in den hundert Minuten eine Gewöhnung, die das Skandalöse verschwinden lässt und das Humane nach der Überwindung des Skandalösen noch intensiver erscheinen lässt; das Obszöne, das Intime, dass "Ai no korîda" als einer der ersten großen Spielfilme aus den Schlafzimmern der Privatpersonen auf die öffentlichen Leinwände öffentlicher (Kino-)Gebäude holt, gerät durch die pausenlosen Wiederholungen immer natürlicher und normaler - und trotz dieser Gewöhnung an das öffentlich gemachte Intime, trotz dieser Überwindung des Skandalösen ist die Beziehung zwischen Kichizô und Sada (nicht nur wegen des radikalen Ausgangs dieser Amour fou) eine viel intensivere als jene zwischen Ingrid Bergman und Humphrey Bogart oder zwischen Dustin Hoffman und Katharine Ross, weil sie bereits jenen kritischen Punkt hinter sich gelassen hat, den die meisten großen Film-Liebespaare - oder ihre Regisseure! - zuvor noch nicht einmal ins Auge gefasst haben...
Ein Publikum, das sich von der Erwartungshaltung lösen kann, dass "Ai no korîda" ein durchgängig skandalöser, verstörender, aufregender, aufpeitschender und in seiner Ungewöhnlichkeit pausen- & maßlos beeindruckender Film mit unzähligen kleinen Höhepunkten sei, bekommt daher eine bis heute unvergleiche Liebesgeschichte geboten, die an Tiefe, Intensität und Einfühlungsvermögen ihresgleichen vergeblich sucht. Die Harmonie erzeugende Inszenierung, die von entspannter Ruhe zeugt und - ohne zum artifiziellen Formexperiment zu gerinnen - einen enormen Stilwillen erkennen lässt, den Ôshima in solcher Konsequenz allenfalls noch in "Nihon no yoru to kiri" (1960) erreicht hat, rundet mit intensiven Darstellerleistungen den herausragenden Eindruck dieses Ausnahmefilms perfekt ab. Solch konsequent erarbeitete und zielstrebig & seelenruhig ihrem zu erahnenden oder von vornherein bekannten Ziel entgegengehende Filme gibt es selten in der Geschichte des Spielfilms: Dreyer, Ozu, Mizoguchi, Bresson, Jancsò, Haneke oder Tarr haben jeweils ein bis zwei solcher Filme gedreht... überschaubare Ausnahmen von schlichter, aber vollkommener Eleganz in der nicht enden wollenden Flut von Filmen. Wer allerdings mit geruhsamen & unaufgeregten, aktionsarmen, aber einfühlsamen & sensiblen Filmen nichts anfangen kann, der wird auch mit "Ai no korîda" trotz seines Sex- & Skandalfilm-Rufes nicht glücklich werden.
10/10
1.) Das sah auch Amos Vogel, der schon in der überarbeiteten Neuauflage von "Film as a Subversive Art" (1974/1977) urteilte, es handele sich "um eine unerbittliche Vereinigung von Thanatos und Eros, wie sie bei Bataille vorkommt und bei jedem 'kleinen Sterben' im Orgasmus erfahren wird." (Vogel: Film als subversive Kunst. Kino wider die Tabus - Von Eisenstein bis Kubrick. Rowohlt 2000; S. 262.)
2.) Die Austauschbarkeit der Hoden, der gelegten Eier und der Augen in Batailles Erzählung wird zwar nicht in Ôshimas Film übernommen, kommentiert diesen aber in seiner Beziehung zu Bataille recht deutlich: Die Figuren vermeiden bei Bataille möglichst eine Verbalisierung ihrer Obszönitäten und betreiben diese lieber; der Gesichtssinn und die Sexualität werden zudem in einen engen Zusammenhang gebracht - der Gesichtssinn, der einem automatisch alles Erblickte vermittelt und nahebringt, ist noch weitestgehend frei von Differenzen & Differenzierungen, trennt nicht die erblickten Dinge voneinander und stellt darüber hinaus eine Verbindung zwischen Subjekt und Objekt her, während die Sprache und mit ihr das Denken immer zunächst Grenzen & Definitionen mit sich bringen und Trennungen erzeugen, welche sie erst in einem zweiten Schritt wieder (unzulänglich) abreißen können. Die Grenzüberschreitung des Auges kommt der Überschreitung von Sexualität und Gewaltsamkeit also näher als die Sprache, die eine Überschreitung der Grenzen allenfalls umschreiben kann. Die Erhebung von Batailles obszönem Werk aus der Literatur in die Filmkunst zeugt also durchaus von einiger Konsequenz.