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von PierrotLeFou

Vor 25 Jahren: Schlingensief und die Krise des deutschen Films

Stichwörter: 1990er Berger Carstensen Deutschland Emmerich Groteske Hermann Jubiläum Kier Klassiker Komödie Metafilm Satire Schlingensief Spengler Spielfilm

Die 120 Tage von Bottrop (1997)

Um 1968 entstehen bereits seine ersten Filme: Da ist Christoph Schlingensief gerade erst acht Jahre alt. Aber bereits mit seiner Larry Brent-Verfilmung "Das Totenhaus der Lady Florence" (1974) flimmerten die Streifen mitunter auch über die Mattscheiben, denen er später als Aufnahmeleiter der "Lindenstraße" (1985-2020) oder im Rahmen des kleinen Fernsehspiel treu blieb. Er assistierte zudem Anfang der 80er Jahre dem Experimentalfilmer Werner Nekes, und lieferte ab 1983 dann zunehmend längere experimentelle Spielfilme ab, die mehr und mehr Aufmerksamkeit ernteten. 1983 indes war das erste Filmjahr ohne Rainer Werner Fassbinder, der 1982 verstorben war; es war zudem das Jahr, in dem man wusste, dass zugesagte Fördergelder jederzeit wieder vorenthalten werden konnten: FDP-Größe Gerhard Baum hatte Herbert Achternbusch Fördergelder für "Das Gespenst" (1982) zugesagt, die die CSU-Gestalt Friedrich Zimmermann als Nachfolger dann etwas später mit Verweis auf den blasphemischen Inhalt des Films auszuzahlen verweigerte; jener Zimmermann, der dann durchsetzte, dass – salopp gesprochen – jene Filme gefördert werden, die ob ihrer kommerziell verwertbaren Ausrichtung gar nicht so sehr auf Förderung angewiesen waren. Größen des Neuen Deutschen Films wie Alexander Kluge oder Edgar Reitz verlegten sich zu jener Zeit zudem – mit großem Erfolg – auf Fernsehformate.
Anfang/Mitte der 80er Jahre hatte der Neue Deutsche seine Endphase eindeutig erreicht. Die deutsche Filmlandschaft veränderte sich nun zwischen TV-Siegeszug, Hollywoods Blockbuster-Siegeszug und neuen Filmförderregelungen wieder; was in den 60er-Jahren erfolgreich begonnen hatte und in den 70er Jahren international auf Zuspruch der Filmkritik und mitunter auch eines recht breiten Publikums zählen konnte, büßte etwas an Glanz ein. Viele der ambitionierteren Autorenfilme galten als wenig kurzweilig, verkopft, sperrig, anstrengend; ihnen gingen – tendenziell (Gegenbeispiele findet man freilich) – Wucht und Frische vieler früherer Neuer Deutscher Film-Titel merklich ab; womöglich deshalb, weil die eigene Perspektive weniger aussichtvoll war als zuvor. Neben solchen manchmal mehr, manchmal weniger analytischen Problemfilmen gab es aber schnell auch die Bemühungen um ein großes deutsches Unterhaltungskino, das aber mit Hollywoods Möglichkeiten nicht recht mithalten konnte: einen Wolfgang Petersen zog es dann auch um "Die unendliche Geschichte" (1984) herum in die USA; ebenso gegen Ende der Dekade einen Roland Emmerich. In den 90er Jahren häuften sich dann die deutschen Komödien und einige Liebesdramen (vor historischem Setting), derweil das Label "deutscher Film" wieder zu einem Synonym für "schlechter Film" zu werden drohte. Mit dem am 25. Oktober 1997 uraufgeführten "Die 120 Tage von Bottrop" schien Schlingensief den deutschen Film dann zu Grabe tragen zu wollen.
Die Hinterbliebenen der Fassbinder-Rige, Margit Carstensen, Irm Hermann und Volker Spengler, drehen auf der gigantischen Baustelle des Potsdamer Platzes eine Neuverfilmung: Pasolinis Marquis-de-Sade-Verfilmung "Salò o le 120 giornate di Sodoma" (1975) soll neu umgesetzt werden und entsprechend furios assoziiert sich Schlingensief über Peter Brook und Peter Weiss bis hin zur französischen Revolution und dem Sturm auf die Bastille. Doch dann wird ein neuer Regisseur mit dem Projekt betraut: ein grenzdebiler Wicht, der zwar optisch an eine kleinwüchsige Fassbinder-Variante wirkt, aber den sprechenden Namen Sönke Buckmann trägt. Wüst und wild, albern, polemisch und kraftvoll lästert sich Schlingensief durch die Filmgeschichte, derweil er selbst als Assistenzkraft in den USA nach Helmut Berger sucht, aber bloß (Schlingensiefs wie Fassbinders Darsteller) Udo Kier oder Roland Emmerich vorfindet. Drumherum werden Pasolini wie Fellini, Fassbinder wie Veit Harlan oder Schlingensief selbst, Polanski, Wagner, Wiener Aktionisten, Tobe Hooper, de Sade und TV-Unterhaltung zitiert, parodiert und persifliert, derweil der rote Faden manchmal nur als tatsächlicher roter Faden durch das Bild kriecht, hinter dessen Kamera teils der berüchtigte Kurt Kren steht.
Dieser Rundumschlag, der weder Angst vor Hochkultur noch vor reißerischen Sensationen oder vulgären Späßen hat, war vor 25 Jahren ein befreiendes Gegengift zum Gros der deutschen Spielfilme. Dass es tatsächlich auch mehr oder weniger Schlingensiefs Rückzug von der Leinwand sein sollte, ahnte man damals noch nicht...
Die alte Filmgalerie 451-DVD (Fassungseintrag von Creepshow) ist mittlerweile meist nur etwas überteuert zu erhalten; allerdings hat man die DVD bei Zweitausendeins in der Reihe Edition Deutscher Film nochmals neu aufgelegt...


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