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von ratz

Vor 50 Jahren: Monsieur Hulot irrt durch Moderne Zeiten

Stichwörter: 1960er Filmreihe Frankreich Hulot Jubiläum Klassiker Komödie Spielfilm Tati

Play Time (1967)

Auf die eine oder andere Art setzt sich der französische Regisseur Jacques Tati in jedem seiner nur sechs Langfilme mit den modernen Zeiten auseinander. Doch im Gegensatz zu Charlie Chaplins Figur in „Modern Times“, deren enger Verwandter der von Tati verkörperte Monsieur Hulot zweifelsohne ist, wirkt Hulot nicht wie ein hektisch Getriebener, sondern ist in seiner altmodischen Höflichkeit, Liebenswürdigkeit und Schusseligkeit eher ein passiver Störfaktor in den auf Automatisierung und Effizienz ausgerichteten Zeitläuften. In „Play Time“, uraufgeführt am 16. Dezember 1967, erreichte Tatis Zivilisationskritik ihren aufwendigen und spektakulären Höhepunkt, scheiterte aber an den Kinokassen und erlangte erst allmählich den heutigen Klassikerstatus.

„Play Time“ verzichtet weitgehend auf einen traditionellen Plot und läßt sich in zwei Teile gliedern: der erste schildert die Versuche von Hulot, sich in einem ultramodernen Pariser Flughafengebäude zu orientieren, um ein Bewerbungsgespräch zu führen, der zweite Teil beschränkt sich auf ein neues Edelrestaurant innerhalb des Gebäudekomplexes, dessen feierlicher Eröffnungsabend zunehmend aus dem Ruder läuft – sehr zum Vergnügen der angeheiterten Gäste. Hulot ist dabei nicht wie in früheren Filmen die zentrale Figur, sondern schiebt sich von der Peripherie her ins das unübersichtliche Treiben (zunächst sogar in der Gestalt von Doppelgängern – ein augenzwinkerndes Spiel mit der Popularität von Hulot). Mit unbeholfenem Staunen stolpert er nun durch ein nahezu kafkaeskes Labyrinth aus Stahl und Glas, in dem anonym uniformierte Menschen ihren unglaublich wichtigen Aktivitäten nachgehen, und gibt Tati dadurch Gelegenheit, seinen ganz eigenen, inzwischen hochgradig perfektioniertem Humor anzubringen. Dieser basiert gewissermaßen auf einer Stummfilmästhetik, also auf visuellen Gags statt auf Wortwitz (die englisch-, französisch- und deutschsprachigen Dialoge lassen sich völlig vernachlässigen, die Bilder, Mimik und Gestik erzählen alles Wesentliche), ergänzt durch markante Geräuschfolgen mit oft das Bild konterkarierender, komischer Wirkung. Die monochrome, grün-graue Farbgebung evoziert ebenfalls das Schwarzweiß alter Filme, auffällig ist jedoch vor allem, wie Tati die 70-Millimeter-Kamera benutzt: auf Nahaufnahmen, schnelle Schwenks oder Schnittfolgen wird komplett verzichtet, dafür gibt es sorgfältig komponierte Tableaus, innerhalb derer sich oft mehrere Ereignisse in präzisen Choreographien gleichzeitig abspielen und daher aufmerksames Beobachten erfordern (und belohnen). Tati ließ „Play Time“ daher ausschließlich in Kinos vorführen, die 70-mm-Projektionen mit Stereosound vorweisen konnten, um seinen Bildkompositionen den nötigen Detailgrad zukommen zu lassen – aus künstlerischer Sicht absolut nachvollziehbar, aus kommerzieller Sicht einer der Gründe, warum der teuer und langwierig produzierte Film finanziell floppte und Tati auf mehrere Jahre in Schulden stürzte.

Für heutige Sehgewohnheiten mag „Play Time“ eine Herausforderung sein, denn das langsame Tempo, die Entfaltung der genaues Hinschauen erfordernden Tableaus, der höchstens milde Slapstick, schließlich der leise, nie zynische oder bösartige Humor verlangen eine Fokussierung, die man für die meisten flott dahinperlenden Komödien nicht braucht. Es lohnt sich, den Film wegen der vielen Bilddetails möglichst groß zu sehen, was dank der neuen Restaurierung möglich ist, die auf Blu-ray und DVD sowohl in einer Tati-Komplettbox als auch einzeln (Fassungseintrag) bei Arthaus erschienen ist. Die OFDb-Kritik von HappyHarry mit dem Harten beleuchtet die Produktionsgeschichte von „Play Time“ noch etwas ausführlicher.


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