Umbracle (1972)
Pere Portabella, der Produzent, der mit Carlos Sauras "Los golfos" (1959), Marco Ferreris "El cochecito" (1960) und besonders mit Luis Buñuels "Viridiana" (1961) drei der wichtigsten und subversivsten spanischen Filme jener Jahre produziert hatte, rebellierte ab 1967 seinerseits als Regisseur gegen den Franquismus. In den Jahren 1968-1970 drehte er drei ästhetisch einander nahestehende, hochgradig experimentelle Spielfilme, die dramaturgisch wie inszenatorisch subversiv die Filmkonventionen unterlaufen: "Nocturno 29" (1969), "Cuadecuc, vampir" (1971, Anniversary-Text) und den erst im Januar 1972 gezeigten "Umbracle", bei dem es sich um eine Art Back-to-back-Produktion zu "Cuadecuc, vampir" handelt. "Cuadecuc, vampir" war eine essayistisch kommentierende Dokumentation der Dreharbeiten von Jess Francos "El conde Drácula" (1970), die zugleich als alternative parodistische Spielfilmversion funktioniert, Genre-Klischees hervorkehrt, Effekte stets als Ergebnis trügerischer Inszenierungen entlarvt, Underground- und Experimentalfilm-Techniken als subversive Alternativen anbietet und es zumindest zulässt, rückblickend eine Parallele zwischen Franquismus und Vampirismus zu erblicken. In "Umbracle" verwendete Portabella dann Material, das er mit Christopher Lee und seiner Filmpartnerin Jeannine Mestre noch angefertigt hatte: Es handelt sich um typische Szenen des populären Spannungskinos, um Entführungen und Zeugenschaft, ums Beobachten und Verfolgen, um Affären, die stets eine Bedrohung im Hintergrund andeuten, aber kein stimmiges Gesamtbild im Sinne einer durchgehenden Handlung ergeben. Stattdessen werden die Eindrücke mit thematisch verwandten Einzelszenen angereichert: Da ploppt plötzlich franquistisches, erzkatholisches Propagandakino auf, die Filmschaffenden Miguel Bilbatúa, Román Gubern und Joan Enric Lahosa sprechen über die 1963 zusammengestellten Zensurbestimmungen, die sich ausgesprochen willkürlich anwenden ließen und vor allem gegen die Darstellung von Gewalt und Terror, gegen Blasphemie, Pornographie, Antimilitarismus und Subversion, gegen antiklerikale, morbide oder grausame Szenen gerichtet waren. Eine sehr explizite Szene in Portabellas freier Trilogie. Christopher Lee gibt dann Opernarien zum Besten, liest Poes "The Raven" (1845) und hat eine erotische Begegnung, die sowohl durch ein penetrantes Klopfen aus dem Off als auch durch morbide-perverse Anklänge befremdlich wirkt, ehe Carles Santos, Portabellas Stamm-Komponist, eine höchst eigenwillige A-capella-Nummer ertönen lässt, derweil Buster Keaton, Charlie Chaplin, Laurel und Hardy sowie Harold Lloyd in diversen Slapstick-Nummern höchst agil durch die Bilder toben, während Lee zwischengeschnitten durch gespentisch leere und ruhige Straßen wandelt. Und dann ist da noch der wundervolle Carpenters-Song "Close to You" (1970), der gerade dann erklingt, als hinter den Wänden eines Geflügelschlachthofes Federtiere am Fließband in drastischen, teils blutigen Einstellungen ihr Leben und dann ihre Federn lassen, um letztlich als kleine, verschnürte Pakete zu erscheinen: kein neues Motiv im subversiven Politkino, aber 1972 wie heutzutage noch immer eine wirkmächtige visuelle Metapher für – je nach Kontext und Bedarf – strukturelle, verdrängte, geheimgehaltene und/oder unrechte Gewalt. In Christopher Lees Karriere ist "Umbracle" sicherlich einer der originellsten und bemerkenswertesten Filme neben Robin Hardys "The Wicker Man" (1973). Für Portabella war es der Abschluss einer Reihe abendfüllender, experimentell-essayistischer Filme in extrem kontrastreichen S/W-Bildern, die sich gegen den Franquismus und seine Zensur richteten: ab "El sopar" (1974) gerieten seine (nunmehr farbigen) Langfilme etwas weniger experimentell, sie blieben (wesentlich dokumentarischer) enger an ihrem Thema, reduzierten die Irritationsmomente ein wenig und legten sich einen ernsthafteren, weniger humorvollen Tonfall zu.
Bei )intermedio( liegt "Umbracle" wie nahezu alle anderen Portabellas in der Edition Pedro Portabella. Obra completa auf DVD vor: Fassungseintrag von PierrotLeFou
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