The Music Lovers (1971) & The Devils (1971) & The Boy Friend (1971)
Unabhängige No-Budget-Filme, Arbeiten für die BBC, erste Kinofilme: zwischen 1956 und "Women in Love" (1969), seiner mehrfach oscar-nominierten Lawrence-Verfilmung für die große Leinwand, hatte Ken Russell eine steile Karriere hingelegt, in der sich immer deutlicher ein exzentrischer Stil offenbarte, der fellineske Extravaganzen mit Benny-Hill-Albernheiten und plakativen Schockbilder vermengte, derweil sich Hoch- und Popkultur in diesen Filmen die Klinke in die Hand gaben, in denen Wagner auf Superman oder Mahler auf die Marx Brothers traf. 1970 hat er dann im Sendeformat Omnibus mit dem TV-Film-Biopic "Dance of the Seven Veils" (1970) einen berüchtigten Skandalfilmklassiker der TV-Geschichte hingelegt, da ließ er im Folgejahr gleich drei Kinofilme auf die Welt los, einer davon ein waschechter Skandalfilm, ein weiterer zumindest höchst kontrovers diskutiert: sein erstes Komponisten-Biopic für die Leinwand, eine skandalöse Aldous-Huxley-Verfilmung und ein Golden-Twenties-Musical mit Twiggy.
"The Music Lovers" – uraufgeführt am 24. Januar 1971 – handelt nach einer Buchvorlage Catherine D. Bowens und Barbara von Mecks vom Leben und Schaffen Peter Tschaikowskys, dessen Kompositionen hier recht biografisch ausgedeutet werden. Als Liebesbeziehung einer Nymphomanin (Glenda Jackson, die mit Russells "Women in Love" einen Oscar einheimste) und einem Schwulen (Richard Chamberlaine, der sich später selbst als homosexuell zu erkennen gab) pries Russell das Werk den Geldgebern an – und drehte dann ein in großen Teilen tatsächlich grelles, lautes und extravagantes Drama, das aber trotz des spektakulären Getöses wirklich zu bestürzen vermag: die Einsamkeit der Figuren arbeitet Russell in prägnanten Sinnbildern heraus, die in Verbindung mit Tschaikowskys Musik audiovisuelle Bravourstücke ergeben und zugleich berühren. Da wäre die Hochzeitsreise Tschaikowskys, die in einem bedrückenden, schwarzhumorigen Altraum aus Alkoholrausch, Ekel und Furcht mündet, da wäre das leidvolle Sterben des Komponisten, da wäre das verzweifelte Moment der Selbsterkenntnis seiner in der Irrenanstalt gelandeten Witwe. So düster und unerbittlich wie "The Music Lovers" sollte später kein anderer Russell mehr enden. Das Ergebnis stellte nicht alle KritikerInnen zufrieden und spaltete die Gemüter, gilt heute aber längst als Klassiker des britischen Kinos.
Ausführlicher werden Beschaffenheit und Vorzüge des Films im Review von PierrotLeFou vorgestellt.
"The Devils" folgte am 16. Juli 1971. Die von Aldous Huxleys gleichnamigen Roman und von einem Stück John Whitings vorgegebene Handlung folgt historischen Vorbildern, die Jarosław Iwaszkiewicz schon 1942 als "Matka Joanna od Aniolów" in große Literatur umgeformt hatte, die Jerzy Kawalerowicz unter gleichem Titel bereits 1961 verfilmte. Und schon Dumas, Voltaire und viele andere hatten sich den zugrundeliegenden Ereignissen bereits gewidmet. Die Geschichte von Exorzismen und einem Hexenprozess in einem Kloster in Loudun im 17. Jahrhundert nutzte Russell aber dazu, um seine Hauptfigur (Oliver Reed als Geistlicher Urbain Grandier) zwar auch als Opfer einer politischen Intrige zu zeichnen, sie aber vor allem als ein Opfer des Eros zu präsentieren: Der gegen Kardinal Richelieu angehende Priester, dem von Ursulinerinnen vorgeworfen worden war, er habe sie verhext, ist hier auch das Opfer des fanatischen Begehrens einer labilen Äbtissin. Rückte Kawalerowicz' "Matka Joanna od Aniolów" (1961) zehn Jahre zuvor die Liebe als irrationale und durchaus auch destruktive Kraft in den Mittelpunkt seines stilvollen, leisen, schwarz-weißen Historiendramas, so widmet sich Russell eher den Trieben: dem Machttrieb, dem erotischen Begehren und sexuellen Verlangen. Ein pralles, grelles Sittengemälde mit kuriosen Kulissen, für die unter anderem Derek Jarman zuständig war, ist dabei herausgekommen, das von Blasphemien, nacktem Fleisch, vulgären Momenten und drastischen Gewaltbildern nur so wimmelt. Was 1971 zum Skandalfilm taugte, ist noch heute nur in Bootleg-Form als ungeschnittene, intendierte Originalversion zu erhalten.
Mehr über Inhalt, Inszenierung und Kontextualisierung im Exploitationfilm-Milieu ist im lesenswerten Review von buxtebrawler zu erfahren.
Bevor Russell erst 1974 wieder polarisierte, lieferte er mit "The Boy Friend" und "Savage Messiah" (1972) vergleichsweise wenig beachtete Filme ab. Dabei ist "The Boy Friend", der am 16. Dezember 1971 als dritter Kinofilm Russells herauskam, durchaus noch einmal ein üppiger, extravaganter Streifen, der allerdings weniger mit Sex und Gewalt polemisiert und auch weniger komplex daherkommt: Die einfache Geschichte einer jungen Frau – Carnaby-Street-Ikone Twiggy –, die durch einen Zufall zum Bühnenstar avanciert, setzt Russell für seine Verhältnisse einigermaßen sittsam und dezent um, vermengt auch etwas weniger hintergründig Hoch- und Populärkultur... aber dafür bietet die Bühnennummern-Handlung dem musikbegeisterten Filmemacher ausreichend Platz, um allerlei spektakuläre Musicalnummern in Szene zu setzen, die im 20er-Jahre-Ambiente zwischen Busby Berkeley und Flapper-Mode anzusiedeln wären. In Sachen Dekor und Choreografie zählt "The Boy Friend" somit durchaus zu den Höhepunkten in Russells schaffen. Doch hier ist der Vorwurf des Plakativen und des Simplizität durchaus gerechtfertigt.
Seit rund zehn Jahren bietet die Warner Archive Collection den Film auf DVD-R an: Fassungseintrag von PatsyStone
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