The Remains of the Day (1993)
Nur wenige Filmemacher können von sich behaupten, ein filmisches Subgenre so entscheidend mitgeprägt zu haben, wie das Team der Merchant Ivory Productions, bestehend aus dem Regisseur James Ivory, dem Produzenten Ismail Merchant und der Autorin Ruth Prawer Jhabvala. Bereits 1961 gegründet, feierte die unabhängige Produktionsfirma in den 80er und 90er Jahren ihre größten Erfolge mit einer Reihe von Filmen, die heute als Inbegriff des Heritage Cinema gelten. „The Remains of the Day“, der am 25. Oktober 1993 Premiere feierte, ist ein prägender Vertreter dieses Historienfilm-Subgenres und zugleich ein (wiederholtes) Zeugnis der Könnerschaft seiner Schöpfer, einer literarischen Vorlage mit vergleichsweise schmalen finanziellen Mitteln mehr als gerecht zu werden.
Hält man sich an die einschlägigen Lexikonartikel, so zeichnet sich das Heritage Cinema dadurch aus, daß es die britische Oberschicht um die vorletzte Jahrhundertwende zum Sujet hat, oft auf einer Romanvorlage aus jener Zeit beruht, mit visueller Opulenz in Ausstattung und Kostümen besticht und nicht selten eine nostalgischen Wehmut ob der vergangenen Zeiten an den Tag legt. Oft thematisiert werden die sozialen Spannungen innerhalb der hierarchisch stratifizierten Gesellschaft Großbritanniens, in der noch die privatesten zwischenmenschlichen Beziehungen strengen Verhaltensregeln unterlagen und Gefühle kaum verbalisiert, geschweige denn öffentlich gezeigt wurden. All diese Elemente finden sich in „The Remains of the Day“ wieder, doch sowohl der gleichnamige, 1989 veröffentlichte Roman des in Japan geborenen, aber in England aufgewachsenen Autoren Kazuo Ishiguro, als auch die Verfilmung von Merchant/Ivory gehen über diese formalen Elemente hinaus und ordnen sie einem anrührenden menschlichen Schicksal unter. Geschickt wird die nur angedeutete, letztlich unerfüllte Liebesgeschichte zweier Bediensteter im Mikrokosmos eines Herrenhauses mit einer unseligen Episode der englischen Geschichte in den post-edwardischen 1930er Jahren verbunden, nämlich der Unterstützung Hitlers, die der bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges aus gewissen Kreisen in Großbritannien erfuhr.
Merchant/Ivory können sich dabei auf die Hauptdarsteller Emma Thompson und Anthony Hopkins verlassen, die schon in „Howard’s End“ (1992) brilliert hatten und nun dem zugeknöpften Butler Stevens und der Hausdame Ms. Kenton durch ihr subtiles Spiel Leben einhauchen. Das knappe Budget, das eine von großen Filmstudios unabhängige Filmproduktion üblicherweise auszeichnet, gereicht dem Film zu einer unnachahmlichen Authentizität: da teure Sets nicht gebaut werden konnten, wurde für Innen- und Außenaufnahmen ausschließlich auf reale Drehorte zurückgegriffen.
Wie noch die jüngsten Kino- und Fernsehproduktionen beweisen, erfreut sich das Heritage Cinema bis heute ungebrochnener Beliebtheit: „The King’s Speech“ (2010) wurde mit vier Oscars bedacht, die TV-Serie „Downton Abbey“ (2010-15) brachte es auf fünf überaus erfolgreiche, mit Preisen bedachte Staffeln – insbesondere letztere ist quasi durchdrungen von ihren großen Vorbildern, Robert Altmans „Gosford Park“ und natürlich von den Motiven aus „The Remains of the Day“. Der Merchant-Ivory-Klassiker ist auf DVD (Fassungseintrag) und Blu-ray (Fassungseintrag) erhältlich, allerdings fehlt auf der Blu-ray leider der unterhaltsam-informative Audiokommentar von Thompson, Ivory und Merchant. Die OFDb-Kritik von filmimperator legt die Vorzüge des inzwischen zum Klassiker gereiften Films ausführlich dar.
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