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von PierrotLeFou

Vor 50 Jahren: Zensur-Opfer aus Senegal

Stichwörter: 1970er Drama Historienfilm Jubiläum Klassiker Krieg Sembène Senegal Spielfilm Subsahara-Afrika Zensur

Emitai (1971)

Der Wahlsenegalese Paulin Soumanou Vieyra, Filmkritiker und Filmemacher, bezeichnete Ousmane Sembène einst als einen jener Filmschaffenden, die Qualitätskino mit breitem Erfolg verbinden konnten – und hob beispielhaft "La noire de..." (1966), "Emitai" und "Xala" (1975), der sich im Senegal als immenser Kassenerfolg erwies, hervor. "La noire de..." hat längst Kinogeschichte geschrieben, steht heute neben einer handvoll Filme für das Kino Afrikas ein und ist zusammen mit Sembènes Kurzfilm "Borom sarret" zumindest im nordamerikanischen und europäischen Raum einigermaßen gut auf DVD und Blu-ray greifbar. Jüngst ist auch Sembènes "Mandabi" (1968) hierzulande mit einer Programmkinoauswertung samt DVD- bzw. Blu-ray-Veröffentlichung wieder zugänglich gemacht worden. Hierzulande liegt länger auch schon sein später "Moolaadè" (2004) auf DVD vor. Damit hat es sich dann aber auch schon, wenngleich Sembène auch dank des senegalesisch-US-amerikanischen Dokumentarfilms "Sembene!" (2015) fest(er) im kollektiven Gedächtnis verankert bleibt und unter eingefleischten Weltkino-Liebhaber(inne)n einen hohen Stellenwert besitzt.
Der Stellenwert erklärt sich nicht allein daraus, dass Sembène Qualitätskino und (zumindest in seiner Heimat) Kassenerfolg verschmelzen konnte, sondern auch daraus, dass Sembène durchaus als einflussreich gelten muss: In vielen seiner Filmen verhandelt er (mehr oder weniger deutlich) Widerstandsthemen am (mal zentraleren, mal randständigeren) Beispiel der emanzipierten Frau inmitten patriarchalischer Strukturen... etwa in "Ceddo" (1976), einem seiner schönsten Filme, oder in "Xala"... oder eben auch in "Emitai", der bei seiner Premiere auf dem Internationalen Filmfestival Moskau im Juli 1971 die Auszeichnung in Silber erhielt. Sembène, der in "La noire de..." noch das tragische Leiden, Erdulden und Scheitern seiner weiblichen Hauptfigur in der französischen Fremde verhandelte, wies mit solchen Emanzipationsmotiven eine Richtung, die nach ihm auch afrikanische Kollegen wie Haile Gerima, Souleymane Cissé, Ben Diogaye Beye oder Gaston Kaboré einschlugen. In "Emitai" handelt es sich dabei um die Frauen eines senegalesischen Dorfes, die der französischen Kolonialmacht die Reisabgaben vorenthalten, derweil die Männer zwangsrekrutiert worden sind und der Ältestenrat lediglich die Götter, den Gott des Donners des deutschen Titels, anruft. Damit liefert "Emitai", der zur Zeit des Zweiten Weltkriegs und des Vichy-Regimes spielt und klar macht, dass der Wechsel von Staatschef Philippe Pétain zu Charles de Gaulle, dem Präsidenten der provisorischen Regierung, für die Kolonialisierten reichlich bedeutungsarm war, nicht nur eine (für Europäer) ungewöhnliche Perspektive auf die Zeit des Zweiten Weltkriegs (in dem auch Sembène für die französische Armee kämpfte), sondern etabliert auch die emanzipierte Frau als Gegenstand afrikanischer Widerstandsthematiken im Kino. Mit seinem anprangernden Tonfall wurde der insbesondere für Frankreich hochgradig unbequeme Film – wenngleich er 1972 in Cannes zu sehen war – Opfer von Zensurmaßnahmen. In Senegal lief der Film erst nach einjährigen Protesten an, anderswo in Afrika führten ihn die vornehmlich französischen Vertriebe erst gar nicht auf. Auch in Frankreich selbst blieb "Emitai" nach dem Festival von Cannes für Jahre ungesehen... Heute sieht das freilich anders aus: Mit französischen Untertiteln sind (etwa beim Label M3M) in Frankreich so viele Sembène-Klassiker zugänglich gemacht worden wie in keinem anderen europäischen Land.


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